Kapitel 11

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Leicht mit dem Kopf schüttelnd lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und legte den Bleistift aus der Hand. Zwar hatten Ben und ich uns diese Stunde erstaunlich gut verstanden, doch das hieß nicht, dass ich scharf darauf war, ihn als Partner zu haben.
„Du bist aber begeistert", bemerkte Ben spöttisch. „Dabei solltest du dich eher freuen, einen so wundervollen und unglaublich charmanten Partner zu haben."
„Aber ich sehe hier niemanden, auf den deine Beschreibung zutrifft", antwortete ich mit einem zuckersüßen Lächeln.
Ben grinste breit. „Natürlich siehst du niemanden, da meine Vollkommenheit dich zu sehr blendet, um mich sehen zu können."
Darauf fiel mir bedauerlicherweise nichts mehr ein und ich ließ Ben triumphieren, natürlich nicht, ohne vorher die Augen verdreht zu haben.
Es klingelte zu einer kleinen Pause. Viele der Schüler standen auf und gingen im Raum umher, auf der Suche nach interessanten Gesprächen mit ihren Freunden, oder um auf dem Flur etwas zu essen. Ich hingegen griff wieder nach meinem Bleistift und zeichnete weiter. Die Grundzüge waren alle vorhanden, nun fehlten die genauen Details, die ich mit ruhiger Hand schuf.
Zu meinem Bedauern schien Ben mit niemanden reden zu wollen oder Hunger zu haben, er blieb neben mir sitzen und sah mir zu. Ich gab mein bestes, ihn einfach zu ignorieren und auszublenden, trotzdem sah ich ihn als eine verschwommene Form in meinem Augenwinkel, die ich, wie einen nervigen Krümel von der Nacht, gerne wegwischen würde.
„Könntest du bitte aufhören, mich anzustarren?", zischte ich ihm zu und hatte Mühe, mich zu kontrollieren. Zwar kannte ich Ben erst seit kurzer Zeit, doch er hatte es schon mehrfach geschafft, mich so sehr zu nerven, dass es mich wütend machte.
Ich konnte Ben anhören, dass er lächelte, als er erwiderte: „Ich starre dich nicht an, ich schaue die ganze Zeit auf das Blatt."
Mir entfuhr ein genervtes Seufzen und ich stand auf, um zu unserer Chemielehrerin zu gehen. „Ist es möglich, dass ich mich umsetze?"
Verdattert sah sie mich an. „Aber warum denn?"
„Zwischen meinem Sitznachbar und mir herrschen Unstimmigkeiten, die mich im Unterricht nur behindern würden."
„Tatsächlich?", fragte sie skeptisch. „Dabei habe ich vorhin mitbekommen, wie ihr euch bei dem Versuch gegenseitig super ergänzt habt. Ich glaube, ihr beide würdet zusammen besser im Unterricht mitkommen, als alleine."
Ich atmete einmal tief ein und aus, lächelte sie brav an und murmelte ein „Wenn Sie meinen", bevor ich wieder zurück zu meinem Sitzplatz ging. Ben hatte meine Zeichnung in der Hand und beäugte sie neugierig, als ich mich neben ihm auf den Stuhl fallen ließ.
„Ich finde, da fehlt noch ein Rabe, der auf einem der Grabsteine sitzt", meinte er und gab mir die Zeichnung zurück.
„Nein", lehnte ich ab. „Vögel würden wegfliegen, wenn plötzlich ein Wesen aus einem Grab schwebt."
„Und wenn es eine Art Geist ist? Dann sieht ihn doch niemand."
„Tiere spüren trotzdem ihre Anwesenheit. Hast du noch nie eine Katze gesehen, die ins Nichts starrt? Oder wie ein Hund eine leere Stelle umgeht?"
Seine Augen weiteten sich ein wenig. „Glaubst du an Geister?"
Ich biss mir auf die Lippe. „Nicht direkt. Ich glaube, dass ein Mensch, wenn er gestorben ist, nicht einfach weg ist, sondern auf der Erde bleibt und seine Liebsten beobachtet und ihnen mit seiner Nähe Hoffnung schenkt. Jedenfalls hoffe ich das."
Den letzten Satz murmelte ich nur noch, jedoch schien Ben ihn gehört zu haben, denn er hakte nicht weiter nach, sondern sah mich mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an, ehe er sich abwandte und mich in Ruhe weiterzeichnen ließ.
Wenig später klingelte es zum Pausenende und unsere Lehrerin fuhr mit dem Unterricht fort. Es fiel mir schwer, vernünftig aufzupassen, da das Gespräch mit Ben mich an meine Eltern erinnert hatte. War es so, wie ich es mir wünschte? Beobachteten sie mich wirklich? Oder waren sie einfach... weg?
Der Gedanke daran, dass sie nicht mehr existieren könnten trieb mir die Tränen in die Augen. Als die erste zu rollen anfing, schob ich unauffällig die Haare so vor mein Gesicht, dass es natürlich aussah. Mit einem schnellen Seitenblick zu Ben vergewisserte ich mich, dass er nicht zu mir herüber sah, als ich die Träne rasch wegwischte und mich innerlich ermahnte, mich zusammenzureißen.
Was für ein komisches Wort es doch war. Zusammenreißen. Man konnte etwas entzwei reißen, aber wie sollte man es zusammenreißen? Es war ein Widerspruch in sich. Wie konnte die Menschheit auf so eine Idee kommen? Noch nicht einmal die Deutschlehrer hatten etwas dagegen, dabei war es doch so falsch.
Beruhigt von dieser Ablenkung konnte ich mich wieder meiner Zeichnung widmen und sogar dem Unterricht lauschen, obwohl das Thema ungeheuer langweilig war. Trotzdem war es besser, als an meine Eltern zu denken.
„Ist alles in Ordnung?", fragte Ben.
Erschrocken sah ich ihn an. Anscheinend hatte er mich beobachtet, als ich versucht hatte, mich ein wenig abzulenken. Ich schluckte einmal, um eine starke Stimme zu gewährleisten.
„Ja, was sollte sein?"
Er sah mich mit einer Mischung aus Skepsis und... Besorgnis an. Bei genauerem Hinsehen schien es wirklich Besorgnis zu sein. „Du wirkst etwas aufgewühlt."
Ich winkte ab. „Mir geht es gut."
Ben schien nicht überzeugt, wechselte jedoch das Thema. „Wo hast du eigentlich das Zeichnen gelernt?"
„Meine Tante verdient ihr Geld damit. In ihrer Familie wurde viel gezeichnet, mein Vater – ihr Bruder – hat immer gerne mit mir zusammen gezeichnet und mir viele Tricks gezeigt." Ich lächelte, doch es erreichte meine Augen nicht.
„Meinst du, dein Vater könnte es mir auch mal zeigen, wenn wir uns für das Projekt treffen?"
Mein Lächeln erstarrte. „Ehm... Wir haben momentan Handwerker zu Hause, also müssten wir entweder zu dir oder zu meiner Tante", log ich.
„Ah, kein Problem, dann vielleicht ein andermal."
„Ja. Vielleicht ein andermal." Unsicher schaute ich auf meine Hände, deren Finger miteinander spielten und sich verknoteten.
Keiner von uns sagte ein Wort, es herrschte eine bedrückende Stille. Doch niemand traute sich, die Stille zu durchbrechen und somit das Gerede unserer Lehrerin zu unterbrechen, die im Hintergrund etwas erklärte und an die Tafel schrieb. Langsam griff ich in meine Tasche und holte einen linierten Block heraus, um das Tafelbild abzuschreiben, während Ben es mir gleichtat.
Der Rest der Stunde verlief genauso ruhig, nur die Lehrerin und ein paar Schüler, die der Lehrerin Antworten gaben, waren neben dem Kratzen meines Bleistifts, der an den Details arbeitete, zu hören.

Bisschen spät zwar, aber es ist da! Momentan verspüre ein wenig Unlust, zu schreiben, aber ich werd mir mal Mühe geben, das hier nicht untergehen zu lassen. Ich bin schon dabei, an einem neuen Cover zu arbeiten, nur weiß ich noch nicht, ob ich das Bild nehmen kann, mal sehen^^

Bis dahin, viel Spaß beim Lesen!


Learning to live (ABGEBROCHEN)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt