Das, was sich vor meinen Augen abspielte, war noch grausamer als ich es mir vorgestellt hatte. Das Krankenhaus war leer. Die Menschen waren wirklich noch rechtzeitig evakuiert worden. Das hatte man mir jedenfalls gesagt. Als ich jedoch über die dunklen Flure lief, nur die Notbeleuchtung die dürftig Licht spendete, hörte ich immer wieder Stöhnen und Hilferufe. Menschen steckten unter den Trümmern des zerstörten Gebäudes, erstickten und ich konnte ihnen nicht helfen. Es waren einfach zu viele.
Immer wieder hielt ich an, versuchte Menschen zu befreien, die selbst nicht dazu in der Lage waren. Irgendwann hörte ich auf zu zählen, die Intensivstation noch nicht einmal in Sicht.Ich würde es nicht schaffen. Selbst wenn meine Mutter irgendwo dort oben war, die Chance das sie überlebt hatte...sie waren einfach zu gering, als das ich mir hätte erlauben können zu hoffen.
"Mama!"
Ein spitzer Schrei ließ mich herumfahren. Trotz der einsetzenden Erschöpfung machte ich Kehrt und rannte auf den Ursprung des Schreies zu. Die weinerliche Stimme eines kleinen Jungen drang immer lauter zu mir, je näher ich der Schwesternstation kam. Ich stieg über eines der umgefallenen Krankenbette, welches mitten auf dem Flur stand und und wandte mich der Tür zu, hinter welcher ich das herzzerreißende Schluchzen vernahm. Bedacht langsam öffnete ich sie und trat vorsichtig ein. Abrupt verstummte das Weinen.
Mit zusammengekniffenen Augen suchte ich den dunklen Raum ab."Hallo? Ist hier jemand?", fragte ich leise, während ich durch das Zimmer schlich.
Als ich keine Antwort erhielt, öffnete ich die Tür zum angrenzenden Bad und sah mich um. Leer.
Ich drehte mich um und ging in das Zimmer zurück. Die Stimme war eindeutig die eines kleinen Kindes gewesen. Plötzlich hatte ich eine Idee. Als ich klein gewesen war, hatten mich die Alpträume aus meiner Vergangenheit immer zu Tode erschreckt. Niemand schien mich beruhigen zu können, weil ich immer die Angst verspürt hatte, dass jede Minute fremde Menschen kommen und mich holen würden. Zusammen mit meinem Plüschhasen hatte ich mich immer unter meinem Bett oder im Kleiderschrank versteckt. Ein natürlicher Impuls, dem viele Kinder folgten.
Ich ging meiner Vermutung nach und sah zuerst in dem hölzernen Kleiderschrank nach. Und tatsächlich sahen mich aus der hinteren Ecke, unter einem der Regalbretter zwei verschreckte Augen an. Sie gehörtem zu einem blonden Jungen, der die dünnen Arme um die Knie geschlungen hatte und dessen Körper fürchterlich zitterte.
Ich lächelte beruhigend und ging in die Hocke."Hey, Kleiner. Mein Name ist Liz. Möchtest du mit mir kommen? Ich helfe dir hier raus!", sagte ich leise und hielt ihm meine ausgesteeckte Hand hin.
Ich wollte gar nicht wissen, welchen Eindruck ich auf das schon zu Tode verängstigte Kind machte. Blut und Dreck klebten mir in Gesicht und Haaren. Anzug und Haut zerkratzt und mit Einschnitten überzogen. Und dennoch lächelte ich tapfer auf den Jungen vor mir hinunter.
"Wie heißt du denn?", fragte ich ihn.
Nur sehr langsam begann er zu sprechen.
"Ich will zu meiner Mummy", flüsterte er und begann erneut zu weinen.
"Ich werde dir helfen, okay? Aber wir müssen jetzt hier raus."
Als wolle man die Dringlichkeit meiner Worte unterstreichen, erzitterte das Gebäude unter einem heftigen Beben. Ich hielt mich an den Seiten des Schranks fest und richtete meinen besorgten Blick gen Zimmerdecke. Noch immer griffen die Chitauri den Komplex an, die Struktur drohte in sich zusammenzubrechen. Und noch immer hatte ich die Sation meiner Mutter nicht erreicht.
Der Junge vor mir begann zu schreien und presste sich die kleinen Hände auf die Ohren. Während der Lärm und die Kampfgeräusche von außerhalb zuzunehmen schienen, beschloß ich, dass ich keine Minute mehr vergeuden durfte. Die Zeit rannte mir davon. Mit einem beherzten Griff packte ich den Jungen am Arm und zog ihn aus dem Schrank. Ich hob ihn unter wildem Protestgeschrei hoch und setzte ihn mir auf die Hüfte. Mit einem Arm hielt ich ihn fest, mit dem anderen Griff ich nach dem Stab, den ich dem Chitauri entwunden hatte.
"Gut festhalten!", sagte ich und verließ mit dem Jungen auf dem Arm das Zimmer.
Ich kämpfte mich langsam vorran, bis ich schließlich mein Ziel erreicht hatte. Der kleine Mann hatte sich beruhigt und klammerte sich fest an mich, während sein Blick unruhig durch die Gegend schweifte.
"Wir suchen jetzt meine Mum. Wenn du etwas oder jemanden siehst, sag mir sofort Bescheid, ja?", fragte ich ihn.
Der Blick aus den braunen Augen war zaghaft, aber dass Nicken bestimmt.
"Okay."
Ich drückte ihn an mich und suchte im Laufschritt die gesamte Etage ab. Im Gegensatz zu den anderen Stockwerken, war dieses tatsächlich vollständig geräumt worden. Vielleicht hatte meine Mutter es doch mit den anderen Patienten hinaus geschafft?
Ein erneutes Beben ließ den Boden erzittern und mich aus dem Gleichgewicht geraten. Ich fiel zu Boden, konnte gerade so verhindern, dass der Junge von mir zerdrückt wurde und kam schlitternd im sitzen zum halten. Dieses Beben hörte jedoch nicht einfach nach wenigen Sekunden wieder auf. Es wurde immer stärker. Ein lautes, metallisches Kreischen und Splitterm ertönte und plötzlich rutschte ich zur Seite. Ängstlich klammerte sich der Junge an mir fest und verbarg das Gesicht in meiner Halsbeuge.
"Keine Sorge", ich strich ihm über das wiederspenstige Haar und rappelte mich auf.
Immer mehr neigte sich der Boden unter meinen Füßen zur Seite. Mit starker Schlagseite durchkämmte ich die letzten Flure. Wir mussten hier unbedingt raus! Aber wie sollte ich es so schnell nach draußen schaffen?
Tränen stiegen mir in die Augen, während ich das kleine Kind an mich drückte und im Laufschritt versuchte aus dem Krankenhaus zu fliehen. Immer wieder verlor ich das Gleichgewicht und strauchelte. Plötzlich kippte ich zur Seite, der Junge konnte sich nicht mehr halten und fiel zu Boden. Ich schlitterte über den staubbedeckten Boden und raste geradewegs auf die Fensterfront zu. Immer weiter und weiter neigte sich das Gebäude, bis es sein Eigengewicht in die Knie zwang. Der Beton bröckelte und brach schließlich ein, während die Stahlträger unter dem enormen Druck einfach wegknickten. Das Mercy Hospital fiel mit einem dröhnenden Geräusch zur Seite.
Durch die Fenster erkannte ich die immer näher kommende Straße.
Die nackte Panik schnürte mir die Kehle zu.Verzweifelt warf ich den Kopf herum und suchte nach dem kleinen Jungen. Nur wenige Meter entfernt lag er auf dem Boden und wurde von einem umgeworfenen Getränkeautomaten daran gehindert, auf die Fenster zu zu rutschen.
Während ich auf dem Bauch immer weiter abrutschte, rief ich dem Jungen zu. Panisch musste ich feststellen, dass er das Bewusstsein verloren hatten und nicht auf mich reagierem konnte. Mit Händen und Füßen strampelte ich und versuchte mich an irgendetwas festzuhalten, um meinen unweigerlichen Tod hinauszuzögern.Ich fand Halt an einem der im Boden verschraubten Aktenschränke. Schnell klammerte ich mich an einer der Schubladen fest, während mein Körper langsam in die Höhe gehoben wurde. Sekunden lang schien die Zeit still zu stehen. Ich konnte erkennen, wie der Junge zur Seite rutschte, an seinem sicheren Platz vorbei und auf mich zu. Mit einem wütenden Aufschrei versuchte ich den bewusstlosen Körper zu greifen, als er auf meiner Höhe angelangt war.
Ich bekam ihn nicht zu fassen. Und sann war der Moment vorbei. Wenn die Zeit eben noch stillgestanden hatte, bewegte sie sich jetzt in einer ungeheuren Geschwindigkeit vorwärts. Das Gebäude fiel endgültig, der Junge hob vom Boden ab und flog ungebremst durch die Glasfront.
Ohne zu überlegen ließ ich mich fallen und flog hinter ihm her durch die Luft. Rasend schnell kam das Fenster näher. Ich drehte mich in der Luft und hielt den Atem an. Als ich mich unsichtbar machte, flog ich unbeschadet durch die Scheibe.
Ich riss die Augen auf und entdeckte den Körper des Jungen wenige Meter unter mir in der Luft. In ein paar Sekunden würden wir beide ungeremst auf den Straßen Manhattans aufkommen und sterben. Noch immer versuchte ich die Hand des Kindes zu greifen, reckte ihm meinen Arm entgegen und beinahe hätte ich es geschafft die blasse Hand zu greifen.Um mich herum verstummte der Kampflärm, Chitauri und ihre Fluggleiter verschwanden aus meinem Blickfeld. Trümmer, Wracks, die gesamte Straße unter mir verschwamm zu einem einzigen grauen Schleier. Ich schloss die Augen und versuchte mit meinen Armen mein Gesicht zu schützen. Es war zwecklos.
Ich konnte nur hoffen, dass ich den Aufprall nicht mehr erleben würde.
Das ich nicht mitbekam, wie ich starb.
![](https://img.wattpad.com/cover/23667264-288-k462800.jpg)
DU LIEST GERADE
Shattered Me
ActionNiemals hätte die hochbegabte Elizabeth Hale sich träumen lassen, eines Tages von Fremden am Tag des Abschlussballs entführt und verschleppt zu werden. Die junge Frau ahnt nicht, was und vorallem wer hinter allem steckt. Für Liz beginnt eine aufreg...