Tropfen für Tropfen

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Es war ganz schön spät geworden.

Normalerweise hätte Natalie längst ins Bett gehört. Sie hätte nicht einfach so um Mitternacht auf dem Sofa sitzen und fernsehen können, Wochenende hin oder her. Sie hätte außerdem den Abwasch machen, ihr Zimmer aufräumen und nicht gerade die halbe Wohnung in einem Baustellen-ähnlichen Zustand halten dürfen.

Glücklicherweise verlief Natalies Leben momentan alles andere als normal. Natalies normales Leben erschien ihr, die meiste Zeit über, ziemlich lahm. Jetzt aber waren ihre Eltern eine Woche lang in Urlaub gefahren, nachdem sie von Natalies super-toller Tante Flugtickets geschenkt bekommen hatten, zusätzlich zu ihrem Versprechen, regelmäßig nach Natalie zu sehen. Dass ihre Eltern sich darauf eingelassen hatten, glich einem kleinen Wunder.
Natalie war fast 17, kam sich von ihren Eltern aber oft wie eine 7-jährige behandelt vor. Nicht, dass sie sie nicht lieb hatte und alles, es war nur leider so, dass Natalies Eltern sie ganz und gar nicht zu verstehen schienen und ihr wo es nur ging Grenzen setzten. Natalie seufzte beim Gedanken daran. Mit etwas Pech wäre aus ihr wohl die größte Langweilerin in der Geschichte aller missverstandenen jugendlichen Mädchen mit Haut- und Konzentrations-Problemen geworden! Sie grinste bei diesem Gedanken, und schaltete den Fernseher aus.
Vielleicht war es ja doch Zeit ins Bett zu gehen, sie war irgendwie erstaunlich müde. In ihrem Zimmer erwartete sie, wie eigentlich jeden Abend, ihr Hund, "Oscar der Viertel-vor-Zwölfte", der, wie üblich in seinem Körbchen zusammen gekuschelt neben ihrem Bett schlief. Als sie sich auf ihr Bett setzte, hob er müde den Kopf, und sie kraulte ihn hinter den Ohren. Sie legte sich hin und knipste das Licht aus, und, kurz bevor sie einschlief, streckte Natalie noch kurz die Hand von ihrem Bett, damit Oscar sie ablecken konnte. Es war ein bisschen peinlich und eklig, aber irgendwie beruhigte es sie, wenn er das tat. Natalie fühlte sich ihrem Hund dann einfach näher, wenn er schon nicht in ihrem Bett schlafen durfte.
Mitten in der Nacht, Natalie war sich nicht sicher, wie lang sie schon geschlafen hatte, lag sie wieder wach da und starrte auf den Türspalt, der hell erleuchtet in der Dunkelheit hing. Irgendwo kam ein Geräusch her, und wenn Natalie nachts Geräusche hörte machte sie das fast wahnsinnig! Deswegen hatte sie auch keine nervigen, laut tickenden Uhren in ihrem Zimmer. Natalie seufzte und streckte ihre Hand vom Bett, um zu schauen, ob Oscar wohl noch wach war. Tatsächlich leckte seine warme Zunge an ihrem Zeigefinger, so viel Zeit konnte also nicht seit eben vergangen sein. Natalie stand auf und tapste im Dunkeln Richtung Türspalt, und hörte wieder das laute Tropfen. Kein Wunder, in der Küche bemerkte sie den Wasserhahn, von dem Wasser ins metallene Becken tropfte. Natalie drehte ihn fest zu, goss sich noch etwas zu trinken ein und legte sich dann geradewegs wieder in ihr Bett.
Leider war der Aufenthalt nicht von langer Dauer, das Platschen war immer noch von irgendwo zu hören, und Natalie, vermutlich etwas überempfindlich in dieser Hinsicht, reagierte da wirklich gestresst. Sie schnaubte, streckte Oscar noch mal ihre linke Hand entgegen, die er zufrieden abschleckte, und stieg aus dem Bett, um den Wasserhahn im Gästebad neben ihrem Zimmer abzustellen.
Als sich das ganze dann zum dritten Mal so abzuspielen begann, fragte sich Natalie ernsthaft, ob sie sich das Geräusch nur einbildete, und stapfte Richtung Badezimmer den Flur runter. Sie kam leider nie dazu, den Wasserhahn auf Tropfen zu überprüfen, da sie in diesem Moment bemerkte, woher das Geräusch tatsächlich kam, und einen markerschütternden hohen Schrei ausstieß. Die Art Schrei, die wohl jeden, der in dieser Nacht nicht von tropfenden Wasserhähnen geweckt worden war, aus dem Schlaf rütteln konnte.
In Natalies Dusche tropfte Blut lautstark auf den Boden. Es tropfte in regelmäßigen, kurzen Abständen herab, ehe es in einem dunkelroten Rinnsal in den Abfluss lief. Hundeblut. Oscar hing tot vom Duschkopf herab, seine glasigen Augen starrten Natalie von der Seite schräg an, sein kleiner Bauch war aufgeschlitzt worden, sodass sich die Haut an der Schnittstelle seltsam nach außen stülpte. Dem Mädchen wurde übel, während das Geräusch weiter durch den kleinen Raum hallte, ..."TROPF-TROPF-TROPF"...,

Doch als Natalie den Blick abwandte, fiel er stattdessen auf den Spiegel. Abgesehen, vom ihrem verstörten Gesichtsausdruck darin, fand sie, mit Blut geschrieben, darauf den Satz:
"Auch Mörder können lecken."


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