Ich stehe erstarrt vor der Box meiner Stute und bewege keinen Muskel. Nichts. Ich glaube fast, dass ich in diesem Moment nicht geatmet habe. Ich stehe einfach nur da und starre in die mickrige, dunkle Box hinein.
Wahrscheinlich bin ich in eine Art Schockzustand verfallen und weiß nicht mehr, wo und wer ich bin. Für mich zählt in diesem Augenblick nur das, was ich vor mir sehe.In der hintersten Ecke der Box, an die Wand gequetscht, steht Golden Fall, verängstigt, aufgebracht und ruhelos. Angespannt schlägt sie mit dem Schweif, wirft den Kopf hoch und runter, schnaubt atemlos und hektisch, während ihr Blick von einer Seite zur anderen huscht, bedacht darauf, niemanden auf sich aufmerksam zu machen. Das sonst so glänzende Fell ist verklebt, dunkel und dreckig, der Schweif ist verzottelt und mit Stroh verschmutzt. Golden Fall, einst in Hochform, glanzvoll und lebensfroh, steht nun hier, ein eingesperrtes Tier, welches Angst vor allem und jeden hat.
Das sagen auch ihr Augen. Das Weiße blitzt erschrocken auf, als sie mich am Eingang der Box sieht. Sofort reißt sie die Augen auf, bläht die Nüstern und versucht, in die Wand hinter ihr hineinzukriechen, sich vor mir zu verstecken. Sie hat Angst vor mir, pure Angst!In diesem Moment bin ich vollkommen überfordert mit der Situation. Ich habe mir so etwas nie ausgemalt, denn ich bin ja auch nie davon ausgegangen, dass ich mal in so einer Situation wäre. Hilflos und verloren stehe ich vor ihr und weiß nicht, was ich tun soll. Sie hasst mich! Und ich kann es ihr noch nicht einmal übel nehmen, da sie jedes Recht dazu hat. Ich habe ihr Leben zerstört, ich habe aus ihr das gemacht, was sie jetzt ist. Es war meine Aufgabe, auf sie aufzupassen, dass ihr nichts passiert, dass es ihr gut geht. Ich sollte auf sie Acht geben und vorsichtig sein. Ich hatte die Verantwortung für dieses Lebewesen. Und ich bin kläglich gescheitert. Seht euch nur an, was ich mit diesem so wunderbaren Geschöpf angerichtet habe.
Zum ersten Mal in meinem Leben wird mir bewusst, was es heißt, Verantwortung zu tragen und für jemanden zu sorgen. Was es heißt, einen wahren Freund zu haben. Ich habe Golden Fall imner nur als Sportgerät gesehen, als Mittel zum Zweck. Ich bin Turniere geritten, meiner Eltern wegen und für das Geld. Auf mein Pferd habe ich nie geachtet. Dass Golden Fall immer da war, wenn ich sie gebraucht habe, war selbstverständlich für mich. Dass sie immer ihr Bestes gegeben hat, habe ich erwartet. Und dass sie ein Lebewesen wie ich ist, das habe ich völlig ausgeblendet. Für mich zählte Freundschaft zwischen Pferd und Reiter nicht. Es war eine süße Mädchengeschichte, dass das Pferd dem Reiter blindlings vertraut und mit ihm alles gewinnt, was es zu gewinnen gibt. Doch nun sehe ich das Körnchen Wahrheit, welches in jeder erfundenen Geschichte ist.
"Es tut mir so leid"
Golden Falls Ohren zucken nervös und ihr Blick huscht imner wieder zu mir, als würde sie aufpassen, dass ich ihr nicht zu nahe komme.
"Ich wollte, ich könnte all das rückgängig machen", flüstere ich. Eine Träne kullert meine Wange hinunter. Sie vertraut mir nicht. Sie hat mir niemals vertraut!
Ich höre Schritte hinter mir.
"Penny?", sagt Mom leise.
Ich drehe mich langsam um und schaue sie an. Neben ihr steht die Frau, die ich vorhin so unhöflich nach Golden Fall gefragt habe. Diese ergreift auch das Wort."Sie sind sicher gekommen, um sich zu verabschieden?" Es ist mehr eine Frage, als eine Feststellung.
Verständnislos sehe ich zurück zu meiner Mutter. Diese scheint mir die Verwirrung anzusehen und erklärt es mir. Ich wünsche, ich hätte nicht zugehört.
"Sie... Sie wollen sie morgen einschläfern. Also Golden Fall...Mr. Forley hat es verlangt..."
Ich schlucke und brauche eine Weile, um zu verstehen, was Mom gerade gesagt hat. Einschläfern. Einschläfern soll man sie. Tot will man sie sehen. Wie... wie kann man nur so herzlos sein? Selbst Mr. Forley müsste doch so viel Herz besitzen um Golden Fall noch eine Chance zu geben! Man kann sie doch nicht einfach umbringen! Nicht wegen einem Fehler, an dem noch nicht einmal sie die Schuld trägt!
"Das können Sie nicht tun! Sie dürfen Golden Fall nicht töten!", rufe ich aufgebracht. Ich merke erst jetzt, wie wenig ich meine Stute geschätzt habe. Und jetzt, wo ich sie verlieren kann, erst jetzt versuche ich etwas für sie zu tun.
"Diese Entscheidung liegt nicht ein meiner Hand, Mädchen", sagt die Frau und schaut mich mitleidig an.
"Penny, sieh es doch ein, man kann sie nicht mehr reiten! Sie ist ein Turnierpferd und wenn sie nicht geritten wird, geht es ihr viel schlechter, als wenn wir sie nun erlösen. Es ist doch nur zu ihrem Besten.", redet nun auch Mom auf mich ein.
Trotzig schüttle ich den Kopf und presse die Lippen aufeinander. Ich sehe es ein, will es aber nicht wahrhaben. Es kann doch nicht das Ende sein.
"Komm jetzt, Penelope, wir müssen los.", sagt Mom leise und reicht mir die Hand. Ich will nicht. Ich will nicht. Aber ich muss.
Ein letztes Mal drehe ich mich zu der Stute. Die Stute, die mich zum Jugendchampionat getragen hat. Die Stute, die für mich gesprungen ist, obwohl sie wusste, dass es nicht geht. Die Stute, die alles für mich gegeben hat.
Mein Herz blutet, als ich sie ansehe und mein schlechtes Gewissen verschlimmert sich immer mehr. Ich habe ihr das alles angetan.Als ich im Auto sitze, kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Hemmungslos weine ich, schluchze nir die Seele aus dem Leib. Ich will nur noch hier weg. Weg von all dem, was in den letzten Tagen passiert ist und in den nächsten Tagen passieren wird.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, die ich im Auto saß und verzweifelt versuchte, meine Probleme und Sorgen wegzuweinen. Doch irgendwann hält der Wagen und meine Mutter schaltet den Motor ab. Dann wendet sie sich mir zu:"Penny, ich weiß, es ist noch früh, aber wir müssen gucken, wie wir weitermachen."
Sie lässt eine kurze Pause, wahrscheinlich, damit ich Zeit habe, mich zu sammeln.
"Willst du weiter reiten? Nach so einem Unfall kann es dir keiner verübeln, wenn du aufhörst..."
Ich überlege kurz. Will ich das? Will ich mit dem Reiten aufhören und dann nach dem Abitur und Studium ein Beruf erlernen, der mich zwingt, tagein tagaus im Büro zu sitzen? Nie wieder die Freiheit spüren, wenn man im Gelände die Zügel loslässt. Nie wieder die Kraft des Lebewesens, auf dessen Rücken ich Platz nehmen durfte, spüren. Nie wieder fliegen?
Ich denke nicht. Ich muss weitermachen. Nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann werde ich wieder auf Turnieren abräumen und die Leute werden wissen, wer Penelope Kron ist."Ich reite weiter."
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Heyho!
Zuerst mal tut es mir wirklich leid, dass so lang nichts gekommen ist, aber meine private Situation (kann man das so sagen? ) ist gerade ziemlich s****. Ich versuch jetzt wieder öfter zu schreiben, wirklich!
Naja und sonst hab ich noch die Frage, ob ihr auch mal ein Erlebnis hattet, das euch auf den Boden gebracht hat und ihr danach von vorne anfangen musstet. Schreibt es mal in die Kommis, ich freu mich!
Hab euch lieb! ♡
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In your head
RandomNach einem unerwarteten Ende der Springkarriere als Nachwuchsreiterin findet Penelope Kron sich plötzlich wieder ganz unten. Ihr ehemaliges Pferd ist verstorben, ihr Vertrauen zu den Vierbeinern hat sie verloren, ihr Trainer will ihr nicht helfen, s...