Wie zu erwarten dauerte es nicht lange, bis ich mich beruhigt hatte und mir klar wurde, in welcher Situation ich nun steckte.
Meine Mutter hatte einen Vertrauensbruch begangen, den ich ihr so leicht nicht verzeihen konnte. Aber wohin sollte ich sonst, wenn nicht nach Hause? Das Einzige positive war, das ich für immer diese Psychiaterin los geworden war und nie wieder ihr Geschwätz über mich ergehen lassen musste.
Missmutig betrat ich einen kleinen Laden, schloss die Tür hinter mir und sah mich um. Ich war nur eingekehrt, um dem beginnenden Regen der nun auf Straßen, Gebäude und Menschen niederprasselte zu entgehen.
Der Laden entpuppte sich als einfache Bäckerei, in der sich schon etliche Personen aufhielten, entweder um etwas zu kaufen oder nur um im hinteren Bereich eine Sitzgelegenheit zu ergattern und den Regen auszusitzen. Ich streifte meine Jacke ab und suchte mir einen freien Platz in der Ecke einer Sitzgruppe und sah aus dem Fenster. Selbst bei diesem miesen Wetter waren noch immer dutzende Menschen unterwegs, Autos verstopften die Straßen und der Geruch nach Abgasen war noch nicht aus der Luft gewaschen. Wie hypnotisiert starrte ich die vorbei hastenden Menschen an und dachte dabei unentwegt an den fremden Mann, der immer wieder in meinen Erinnerungen auftauchte.
Er trug Anzug und Krawatte, war dunkelhäutig, sein Gesicht war noch jung, seine Augen hatten eine haselnussbraune Farbe. In meiner Erinnerung spielte sich immer ein und dieselbe Szene vor meinem geistigen Auge ab:
Ich saß allein in einem kahlen Raum, vor mir, auf dem Teppichboden, lag ein bemaltes Blatt Papier. Es war übersäht mit kleinen Blumen, Tieren und Wörtern. Wörtern in einer anderen Sprache. Ich konnte sie nicht genau entziffern, immer wenn ich mich näher darauf konzentrierte, verschwamm meine Sicht.
Ich war also alleine in diesem Raum. Und dann ging plötzlich die Tür auf und dieser Mann trat ein. Er nahm mich auf den Arm, als ob ich federleicht wäre und streichelt mir über den Kopf. Warum tat er das? Kannte er mich? War er möglicherweise mit mir verwandt? Er sagte etwas und trug mich aus dem Raum, kurze Zeit später finde ich mich in einem Auto wieder. Wie komme ich dorthin? Ich bemerke wie meine Augen zufallen, ich einschlafe und das Nächste was ich sehe, ist unser Haus, unsere Eingangstür und meine Eltern wie sie mich und den Mann, der mich wieder auf dem Arm hält, verwundert mustern.
Dann ist die Szene vorbei, der Film beginnt von Neuem und ich bleibe unwissend und verwirrt in der Gegenwart zurück.
Ich stützte beide Ellbogen auf dem Tisch vor mir ab und legte meinen Kopf in meine Hände. Das Einzige was mich dazu bringen würde jetzt nicht vollkommen zu verzweifeln, wäre ein riesiger, mit Streuseln bedeckter, Schokoladeneisbecher. Bei der Vorstellung knurrte mein Magen laut auf und peinlich berührt presste ich meine Arme davor. Die Personen in meinem direkten Umfeld musterten mich entweder mitleidig oder argwöhnisch. Wahrscheinlich dachten die, ich würde ihnen gleich ihr Essen klauen und damit über alle Berge abhauen. Naja, so Unrecht hatten sie nicht, das Hungergefühl hatte sich, im wahrsten Sinne des Wortes, lautstark zu Wort gemeldet. Wegen all der Aufregung hatte ich nicht gemerkt, wie lange meine letzte Malzeit her war. Ich begann meine Jackentaschen nach etwas Geld abzusuchen, aber das Einzige das ich fand, war ein Zopfgummi, mein Hausschlüssel und mein Handy. Kein Geld, kein Essen.
Wieder grummelte mein Magen und ich seufzte laut, bevor ich mich erhob und mich unschlüssig umsah. Sollte ich nach Hause, wo mit Sicherheit schon meine Mutter wartete, oder sollte ich tatsächlich Geld zusammen betteln? Oder gleich fragen, ob ich ein Brötchen oder ähnliches gratis bekommen könnte?Ich wollte mich grade in Bewegung setzen, um mich nach Hause zu begeben, denn eine Konfrontation mit meiner Mutter würde sich nicht vermeiden lassen, und dort etwas zu essen, als ich erstarte und die Person musterte, die soeben in den Laden getreten war. Ich seufzte und ging zurück zu meinem Platz und keine Minute später ließ sich die Person neben mir nieder.
"Hey, Schätzchen. Was machst du denn hier? Hast du jetzt nicht eigentlich deine Therapiestunde?"
Mein bester Freund sah mich an und grinste breit.
"Bist wohl abgehau'n, was? Wurde auch Zeit, ich dachte dir fehlt der Mumm dazu."
Missgelaunt drehte ich mich weg und sah wieder aus dem Fenster.
"Hey, was ist denn los? Du weißt doch das ich eben nur Spaß gemacht habe. Liz?"
Langsam drehte ich mich wieder zu meinem besten Freund um und schluckte, aber der Kloß in meinem Hals wollte einfach nicht verschwinden.
"Schon okay. Ich hatte heute einen furchtbaren Tag."
Er legte seinen Arm um meine Schulter und zog mich an sich heran.
"Schieß los, was ist passiert?"
Ich began bei dem Besuch bei Dr. Burton und endete damit, das ich nun hier saß. Verdutzt sah Ian mich an.
"Sie hat also die Liedtexte an die Psycho Tante gegeben? Und warum hast du ihnen nicht einfach die Wahrheit gesagt, das du die Texte für meine Band schreibst?"
Ich stöhnte auf, warum verstand er einfach nicht?
"Weil meine Mutter dann vollkommen übergeschnappt wäre! Sie hätte mir doch sofort verboten mit 'so einem wie dir' meine Zeit zu verbringen."
Ian grinste über beide Ohren und sagte: "Was soll das denn heißen? 'Einer wie ich'?"
Ich knuffte ihn leicht in die Seite, aber das schien ihn nicht im geringsten zu stören.
"Das weißt du doch genau!", meinte ich und verdrehte die Augen. Doch er ließ nicht locker.
"Erklär's mir", forderte er mich auf.
Ich hob meine Hand und zählte die Gründe an meinen Fingern ab.
"Du bist ein Aufreißer, jede Nacht eine Andere.
Du trinkst.
Du behandelst alle von oben herab.
Die meisten deiner Freunde nehmen Drogen.
Du bist unzuverlässig.
Soll ich weiter machen?"Ian lachte und boxte mich gegen die Schulter.
"Hey! Wofür war das denn?", ich stimmte in sein Lachen ein.
"Und was ist mir den guten Seiten? Das ich immer für dich da bin, immer erreichbar? Das ich meine Freizeit, wenn nicht mit dir, mit Musik machen verbringe? Zählt das gar nicht? Und das mit dem trinken stimmt so auch nicht. Nur ab und zu, alles ganz harmlos. Und das mit dem aufreißen...naja, die Richtige muss man erstmal finden."
"Ich weiß doch, du bist mein bester Freund und du weißt das ich dich lieb habe. Ich weiß das ich immer auf dich zählen kann und wenn du mir nicht immer die Namen deiner Liebschaften verpassen würdest, würde ich nicht einmal wegen ihnen etwas sagen. Aber erzähl das alles meiner Mutter! Seid Dads Tod steht sie vollkommen neben sich und ich versuche mir ja Mühe zu geben, aber ich werde immer so unausstehlich in ihrer Gegenwart."
Ich vergrub meinen Kopf zwischen meinen Händen und legte mich seufzend auf die Tischplatte.
Ian legte seine Hand auf meine Haare und brummte vor sich hin. Ich atmete tief durch und bließ die Luft lautstark aus.
"Liz ich wollte dich etwas fragen. Vielleicht hebt das deine Laune?"
Langsam hob ich den Kopf und sah meinen besten Freund mit erhobener Augenbraue an. Er zuckte mit den Schultern."Nichts Schlimmes, vertrau mir. Da du Supergenie das halbe College übersprungen hast, hattest du auch keinen richtigen Abschluss. Und mein Abschluss ist nächste Woche. Unsere Band wurde beauftragt für die passende Musik zu sorgen und da du sozusagen Mitglied bist, weil du unsere Texte schreibst, würde ich sagen, dass wir zusammen zu meinem Abschlussball gehen, dann hast auch du die Erfahrung gemacht."
Ian grinste mich bis über beide Ohren an."Na? Was sagst du?"
____________________________________
Updates jeden Dienstag und Samstag/Sonntag, soweit möglich
Wenn es dir gefällt, hinterlasse mir doch ein Kommentar und/oder ein Vote.
DU LIEST GERADE
Shattered Me
ActionNiemals hätte die hochbegabte Elizabeth Hale sich träumen lassen, eines Tages von Fremden am Tag des Abschlussballs entführt und verschleppt zu werden. Die junge Frau ahnt nicht, was und vorallem wer hinter allem steckt. Für Liz beginnt eine aufreg...