Kapitel 6.1

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Als Alice die Augen aufschlug fand sie sich in ihrem eigenen Bett wieder. Die Sonne schien hell durch das geschlossene Fenster herein und tauchte das Zimmer in ein goldenes Licht.
Sie versuchte sich die Ereignisse der letzten Nacht in Erinnerung zu rufen. Das letzte woran sie sich erinnern konnte, war, dass Shiki ihr etwas vorgelesen hatte. Sie musste dabei eingeschlafen sein. Bestimmt hatte er sie danach in ihr Zimmer getragen.
Schnell stand sie auf und zog sich ihr Arbeitskleid an. Dann lief sie hinunter in die Küche. Dort saßen bereits Kate und Cordelia beim Frühstück, Von Thomas und Shiki fehlte, wie am Abend zuvor, jede Spur. Kate begrüßte sie fröhlich, während Cordelia sie missbilligend ansah. Alice war klar warum. Sie hatte sie mitten in der Nacht aus ihrem Schönheitsschlaf gerissen. Laut Kate verzieh sie das niemandem so schnell. Und so herrschte mehr oder weniger ein peinliches Schweigen am Frühstückstisch.
"Geht's dir wieder besser?", fragte Kate.
"Ja, tut mir leid, dass ich euch geweckt habe. Ich habe wohl wirklich nur geträumt."
Cordelia schnaubte vernehmbar. "Wenn du das nächste Mal irgendwelche Gespenster siehst, klopf gefälligst irgendwo an und schrei nicht das ganze Haus zusammen."
"Hast du wenigstens den Rest der Nacht schlafen können?", fragte Kate.
Cordelia stand ruckartig vom Tisch auf. "Mir reicht's! Ich will das nicht hören!", sagte sie barsch. Ärgerlich verließ sie die Küche und warf Alice dabei einen vernichtenden Blick zu.
"Was ist der denn über die Leber gelaufen? Nur weil sie heute Nacht mal fünf Minuten wach war, muss sie sich doch nicht gleich so aufführen", sagte Kate und schüttelte verständnislos den Kopf. "Aber lustig war es schon irgendwie. Also ich meine, wie Thomas da nur im Handtuch rumstand", fügte sie kichern hinzu. "Jetzt hast du was, woran du denken kannst, wenn er das nächste Mal gemein zu dir ist."
Alice bezweifelte, dass Thomas die Sache genau so lustig fand wie Kate. Er hatte nicht gerade sehr erfreut darüber gewirkt, dass sie ihn in diesem Aufzug gesehen hatte und mit Sicherheit würde er sie das bei Gelegenheit noch spüre lassen.
"Hast du wirklich ein Monster gesehen?", fragte Kate.
"Ich bin mir selbst nicht mehr so ganz sicher", sagte Alice verwirrt.
"Wie hat es denn ausgesehen?"
"Wie eine Katze."
"Aber Katzen finde ich jetzt nicht wirklich gruselig."
"Die Katze war ja auch plötzlich ein Mensch. Also eigentlich ein Junge mit Katzenohren und einem Katzenschwanz und er hat mit mir gesprochen."
"Ok, das ist doch gruselig", sagte Kate. "Aber das klingt wirklich sehr nach einem Albtraum."
"Wahrscheinlich hast du Recht. Das ist mir so unheimlich peinlich."
"Ach, das muss es doch nicht sein. Das kann jedem Mal passieren. Als Kind hatte ich ganz oft Albträume und hab Thomas mitten in der Nacht geweckt. Der kennt das also schon." Sie grinste breit.
"Naja, und Cordelia ist einfach ein Morgenmuffel", fügte Kate hinzu. "Ich schätze das musst du nicht persönlich nehmen. Sie hat einfach schlechte Laune. Auch wenn es heute Morgen besonders stark ausgeprägt ist."
Das sagte sich so leicht. Kate hatte sie ja auch nicht mit diesem strafenden Blick angefunkelt. Wenn sie nur wüsste, warum Cordelia ihr mit einem Mal so feindlich gesinnt war. Daran, dass sie sie mit ihrem Geschreie geweckt hatte, allein, konnte es wohl kaum liegen.
Alice überlegte fieberhaft, womit sie sie sonst noch verärgert haben könnte, doch ihr fiel nichts ein. Vielleicht hatte Kate Recht und sie bildete sich das Ganze nur ein.
"Da fällt mir gerade etwas ein. Heute Abend kommt der Speiselieferant. Wir geben ihm immer eine Bestellliste mit auf der wir unsere gemeinsamen und persönlichen Wünsche eintragen. Wenn du etwas Bestimmtes möchtest, schreib es einfach auf den Zettel." Kate deutete auf ein Stück Papier, das mit einem Magnet am Kühlschrank befestigt war.
"Warum wird das Essen eigentlich geliefert?", fragte Alice. "Die Küche drüben im Haus wird ja auch nicht benutzt."
"Mrs. Red mag keine Unordnung und keine Essensgerüche, die sich im Haus verteilen könnten. Deswegen lässt sie ins Haupthaus nur Essen vom Caterer liefern. Aber mal unter uns gesprochen, ich glaube sie hat nur Angst davor, dass sie einer von ihren Angestellten vergiften könnte."
"Ist sowas denn schon mal passiert?"
"Nein, bisher noch nicht. Aber vielleicht wird man ja ein wenig paranoid, wenn man so reich ist wie sie. Womöglich hat sie Angst, dass sie jemand beseitigen will, um an ihr Geld zu kommen."
Alice dachte kurz darüber nach und kam zu dem Schluss, dass Kate womöglich Recht haben könnte. Bisher hatte sie sich Reichtum immer als etwas Sorgloses vorgestellt, doch jetzt, da Kate es sagte, kamen ihr erste Zweifel. Geld machte wohl doch nicht so glücklich, wie sie gedacht hatte. Da war es ihr lieber, mit wenig auskommen zu müssen.

The Story of AliceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt