Das erste, was Cordelia empfand, als sie Alice sah, war Erleichterung. Sie war unscheinbar, ein Mädchen mit einem Allerweltsgesicht. Sie würde keine Konkurrenz für sie darstellen. Nicht einmal Kate tat das, mit ihren blauen Augen und dem dunklen Haar. Trotzdem konnte es nicht schaden, sie ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen.
Alice wirkte schüchtern und unsicher. So etwas löste bei manchen Männern unweigerlich einen Beschützerinstinkt aus. Cordelias Blick wanderte zu Thomas. Der saß jedoch wie immer desinteressiert am Tisch und blätterte in seiner Zeitung.
"Und das ist Shiki", hörte sie Kate sagen. Diesen Moment hatte sie gefürchtet. Ihr Blick wanderte zwischen Alice und Shiki hin und her. Seine Reaktion war wie üblich freundlich und höflich. In seinen Augen lag die Sanftmut, die sie an ihm so liebte. Doch ihr entging nicht, dass Alices Blick einen Moment zu lange an ihm hängen blieb.
"Thomas, willst du Alice gar nicht begrüßen?", fragte Cordelia, um von der Situation abzulenken.
"Das ist nicht nötig. Wir haben schon Bekanntschaft miteinander gemacht", entgegnete er trocken. Natürlich hatte sie nichts anderes von ihm erwartet. Thomas war schon immer ein Meister der perfekt getimeten Unhöflichkeit gewesen.
"Setz dich doch. Das Essen ist gleich so weit", bat sie Alice und zog einen Stuhl für sie hervor. Angriff schien ihr die beste Verteidigung.
In diesem Moment drängelte sich Kate aufgeregt an ihnen vorbei. Cordelia beobachtete, wie sich Alice nach einer weiteren unhöflichen Bemerkung von Thomas vorsichtig auf den Stuhl setzte. Es schien ihr gar nicht zu gefallen, dass sie mit ihm allein am Tisch saß.
Alice Blick wanderte hilfesuchend zu Kate, doch die war gerade damit beschäftigt, die Suppe zu kosten. Ihre offensichtliche Hilflosigkeit amüsierte Cordelia ein wenig, doch sie war schlau genug es zu verbergen. Stattdessen setzte sie sich auf den Platz neben Thomas und begann damit, sie über ihre Zeit im Waisenhaus auszufragen, wenngleich es sie eigentlich nicht wirklich interessierte. Doch solange Alices Aufmerksamkeit auf ihr ruhte, konnte sie sich nicht mit Shiki befassen.
Als dieser Alices Teller mit der dampfenden Suppe befüllte, trafen sich ihre Blicke erneut und Alice Wangen röteten sich ein wenig. Cordelia hätte ihr in diesem Moment am liebsten Salz ins Essen geschüttet, doch sie beherrschte sich und widmete sich lieber ihrem eigenen Teller. Ein solches Benehmen dufte sie sich in Shikis Gegenwart nicht leisten. Immer wieder warf sie Alice verstohlen einen Blick aus ihren katzengleichen Augen zu.
Vielleicht konnte ihr dieses Mädchen doch gefährlicher werden, als sie angenommen hatte.
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The Story of Alice
FantasyVom Tag ihrer Ankunft auf dem Landsitz an, hatte sie das Gefühl, dass ihrer beider Schicksale miteinander verwoben waren. Doch sie hatte nicht geahnt, auf welche Weise. Sie musste sich eingestehen, dass sie sie unterschätzt hatte. Sie hatte Alice nu...