Kapitel 2.2

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Ein leises Klacken und ein Räuspern direkt hinter ihr, ließen Alice vor Schreck hochfahren. Beinahe gleichzeitig drehte sie sich um und blickte einem Mann in die Augen, der mindestens einen Kopf größer war als sie. Seine Augen waren so schmal geschnitten, dass sie ihm eine bedrohliche Aura verliehen und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, mit dem er von oben auf sie herabblickte, war er nicht sehr erfreut sie zu sehen.

"Guten Tag", sagte Alice höflich und machte einen Schritt zurück. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es nicht schaden konnte ein wenig Abstand zwischen ihnen herzustellen. Doch dadurch guckte er nur noch grimmiger.

"Ich bin..."

"Das neue Zimmermädchen", beendete er den Satz für sie und musterte sie scharf. Das gab Alice die kurze Gelegenheit ihn ebenfalls etwas eingehender zu betrachten. Er trug einen schwarzen Anzug. Darunter erkannte Alice eine ebenso schwarze Weste und ein weißes Hemd mit goldenen Manschettenknöpfen. Um den Kragen seines Hemdes hatte er ein dunkles Band gebunden, das kunstvoll zu einer Art Schleife geknotet war. Alles an ihm, vom Scheitel bis zur Sohle schien makellos. Die Haare trug er ein wenig länger, so dass sie ihm an den Seiten ein wenig ins Gesicht fielen. Dennoch sah es sehr gepflegt aus. Auch auf seiner Kleidung konnte Alice keine einzige Falte erkennen. Sogar seine schwarzen Schuhe glänzten im Sonnenlicht.

"Hier entlang!", sagte er bestimmt und forderte Alice mit einem weiteren Blick aus seinen bedrohlich wirkenden, raubtierartigen Augen auf, ihr zu folgen. Unsicher folgte sie ihm stillschweigend.

"Hatten Sie eine gute Anreise?", fragte er. Es klang jedoch nicht sonderlich interessiert.

"Ja, danke", antwortete Alice etwas verwirrt. Es war besser am Anfang nicht zu viel zu sagen.

"Ich werde Ihnen zunächst das Personalhaus zeigen. Dort werden sie zusammen mit dem Rest der Bediensteten essen und schlafen", sagte er. Bei dem Gedanken, dass sie von nun an mit diesem Mann unter einem Dach leben sollte, fröstelte es Alice. Auch wenn es sich nur um eine Art Wohngemeinschaft handelte, war ihr nicht wohl dabei, denn er schien sie nicht besonders zu mögen. Was wenn es ihr mit den anderen Bediensteten auch so erging? Wenn alle so waren wie er, dann würde dies der Anfang eines Albtraums werden. Plötzlich wurde es Alice schwer ums Herz und sie begann ihr Leben im Waisenhaus zu vermissen.

"Es gibt nur zwei Regeln, an die Sie sich halten müssen", fuhr er fort. "Beziehungen innerhalb der Belegschaft sind strengstens untersagt. Ebenso das Umherwandern auf dem Gelände und im Haupthaus nach Sonnenuntergang. Ich möchte Ihnen empfehlen, sich daran zu halten, wenn sie nicht Ihre sofortige Kündigung riskieren möchten."

Ihr Weg führte sie entlang der Rosenbeete in Richtung des Haupthauses. Je näher es kam, desto bedrohlicher wirkte es.

Plötzlich änderte der Mann seine Richtung und bog nach rechts ab. In einiger Entfernung konnte Alice ein kleines weiß gestrichenes Haus erkennen. Das musste das Personalhaus sein, von dem er gesprochen hatte. Es sah viel freundlicher und einladender aus als das Haupthaus. Direkt dahinter begann der Wald, durch den sie auf der Fahrt gekommen war.

Der Mann ging ohne zu zögern durch die Eingangstür und marschierte den Flur entlang. Alice folgte ihm eilig und stieg mit ihm eine Treppe in den ersten Stock empor. Vor der ersten Tür auf der linken Seite des langen Flures blieb er stehen und öffnete sie.

"Dies ist ihr Zimmer", sagte er.

Vorsichtig ging Alice an ihm vorbei und betrat das Zimmer. Er folgte ihr jedoch nicht, sondern blieb in der Tür stehen. Schnell huschte ihr Blick über die Einrichtung des kleinen Zimmers. Ein großes Fenster, das zum Wald hinauszeigte ließ gerade genug Licht herein, dass die frühe Nachmittagssonne den Raum in ein gedämpftes Licht tauchte. Der Boden war mit alten Dielen belegt. Unter dem Fenster befand sich eine kleine Kommode. Daneben stand ein Bett, das sehr gemütlich wirkte. Auf der anderen Seite des Raumes befand sich ein geräumiger Kleiderschrank. Ein bisschen erinnerte es sie an ihr Zimmer bei Mrs. Carol, nur dass es nicht bunt, sondern weiß gestrichen war.

The Story of AliceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt