1.Kapitel- Der Umzug

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Der Tag des Umzuges war gekommen. Ich würde nach Essen ziehen. Wieso eigentlich? Nur weil meine Mutter nicht in der Nähe meines Vaters wohnen wollte? Hessen ist groß, wieso blieb sie nicht mit mir hier? Hunderte Fragen schwirrten mir durch den Kopf. Wieso? Jede Frage begann so. Ich konnte mir das alles nicht erklären. Warum ließen sich meine Eltern scheiden? Mein Bruder hatte da großes Glück. Er wohnte schon seit langem mit seiner Freundin in einer Wohnung. Und das in Hessen. Meine Versuche einfach zu ihm zu flüchten, gingen echt daneben. Deswegen hatte ich von meiner Mutter - bei der ich seit der Trennung lebte - Hausarrest bekommen. Bis zum Umzug.

Wieso tat meine Mutter das? Was wollte sie in Essen? Dort kannten sie und ich niemanden. Keinen Menschen. Niemanden. In Hessen hatte ich zu mindestens meine Freunde. Das würde der größte Abschied werden. Mit meinem Vater sprach ich nicht mehr nach der Trennung. Zu meinem Bruder durfte ich nicht. Auch nicht zu meinen Freunden. Ich war gefangen. In meinem Zimmer.

Aber heute würde alles sein Ende nehmen. Meine Mutter hatte mich darüber informiert, dass wir in ein Haus ziehen würden. Für zwei Leute? Ich glaubte nicht daran. Irgendwas war komisch. Hatte meine Mutter einen Neuen und verheimlichte es mir? Die Fragen schwirrten noch lange in meinem Kopf hin und her. Doch ich musste sie verwerfen und meine letzten Koffer packen. Alle meine Möbel sollten schon dort sein.

„Kommst du Leonie? Wir müssen los!", und da war sie wieder. Meine Mutter. Mit genervtem Unterton antwortete ich ihr: „Ja ich komme schon!" Ich wollte nicht. Nein, ich wollte nicht umziehen. Ich zog meine zwei letzten Koffer durch die Wohnung, bis zur Tür. Mein Longboard stand an der Tür. Ich nahm es mir und schleppte alles in den Fahrstuhl. Zum Glück hatten wir einen. Sonst hätte ich dort verharrt bis mir jemand alles runter tragen würde. Ich stieg mit in den Fahrstuhl und fuhr ohne meine Mutter runter. Als die Tür aufging sah ich meinen großen Bruder auf der Treppe sitzen. Er guckte zu mir und stand auf. Ich ließ alles im Fahrstuhl stehen und lief ihm in die Arme. Ich musste mich von ihm verabschieden. „Micha ich will nicht." „Ich weiß Kleines, aber da kann man nichts machen. Wir hätten dich aufgenommen aber Mama will dich ja mitnehmen und lässt einfach nicht locker." „Aber...ich will... hier bleiben!", schluchzte ich vor mich hin. „Nicht weinen Leo. Das schaffst du. Du bist doch meine kleine Leo."

Ich musste lächeln, doch die Tränen nahmen kein Ende. Er strich mir beruhigend über meinen Rücken. So machte er es immer. Schon früher wenn ich traurig war. Er tröstete mich immer so. Der Fahrstuhl war schon längst wieder hochgefahren, und meine Mutter stand hinter uns.

„Du kommst jetzt sofort mit." „Was ist eigentlich mit dir falsch? Was habe ich dir getan, dass du mich jetzt so behandelst?" Ich konnte meine Emotionen nicht zurückhalten. Deshalb drehte ich mich um und fauchte meine Mutter an.

Ich hatte noch nie so etwas gesagt und ich hatte es eigentlich auch nicht vor. Aber es musste raus. Ich war sauer, sauer auf meine Mutter. „Du wagst es mich so anzugehen?" „Ja." Man sah die Wut in ihrem Gesicht. Ich hätte das eventuell doch nicht sagen sollen. Sie hielt sich zurück. Sie hielt ihre Wut zurück. Ich kenne nämlich ganz andere Seiten von ihr. Schlimme Seiten. „Mama mach nichts unüberlegtes.", versuchte Micha sie zu beruhigen. Darauf hin packte sie mein Handgelenk und zog mich nach draußen. Zum Auto. Doch da stand mein Vater. Wusste er das wir umzogen? Ich löste mich schnell mit all meiner Kraft aus dem Handgriff meiner Mutter, der immer stärker wurde, als sie meinen Vater sah.

„Papa!", rief ich und sprang ihm in die Arme. Ich konnte es nicht fassen. Ich dachte ich würde meinen Vater nicht mehr sehen. „Ich dachte ich sehe dich nicht mehr." „Ich werde doch nicht vergessen, mich von meiner kleinen Maus zu verabschieden." „Ich werde dich vermissen!" „Ich dich doch auch. Wenn irgendwas passiert, oder du zu mir oder deinem Bruder willst, steigst du einfach in den Zug und kommst her. Okay?", er flüsterte. Höchstwahrscheinlich damit es meine Mutter nicht hörte. Sie würde mich sonst noch länger einsperren und das wollte ich nicht. Auf keinen Fall. Ich löste mich von meinem Vater und musste schweren Herzens in das Auto steigen, was mich wegbringen würde von diesem wunderschönem Ort. Ich setzte mich ganz nach hinten. Hinten rechts, von mir aus. Ich wollte nicht annähernd neben der Person sitzen, die sich meine Mutter nennt.

Nachdem sie meinem Vater und meinem Bruder noch eine Standpauke hielt, setzte sie sich ins Auto und startete es. Das Auto setzte sich in Bewegung. Ich winkte beiden noch zu und schickte einen Luftkuss auf die Reise, der anscheinend auch ankam. Ich guckte sie so lange an, wie ich sie noch sah. Als ich sie nicht mehr sah, setzte ich mir meine Kopfhörer auf und machte so laut es ging Musik an. Egal ob ich davon einen Gehörschaden kriegen könnte. Mir war in diesem Moment alles egal.

Meine Freunde sah ich nicht mehr. Eine 'beste Freundin' gab es nie richtig in meiner Schullaufbahn und während meines Abiturs. Ja ich hatte mein Abitur dieses Jahr zu Ende gemacht. Aber das war nicht so wichtig.

Ich muss einen Teil meiner Familie in meiner Heimat zurücklassen. Wie gern ich geblieben wäre. Aber das Biest namens Mutter musste alles versauen.

Weiter? :)


Mein neuer Freund (GLP FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt