Elf

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Schweigend führe ich Illusion, der langsam hinter mir hertrottet, zurück in den Stall. Das dumpfe Klackern seiner Hufe erschallt, als wir durch die Stallgasse bis vor seine Box kommen, wo ich ihn dann anbinde. Von dem Glücksgefühl nach der ersten Reitstunde ist nichts mehr übrig, ich fühle mich wie ein Häufchen Elend und will nur noch hier weg. So habe ich mir diese Stunde nicht vorgestellt.
Vorsichtig wendet Illusion den Kopf und sieht mich mit großen, dunklen Augen an. Ich sehe schnell weg, schnappe mir eine Bürste und säubere seine Beine von Sand. Daraufhin stupst der Große mich sanft mit der weichen Nase am Rücken an und schnaubt leise. Ich bürste ein wenig energischer. Ich bin so enttäuscht und wütend auf mich selbst, dass ich ihm jetzt nicht in die Augen sehen kann. Erst als er fast unhörbar wiehert, nur ganz leise, da richte ich mich auf und lasse meine Hand an seinem Hals entlanggleiten.
"Tut mir leid, dass ich dir das angetan habe", flüstere ich. Es zerbricht mir fast das Herz, dass er so vorsichtig mit mir umgeht, als wüsste er ganz genau, wie es mir geht.
"Ich glaube, ich kann das einfach nicht.", meine ich, eher zu mir selbst als zu ihm. Illusion schaut mich unentwegt an, als würde er mich verstehen wollen, es aber nicht können. Es schaut so süß aus, dass sich ein kleines, fast unmerkliches Lächeln über mein Gesicht zieht. Nur ganz kurz, ein Zucken. Doch es ist da und bessert meine Laune erheblich.
"Du bist ein tolles Pferd!", flüstere ich ihm zu, "und irgendwann wirst du jemanden finden, der zu dir passt!" Dann gebe ich ihm einen leichten Kuss auf die Nase, führe ihn in seine Box, schließe die Tür und gehe ein wenig erleichtert aus dem Stall. Illusion lasse ich hinter mir, wir beide sind einfach nicht füreinander bestimmt. Es ist gut, dass ich das eingesehen habe.

"Penny, was da vorhin passiert ist...", sagt Olivy, als sie mich erblickt und auf mich zuläuft. Ich winke ab.
"Schon gut, Illusion und ich haben das sozusagen geklärt. Wir passen nicht zusammen.", meine ich und zwinge mich zu einem Lächeln.
Jetzt schaltet sich Mom ein: "Wirst du reiten? Wenn ja, wen?"
Darauf weiß ich auch keine Antwort. Klar, reiten möchte ich schon, der Ehrgeiz hat mich gepackt, doch bei der zweiten Frage kommen die Zweifel auf. Wen will ich denn reiten? Woher soll ich das Pferd bekommen? Gibt es überhaupt noch ein Pferd für mich?
Olivy scheint die Lösung zu haben, wie immer. Sie öffnet den Mund, doch bevor ein Vorschlag kommt, sage ich schnell: "Aber bitte kein verunsichertes, junges Pferd, das mehr Sicherheit braucht, als ich ihm geben kann!"
Sie lacht kurz auf und schüttelt dann den Kopf. "Nein, nein! Es handelt sich um eine selbstbewusste, lebhafte Stute. Morgen kommt sie an."
Diese Nachricht macht mich stutzig. "Wie, morgen kommt sie an? Sie ist noch gar nicht hier? Woher willst du denn wiss-...?"
"Ich kenne sie von klein auf. Sie ist die Tochter eines erfolgreichen Hengstes aus der Zucht eines Bekannten.", unterbricht mich Olivy und behinnt zu schwärmen, "Die Mutter ist ebenfalls berühmt. Sie war schon damals sehr vielversprechend, als sie gerade erst ein paar Monate alt war. Mittlerweile ist sie sechs und top ausgebildet, von einem Freund von mir."
Noch dazu, erzählt mir Olivy, soll sie ordentlich Temperament haben, jedoch brav im Umgang sein. Sie zeigt mir ein paar Fotos.
"Hier ist sie ein halbes Jahr alt", sagt Olivy begeistert und reicht mir ein Foto. Darauf erkenne ich ein über die Wiese tobendes, staksiges Fohlen, rabenschwarz wie die Mutter.
"Ist sie ein Rappe geblieben?", frage ich.
"Nein, ein wenig heller und brauner. Jetzt ist sie eine hübsche Dunkelbraune.", meint Olivy. "Da, schau! Vier Jahre."
Auf dieser Fotografie sehe ich eine junge Stute. Die dürren Beine sind muskulöser, die Schulter kräftiger, die Kopfpartie feiner, allgemein, sie ist viel erwachsener und besser gebaut. Sie wirkt wie ein Feuerball. Diese aufrechte Haltung, diese Bodenständigkeit und doch das Sanfte in den Augen. Sie erinnert mich an Golden Fall.
"Ziemlich klein, nicht?", bemerkt Mom und reißt mich aus meinen Gedanken.
"Ja, einen Meter fünfundsechzig, aber Talent und Ehrgeiz hat sie, das machen sie wett!", kontert Olivy.
Auch ich sehe die Größe als kleinstes Problem. Wenn sie so gut ist, wie ihre Vorfahren es waren und Olivy sagt, dann wird sie es auch schaffen. Doch bevor ich darüber urteile, will ich sie ersteinmal sehen.
"Vierzehn Uhr soll sie kommen."
Mom nickt und schreibt den Termin sofort in ihren Kalender. Dann verabschiedet sie sich und macht sich auf den Weg zum Auto. Ich wende mich nochmal an Olivy.
"Ws wird mit Illusion?"
Sie lächelt mich wissend an. "Er hat hier ein paar Pfleger, die sich um ihn kümmern. Mach dir keine Sorgen um ihn, es wird ihm gut gehen."
"Und man wird ihn keinen Schaden zufügen?", hake ich nach.
"Wieso sollte ich? Hat er etwas Schlimmes getan? Hör zu, Penny..", sagt Olivy leiser. Sie scheint mich und meine Sorge zu verstehen, "Ich bin nicht Mr. Forley. Bei mir wird kein Pferd bestraft nur weil es nicht springt, wie es springen soll. Es war weder deine noch seine Schuld, dass das mit euch nicht geklappt hat."
"Es wird ihm gut gehen?"
"Das wird es. Ich dachte, wir beide kennen uns mittlerweile und du vertraust mir doch, oder?" Sie schmunzelt mich an. Ich lächle vorsichtig zurück, nicke dann und drehe mich um.
"Du kannst ihn jederzeit sehen und reiten, wenn du willst. Er ist ja da!", meint Olivy zum Abschied. Ich schaue nochmal zurück und sehe sie an. Ihre Augen strahlen Ruhe und Vertrauen aus. Ich weiß nun, dass Illusion bei ihr gut aufgehoben ist. Sie ist nicht Mr. Forley.

"War alles okay bei euch?", fragt Mom, als ich im Auto sitze.
"Ja, ja. Ich habe sie nur nochmal etwas wegen Illusion gefragt.", meine ich.
"Er ist dir ans Herz gewachsen, stimmt's?"
Langsam sehe ich aus dem Fenster. Illusion ist mir wirklich wichtig. Er war derjenige, der mir gezeigt hat, dass ich reiten kann und will. Er hat mir diesen Ansporn und das nötige Vertrauen gegeben. Er hat mir geholfen, als es kein anderer konnte. Ohne ihn wäre ich heute nicht so weit. Natürlich ist er mir wichtig und ich bin froh, dass er in so guten Händen ist.
"Ja, das ist er.", sage ich leise und sehe die Bäume an mir vorbeiziehen.

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Hey! Kurze Frage: wie findet ihr es, dass sie und Illusion jetzt dich nicht das "Siegerteam" sind? Schlimm? Gut? Habt ihr es erwartet? Kam's überraschend? Schreibt mal! :)

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