Am nächsten Morgen wachte ich durch einen Alptraum kurz vor meinem Wecker auf. Noch immer müde griff ich auf meinen Nachttisch, um meinen den Alarm auszustellen, bevor er mich nerven konnte. Ich schaute zur Tür. Tante Rebecca war diesmal nicht da. Seufzend stand ich schließlich auf, suchte mir frische Kleidung und machte mich auf den Weg ins Badezimmer. Dort duschte ich zuerst kalt, damit ich nicht mehr so müde war, danach stellte ich die Temperatur immer höher.
Nach der entspannenden Dusche zog ich mir meine Klamotten an und warf noch einen Blick in den Spiegel.
Ich sah genauso miserabel aus wie gestern.
Mit einem leichten Kopfschütteln nahm ich mir einen Concealer, um die Augenringe ein wenig zu mildern und etwas Rouge, gegen meine unnatürliche Blässe. Am Ende sah es ganz ansehnlich aus.
Zufrieden mit meinem Ergebnis ging ich nach unten, um zu frühstücken. Meine Tante saß schon am Tisch und biss gerade von einem Brötchen ab, als ich mich ihr gegenüber setzte. Sie wirkte müde und erschöpft.
„Morgen", begrüßte sie mich.
Ich nickte ihr kurz zu, ehe ich ein Brötchen aufschnitt. Ich beschmierte es gerade mit Butter, als Tante Rebecca sich wieder an mich wendete.
„Ich habe dich schon wieder schreien gehört. Was war es diesmal?"
Meine Tante wusste alles über meine Träume. Meistens fragte sie erst gar nicht, da sie wusste, dass ich darüber ungern redete. Jedoch sah ich ihr an, dass sie anfing, sich ernsthaft Sorgen zu machen, weshalb ich ihr ehrlich antwortete: „Ich bin ertrunken."
Sie zuckte leicht zusammen und schaute auf ihre Hände, die dabei waren, das Brötchen zu zerdrücken. „War es...sehr schlimm?" Ihre Stimme zitterte. Ich entschied mich für eine Lüge. Die Wahrheit konnte ich ihr langsam nicht mehr antun.
„Nein, nicht sehr."
Schweigend aßen wir zu Ende. Danach räumten wir zusammen den Tisch ab und ich ging kurz in mein Zimmer, weil ich meine Tasche noch holen wollte. Schnell packte ich alles Nötige ein und suchte meine Tante, um mich von ihr zu verabschieden. Als ich sie in der Küche nicht fand, sah ich bei ihrer Staffelei nach. Dort saß sie tatsächlich auch, in sich zusammengesackt mit bebenden Schultern. Sie weinte. Langsam näherte ich mich ihr und sie blickte auf. Kleine Tränen verunstalteten ihr sonst so schönes Gesicht. Ohne zu zögern zog ich sie in eine sanfte Umarmung. Das schien ihr den Rest zu geben, denn nun schluchzte sie laut auf.
„Ich schaffe das nicht", weinte sie. „Ich kann dir ja noch nicht mal bei deinen Alpträumen helfen!"
„Du bist nicht schuld", versuchte ich sie zu beruhigen. Es half nichts, das Schluchzen wurde zwar leiser, hörte allerdings nicht vollständig auf.
„Ich muss langsam los", flüsterte ich Tante Rebecca zu. Sie nickte und wischte sich die Tränen weg. Es widerstrebte mir, sie so alleine zu lassen, aber so langsam wurde die Zeit wirklich knapp.
Mit einem kurzen Blick auf die Uhr löste ich mich von meiner Tante und ging auf die Haustür zu. Sie folgte mir nicht.
Ich zog mir meine Schuhe an und ging durch die Tür nach draußen. Die Bushaltestelle war nicht weit weg, so dass ich meinen Bus gerade noch erwischte. Da kein Sitzplatz mehr frei war, stellte ich mich in das Gelenk des Busses und holte mein Handy heraus. Damit beschäftigte ich mich, bis ich vor meiner Schule aussteigen musste. Ich fädelte mich in die Traube aus Schülern ein und folgte ihnen durch den Haupteingang. In der Hoffnung, noch genügend Zeit zu haben, huschte ich noch schnell auf die Toilette.
Unglücklicherweise klingelte es, bevor ich fertig war. Schnell wusch ich mir meine Hände und lief ins Treppenhaus. Dort eilte ich die Treppen hoch. Anscheinend hatte ich nicht gut genug aufgepasst, denn ich blieb mit meinem Fuß an einer Stufe hängen und fiel hin. Direkt hinter mir hörte ich ein leises Lachen und starke Arme halfen mir beim Aufstehen. Wütend drehte ich mich, als ich wieder auf den Beinen war, zu der tiefen Stimme um. Sie gehörte einem braunhaarigen, großgewachsenen Jungen mit grauen Augen, der mich belustigt musterte. Früher hätte ich ihn bestimmt als gutaussehend bezeichnet. Dann jedoch hätte ich ihn mir genauer angesehen, was ich jetzt allerdings auch tat. Er war genau so unnatürlich blass wie ich und seine Wangen waren eingefallen. Seine Augenringe konnten es mit meinen aufnehmen und er war zu dünn. Nur seine Mimik war das genaue Gegenteil von meiner. Er lächelte breit und schien sehr belustigt zu sein, während ich ihn genervt und wütend anstarrte.
„Ich habe ja schon viele Leute die Treppe runter fallen gesehen, aber dass sie jemand hoch fällt, ist mir neu", amüsierte er sich. Seine Stimme war tief und ruhig.
Kopfschüttelnd drehte ich mich wieder um und ging die Treppe weiter nach oben, diesmal achtete ich jedoch mehr darauf, wo ich hintrat. Im Weggehen hörte ich den Jungen lachen.
Das reichte mir. „Was ist dein Problem?", schrie ich ihn an. Sein Lachen verstummte sofort und er wandte den Blick leicht beschämt in Richtung Boden.
Er kratzte sich am Hinterkopf, als er antwortete. „Tut mir leid, aber es kommt halt nicht oft vor, dass ein so hübsches Mädchen hinfällt. Außerdem bist du wirklich elegant gefallen, das muss ich dir lassen!" Ein leichtes Lächeln schlich sich zurück auf seine Lippen und er schaute mir wieder in die Augen. Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht geschlagen für diese Unverschämtheit, konnte mich aber noch beherrschen, so dass ich meine Hand nur zu einer Faust zusammenballte. Er schien es zu bemerken, denn er hob abwehrend die Hände hoch. „Tut mir leid, ich wusste nicht, dass du dich dadurch gleich so angegriffen fühlst."
„Ich fühle mich durch dich angegriffen", erwiderte ich bissig. „Also lass mich einfach in Ruhe!"
Sein Gesichtsausdruck wurde nachdenklich und er musterte mich ausführlich. Verwundert ging ich einen Schritt zurück und wäre wieder gestolpert, wenn er mich nicht aufgefangen hätte.
„Ich sehe schon", meinte er, wieder belustigt. „Du fällst Treppen eher hoch statt runter. Ich werde es mir merken. Dann bin ich immer dein Retter in der Not. Während alle anderen versuchen, dich aufzufangen, weil sie damit rechnen, dass du die Treppe hinunter fällst, werde ich eine Stufe über dir stehen und dich lässig auffangen." Er grinste mich breit an.
Ich mochte ihn nicht. Sein Humor gefiel mir nicht und auch sonst war er mir einfach unsympathisch. Also ging ich zu weiter, um meinen Unterrichtsraum noch vor Unterrichtsbeginn zu erreichen und ließ ihn ohne ein weiteres Wort stehen.
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Learning to live (ABGEBROCHEN)
Teenfikce"Kennst du dieses Gefühl, wenn du denkst, dass Gott, sofern er existiert, dich hassen muss, wenn er dir so etwas antut?", fragte ich ihn leise. Er antwortete ohne groß zu überlegen. "Nein, ich glaube nicht an Gott. Ich glaube an mich selbst. Und auc...