S I X T E E N

3.2K 155 3
                                    

So langsam spüre ich meinen Körper wieder und mit ihm, die Schmerzen. Ein schmerzvolles Stöhnen entweicht meinen Lippen. Meine Sinne sind ganz benebelt und das Denken fällt mir schwer.
Vorsichtig öffne ich die Augen. Sofort strahlt mir grelles Licht entgegen, das mir die Augen tränen lässt. Ich will meine Hand heben um mein Gesicht zu schützen, doch da durchfährt mich ein stechender Schmerz. Verwirrt schaue ich auf meine Hand, die in einen blauen Verband gewickelt ist. Sofort frage ich mich, wie das wohl passiert ist,doch ich kann mich an nichts erinnern. Das letzte an das ich mich noch erinnern kann ist, wie Jake und ich auf der Lichtung am See saßen.
Neugierig lasse ich meinen Blick durch den Raum gleiten. Wo bin ich hier überhaupt?
Das Zimmer ist gemütlich eingerichtet und alles ist in weiß gehalten.

Leise wird die Tür geöffnet. Ich zucke erschrocken zusammen. Auf leisen Sohlen schleicht sich Jacob an mein Bett. „Endlich bist du wach. Ich dachte schon, das du gar nicht mehr aufwachen willst. Jag mir nie wieder einen solchen Schrecken ein. Hast du mich verstanden?" Seine Worte dringen nicht wirklich zu meinem Gehirn und ich schaue ihn nur fragend an.
„Du siehst müde aus, schlaf noch ein bisschen." Er wendet sich zum Gehen, aber ich halte ihn am Handgelenk fest. „Geh nicht", hauche ich. Ich rutsche etwas zur Seite und fordere ihn still dazu auf, sich neben mich zu legen. Zögernd kommt er meinem Wunsch nach.
Er nimmt mich in seine Arme und ich kuschel mich an ihn. Die Wärme die von ihm ausgeht, lullt mich sofort ein.

Als ich beim nächsten Mal aufwache, fühle ich mich merkwürdig. Mein Schädel brummt und mir ist schlecht. Neben mir liegt etwas Warmes. Es ist schon fast zu warm. Ich öffne murrend meine Augen, nur um Jacob neben mir liegen zu sehen. Ich kann nichts anderes tun, als ihn zu beobachten. Er hat die Augen geschlossen und sein Gesicht sieht friedlich und entspannt aus. Meine Hand nähert sich immer weiter seinem Gesicht und streiche sanft seine Wange. Flatternd bewegen sich seine Augenlider und ich ziehe schnell meine Hand zurück. „Gut geschlafen?", nuschelt er noch ganz verschlafen. „Yep, das hab ich und du?", gebe ich zurück.
Er dreht sich zu mir um und mustert mich ganz genau. Sein Blick ist mir unangenehm und schnell starre ich die gegenüberliegende Wand an. Er seufzt laut ehe er anfängt zu sprechen: „Wunderst du dich nicht wo wir hier sind?"
„Doch schon, aber ich kann mich auch an nichts mehr erinnern"
„An gar nichts mehr?" fragt er fassungslos.
„Das letzte, das ich weiß, ist wo wir an der Lichtung gesessen haben." Bei dem Gedanken kann ich nicht verhindern rot anzulaufen. Wie peinlich. „Dann werde ich jetzt einmal mit Carlisle reden. Bleib liegen." Als ob ich etwas anderes tun könnte...
Er rappelt sich auf und geht aus dem Zimmer.

Gedankenverloren starre ich aus dem Fenster. Die ganze Seite ist komplett verglast, so das man eine wunderschöne Aussicht auf den Wald hat.
Die Tür geht auf und ein blasser Mann betritt den Raum. Er hat blonde Haare und goldene Augen und außerdem ist er wunderschön, aber nicht mein Typ. „Hallo Laliah. Mein Name ist Dr. Carlisle Cullen. Kannst du dich an irgendetwas der letzten fünf Tage erinnern?" Fünf Tage!?
Am meinem Bettende kommt er zum Stehen und betrachtet mich neugierig. Ich schüttel nur mit dem Kopf. „Das dachte ich mir bereits", seufzt er. Dr. Cullen zieht sich einen Stuhl zu mir und setzt sich. „Ich erzähle dir das jetzt, weil ich nicht möchte, das du mit der späteren Situation überfordert bist." Er macht eine Kunstpause und fängt wieder an zu sprechen: „Dir ist etwas widerfahren, womit du nicht zurecht kommst, deshalb verdrängst du es unterbewusst. Aber mit der Zeit, wirst du dich nach und nach daran erinnern können. Du musst dich dann damit auseinander setzen. Erst wenn du dazu bereit bist, kann ich dir weiterhelfen. Äußerlich fehlt dir aber nichts, außer das dein rechtes Handgelenk verstaucht ist." Das muss ich erst einmal registrieren. Also mir soll etwas zugestoßen sein, aber ich kann mich an nichts mehr erinnern? Das scheint mir ziemlich unglaubwürdig. Trotzdem sollte ich mich höflich bei diesem Mann für seine Hilfe bedanken.
„Vielen Dank, das Sie sich um mich gekümmert haben."
„Du darfst mich auch duzen. Ohne Jacob würde es dir noch viel schlimmer gehen, denn er hat dich aus dieser Gefahr gerettet. Bedanke dich lieber bei ihm. Er saß die ganze Zeit bei dir und hat dich nicht aus den Augen gelassen."
Ich nicke nur und versuche diese Information zu verarbeiten.
„Wann darf ich nach Hause? Nimm es bitte nicht persönlich, aber ich mag Ärzte überhaupt nicht."
„Das kann ich durchaus nachvollziehen", lacht er. „Du kannst schon heute wieder nach Hause, aber schone dich noch."
„Natürlich, Dr. Cullen." grinse ich ganz unschuldig.
„Auf Wiedersehen."
„Hoffentlich beim nächsten Mal, wegen etwas erfreulichem. Tschüss."

Er geht mit einem Schmunzeln aus meinem Zimmer. Sobald er weg ist, taucht auch schon Jacob auf. Ich stehe auf und laufe, noch etwas wacklig auf den Beinen, auf ihn zu. „Dr. Cullen hat gesagt, das du mich gerettet hast. Ich weiß zwar nicht wovor...Vielen Dank"
„Was hätte ich ohne dich machen sollen. Ich brauche dich doch."
Seine Antwort macht mich verlegen. Ich muss mich konzentrieren, nicht rot anzulaufen.
Ich räuspere mich kurz und frage: „Kannst du mich bitte nach Hause fahren?"
„Ja, klar." Er nimmt mich bei der Hand und führt mich zu seinem Auto. Im Wagen herrscht eine drückende Stille. Um der Peinlichkeit zu entfliehen, macht Jake das Radio an und ich nutze die Stille um in Ruhe über alles nachdenken zu können. Über ihn und mich. Und um meine momentane Lage. Ich kann mich an nichts mehr erinnern, wie geht man damit um? Wenn ich versuche mich zu erinnern, bekomme ich Kopfschmerzen und ich sehe nur schwarze Flecken vor Augen. Meine Erinnerungen sind lauter Geheimnisse, die ich noch nicht entschlüsseln kann.

Der Wagen kommt zum Halten und ich schaue verwirrt auf. „Sind wir schon da?", frage ich und komme mir im nächsten Moment total dumm vor, da wir vor meinem Haus stehen. Jake grinst mich an und sagt: „Yep. Endstation. Bitte alle Passagiere, egal wie erwünscht sie auch sind, aussteigen." Dabei schaut er mir direkt in die Augen. Die Schmetterlinge machen sich in meinem Magen bemerkbar und das Herzrasen setzt wieder ein. Sein Grinsen wird eine Spur breiter. Oh nein, sag mir bitte, das er das nicht hören kann. Verfluchte Wolfsohren.
„Nochmals vielen Dank dafür das du mich gerettet hast. Du bist immer für mich da. Ich weiß nicht, wie ich mich bei dir revanchieren kann." Ich gebe ihm einen Kuss auf die Wange und gehe schnellst möglich aus dem Auto. Ich fliehe vor der drückenden Stille zwischen uns Beiden. Was soll ich nur machen?
Ich sollte mir schnellstens über meine Gefühle bewusst werden, aber für eine neue Beziehung bin ich einfach noch nicht bereit. Dennoch hat Jacob ein Recht darauf, es zu erfahren.
„Ich komme morgen mal vorbei, okay?" ruft er durch das offene Autofenster, ehe er weg fährt.
Ich winke ihm hinterher und mache mich dann mit unsicheren Schritten auf den Weg zur Haustür.

An der Haustür angekommen, klingele ich. Ruckartig wird sie aufgerissen. Mein Vater steht vor mir. Er sieht total blass aus. Dicke Augenringe zeichnen sein Gesicht . Besorgt mustere ich ihn. Was ist mit ihm passiert?
„Dad, was ist los?", frage ich und man kann aus meiner Stimme hören, das ich mir Sorgen um ihn mache.
„Was los ist?! Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht."
„Das ist meine Schuld? Was habe ich denn getan?"
„Du warst für fünf Tage wie vom Erdboden verschluckt, wir haben dich überall gesucht."
„Das wollte ich nicht. Es tut mir leid." In meinen Augen sammeln sich die Tränen und ich falle meinen Dad überschwänglich in die Arme. „Es tut mir so leid", murmle ich immer wieder vor mich hin. Mein schlechtes Gewissen meldet sich zu Wort. Unbewusst habe ich meinem Vater solche Schaden zugefügt und meine Mutter hat er bestimmt auch schon informiert. Ich kann mir förmlich vorstellen, wie sie jetzt am Küchentisch sitzt mit einem Kaffee in der Hand, völlig übermüdet und auf das Telefon starrt.

„Ist ja schon gut, aber bitte sag mir, wo du warst", reißt mich mein Dad aus meinen Vorwürfen.
„Okay, zuerst sollten wir rein gehen", schlage ich vor.
Ich nehme seine Hand und ziehe ihn in die Küche. Dort sitzen auch Kiri und Derek.
Sobald Kiri mich sieht, kommt sie auf mich zu gestürzt und fällt mir um die Arme. „Mach das nie wieder oder nimm mich beim nächsten Mal wenigstens mit. Das da hinten hält keiner aus." Dabei zeigt sie auf ihren Bruder.
Mein Vater räuspert sich ungeduldig. „Ist schon gut. Wo fange ich an.
Ich befand mich in einer misslichen Lage und wurde von Jake gerettet. Mehr weiß ich nicht, dafür musst du schon Jacob selbst fragen", erkläre ich meinem Vater ausweichend.
„Aber wieso weißt du nichts mehr. Du musst doch wissen, was dir widerfahren ist."
„Nein, das weiß ich eben nicht und ich muss erst einmal überlegen ob das ein Fluch oder ein Segen ist."
„Das ist ja furchtbar", entfährt es meinem Vater.
„Mir geht es gut, nur mein Handgelenk ist verstaucht", beteuere ich, als ich Dads musternden Blick begegne. Ich möchte nicht das sich alle Sorgen um mich machen.In dem Moment kommt Brigitte in den Raum. „Ich habe alles gehört. Du musst mit jemanden darüber reden. In dem Heim, wo ich arbeite, gibt auch viele Kinder mit ähnlichen Problemen. Ich werde dir helfen, deine Erinnerungen zurück zu bekommen und sie zu verarbeiten", verspricht sie mir. Mein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse. Was ist, wenn ich das nicht will?
„Ich bin sicher, das Laliah müde ist. Lassen wir sie in Ruhe", klinkt sich Kiri ein.
Ich forme lautlos mit dem Mund ein Dankeschön und nutze die Chance in mein Zimmer zu gehen.
Oben angekommen, entledige ich mich meiner Kleidung und steige sofort unter die Dusche. Ich fühle mich schmutzig und unendlich erschöpft.
Nach der wohltuenden Dusche, ziehe ich mir schnell meine Schlafklamotten an und gehe in mein Bett. Der Schlaf überrollt mich augenblicklich.

WolfsblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt