Sie konnte sich nur entfernt ausmalen, wie es Kate da erst gehen musste. Ihre Liebe zu Alexander Red stand unter einem noch viel schlechteren Stern. Alice fragte sich, was wohl passiert wäre, wenn die beiden sich an einem anderen Ort und unter anderen Umständen begegnet wären. Hätte Kate eine Chance bei Alexander gehabt? Hatte sie selbst überhaupt eine Chance und was noch viel wichtiger war, war sie sich ihrer Gefühle für Shiki wirklich absolut sicher?
Lange wälzte Alice sich hin und her. Doch sie fand keinen Schlaf. In ihrem Zimmer war es viel zu warm. Doch nach den Ereignissen der vorangegangenen Nacht traute sie sich nicht mehr das Fenster viel mehr als einen Spalt breit zu öffnen.
Die Stunden tickten unaufhaltsam weiter. Doch Alice war hellwach. Vermutlich lag es ein bisschen am Vollmond. Im Haus war es nun vollends still geworden. Wahrscheinlich schliefen sie alle seelenruhig und träumten dem Morgen entgegen.
Eine Weile lag Alice einfach nur da und starrte die Decke an. Sie überlegte, sich einfach ein wenig in den Gemeinschaftsraum vor den Kamin zu setzen, doch alleine schien ihr das ein wenig albern. Außerdem hatte sie keine Ahnung, wie man den Kamin richtig anzündete. Auch ein nächtliches Bad fiel aus, da die Wasserleitungen die anderen stören könnten und Alice wollte nicht schon wieder negativ auffallen. Es reichte ihr schon, dass sie alle für ein kleines Mädchen hielt, dass bei einem harmlosen Albtraum schreiend und weinend im Dunkeln herumlief und auf die Hilfe anderer hoffte. Anderer, die ihren Schlaf mindestens genauso brauchten wie Alice selbst.
Plötzlich verspürte Alice einen unbändigen Durst. Sie griff nach dem Wasserglas auf ihrem Nachttisch, musste jedoch feststellen, dass es leer war. Seufzend stand sie auf und machte sich auf den Weg ins Badezimmer, um es aufzufüllen. Versonnen sah sie aus dem Fenster. Der Wald hinter dem Haus wurde vom Mond in ein sanftes Licht getaucht. Dort draußen war es gerade bestimmt angenehm kühl, im Vergleich zum aufgeheizten Wohnhaus. Gerne hätte sie einen kleinen Spaziergang über das weitläufige Gelände gemacht, doch auch das war verboten.Ein leises Klacken riss sie aus ihren Gedanken. Eine Tür draußen auf dem Flur hatte sich geöffnet. Alice rechnete damit, dass Kate oder Cordelia das Bad betreten würden, doch niemand kam. Neugierig spähte sie auf den Flur hinaus und erkannte gerade noch Cordelias Haarband. Alice war ein wenig überrascht, dass sie um diese Uhrzeit umherwanderte. In der gestrigen Nacht war Cordelia noch so aufgebracht gewesen, weil Alice sie aus dem Schlaf gerissen hatte und nun lief sie des Nachts durchs Haus. Auf Zehenspitzen schlich sich Alice bis zum oberen Absatz der Treppe und lauschte in die Stille. Zunächst hatte sie angenommen, Cordelia würde vielleicht in die Küche gehen, doch von dort war kein Geräusch zu vernehmen. Stattdessen hörte sie, wie die Eingangstür ins Schloss fiel. War Cordelia etwa wirklich hinausgegangen? Leise schlich Alice sich die Treppe hinunter und schaute durch eines der Fenster, die zum Haupthaus hin zeigten. Ein Stück weit entfernt konnte sie im fahlen Mondlicht Cordelias Silhouette erkennen. Sie lief zielstrebig auf das Haupthaus zu. Nun war Alices Neugier geweckt. Wie eine Katze schlich sie sich aus dem Haus und folgte Cordelia in großem Abstand durch die Nacht. Es war kälter, als sie angenommen hatte. Immer wieder lief ihr eine Gänsehaut über den Körper. Sie hätte sich besser einen Mantel übergezogen. Doch dafür war keine Zeit geblieben, denn sonst hätte sie Cordelia aus den Augen verloren.
Bis zu den Rosengärten war diese den bekannten Weg entlang gelaufen, doch nun bog sie ab und umrundete die Rosenbeete. Alice beobachtete, wie sie durch einen Seiteneingang des Haupthauses verschwand.
Unauffällig folgte sie ihr und fand sich plötzlich im Innenhof des riesigen Gebäudes wieder. Im Schutze der beiden massiven Flügel erstreckte sich ein langes grünes Gartenstück, wie eine kleine Oase zwischen den hohen Mauern. Die Fenster rund herum hatten jedoch etwas Bedrohliches. Wie Augen, die einen bei jedem Schritt zu beobachten schienen. Ein bisschen mulmig war es Alice schon. Cordelia hingegen schien sich nicht daran zu stören. Sie setzte ihren Weg unbeirrt fort, bis zum Ende des Innenhofes.
Dahinter lag, etwas versteckt, ein weiterer kleiner Garten. Als Cordelia plötzlich stehen blieb, versteckte Alice sich schnell im Schatten einer Säule. Von hier aus konnte sie das Geschehen gut überblicken. Sie hörte, wie Cordelia jemanden freundlich begrüßte und sah das feine Lächeln auf ihren Lippen. Mit wem traf sie sich bloß mitten in der Nacht?
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The Story of Alice
FantasyVom Tag ihrer Ankunft auf dem Landsitz an, hatte sie das Gefühl, dass ihrer beider Schicksale miteinander verwoben waren. Doch sie hatte nicht geahnt, auf welche Weise. Sie musste sich eingestehen, dass sie sie unterschätzt hatte. Sie hatte Alice nu...