Ebenbild

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~ Ich möchte dich bitten, einen Blick auf dieses Bild zu werfen. Im ersten Augenblick hast du auch gedacht, es wäre ein See, nicht wahr? Auch Madeline Picard, die Protagonistin der nächsten Geschichte musste feststellen, dass die Dinge vielleicht nicht immer so sind, wie sie zunächst zu sein scheinen. Kannst du herausfinden, ob diese Geschichte wahr ist? Aber lass dich nicht täuschen - manchmal muss man das Bild erst zur Seite kippen, um herauszufinden, was der Wahrheit entspricht und was vielleicht nur gelogen ist. ~

Als die Nachricht eintraf, war Madeline Picard so aufgeregt, dass ihr fast der Telefonhörer aus der Hand fiel. Sie rief Tom nach unten, und nachdem sie ihm erzählt hatte, was der Polizist gesagt hatte, schlossen die beiden sich mit Tränen in den Augen in eine innige, erleichterte Umarmung. In Eile verließen sie das Farmhaus und stürmten zu ihrem Truck, der in der Scheune abgestellt worden war, Madeline schlüpfte in ein Paar abgegriffener Schuhe und Tom startete mit vor Aufregung zitternden Fingern den Motor, nachdem er fast die Schlüssel im Haus hatte liegen lassen. Er wendete den Wagen in einem halsbrecherischen Manöver und die beiden rauschten von ihrem Bauernhof und über die Landstraße Richtung Cherbourg. Den Weg zum Polizeipräsidium legten sie schneller zurück als jemals zuvor.

Kaum hatte Tom den Wagen auf einem willkürlich gewählten Parkplatz am Straßenrand gehalten, verließen sie das Auto und eilten, Seite an Seite, auf das Gebäude zu. Madelines Herz klopfte ihr bis zum Hals. Konnte es wahr sein, konnte es tatsächlich wahr sein? Sie hatte die Hoffnung beinahe aufgegeben. Atemlos öffnete die junge Frau die holzbeschlagene, mit Milchglasfenstern ausgestattete Tür zum Präsidium und schlüpfte gemeinsam mit ihrem Mann hindurch.

„Meine Tochter", stieß sie hervor, als sie an den Tresen eilte, „m-meine Tochter wurde gefunden."

Die junge Dame am Empfang kannte sie schon. Zu viele Tage hatten Madeline und Tom auf dem Präsidium verbracht, zu viele Monate, in denen sie Angst gehabt hatten - schreckliche Angst. Das Gebäude war zu einem Ort voll niederschmetternder Botschaften für das junge Paar geworden, seit die Polizei sich vergeblich bemüht hatte, Pauline zu finden, doch jetzt, heute, sahen sie es mit anderen Augen, sahen sie Hoffnung in diesen Mauern.

„Monsieur?", rief die Dame über die Schulter.

Die Tür wurde geöffnet und ein rundlicher Mann in Uniform trat heraus. Als er Madeline und Tom entdeckte, begann er zu lächeln, kleine Falten bildeten sich um seine Augen. „Madame, Monsieur, sind Sie etwa geflogen?", fragte er in französischem Akzent. Madeline stiegen Tränen der Freude in die Augen. „Officer..."

„Na, kommen Sie. Das Mädchen ist hier." Er winkte die beiden herein. Madeline und Tom ließen sich keine Sekunde Zeit, sie eilten ihm hinterher und betraten hinter ihm das Zimmer.

Als das Mädchen, das auf dem zerschlissenen Ledersofa saß - das schmutzige, kleine Mädchen mit dem verfilzten aschblonden Haar und den großen Augen - als dieses Mädchen den Blick hob und sie ansah, brach Madeline entgültig in Tränen aus. „Pauline!" Die Mutter, die endlich wieder eine Mutter sein durfte, eilte auf ihr Kind zu und schloss es fest in die Arme, so fest, als wollte sie es niemals wieder loslassen, und auch Tom hielt nichts mehr dort im Türrahmen und als er sie und ihre Tochter in die Arme schloss, spürte Madeline, dass auch er seine Tränen nicht zurückhalten konnte. Sie war sich sicher, dass ab jetzt wieder alles gut sein würde.

Bis.

Bis sie eine kleine Hand an ihrer Schulter spürte, die sie wegdrückte.

Überrascht löste Madeline sich aus der Umarmung. „Was ist denn los?", fragte sie leise und streckte die Hand nach Pauline aus, um ihr beruhigend über die Wange zu fahren. „Ich bin's. Mama." Das Mädchen wandte den Kopf ab, wich ihrer Berührung aus.

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