Die nächsten Tage verlaufen ungefähr so, wie ich mir ein Leben in New York vorstelle. Hektisch, ein Hauch einer Unordnung, jedoch nicht zielloses Durch-die-Gegend-Rennen, sondern einem strikten Zeitplan folgend. Mom versucht mit großer Ausdauer, mir die besten Voraussetzungen für meine weitere Reitkarriere zu schaffen. Sie hetzt mich durch alle möglichen Reitgeschäfte, sitzt morgens und abends mit dem Laptop vor der Nase und besucht unterschiedlichste Pferdesport-Websites und platzt immer wieder in mein Zimmer mit der Aussage: "Komm schnell, das musst du dir ansehen!" Meist handelt es sich nur um ein neues Modell einer bestimmten Reithose oder ein superfunktionstüchtiger, brandneuer Spitzenhelm, den man unbedingt haben muss. Als wir mal wieder in einem Reitladen sind, rennt sie wie immer durch die Regale, packt dieses und jenes ein und zerrt mich dann in die Umkleide. Ich versuche wirklich, ihr das alles auszureden, mit der Begründung, ich hätte doch schon das nötige Reit-Equipment, doch davon will Mom nichts hören. Ihrer Meinung nach gehört zu einem neuen Pferd eine neue Ausstattung. Umso erleichterter bin ich dann, als sie an der Kasse bemerkt, dass sie das Portemonnaie vergessen hat und wir die Sachen allesamt zurückräumen müssen.
Auf dem Nachhauseweg zuckt Mom schließlich nur mit den Achseln und meint, ich habe recht, wir bräuchten das ganze Zeug nun wirklich nicht. Damit ist diese Sache gegessen.
Was mir jedoch auch noch Bauchschmerzen bereitet, ist der noch fehlende Name für meine kleine Stute. Olivy sagte zwar, das hätte Zeit bis zum ersten Turnierstart und der sei ja noch weit weg, ich allerdings würde gern mit einem Pferd arbeiten, das einen Namen hat. Es fühlt sich einfach nicht richtig an, dass sie keinen Namen hat. Ich finde, das gehört nunmal dazu, weshalb ich mir auch schon tagein, tagaus den Kopf darüber zerbreche. Wie soll sie nur heißen? Welcher Name passt zu ihr? Ich möchte die Kleine auch nicht enttäuschen, indem ich ihr einen einfallslosen Namen gebe, der sozusagen eine Notfallslösung ist. Und dass sie unmöglich "Schraube" heißen kann, versteht sich von selbst!"Wie kann ich sie nur nennen?", frage ich Mom in meiner inneren Verzweiflung. Diese lächelt mich verständlich an und meint dann: "Lass dir bei so etwas Zeit. Stress schränkt dich nur ein."
"Aber sie braucht doch einen Namen!", sage ich sofort und kaue wütend auf meiner Unterlippe. Einen Namen, einen einzigen Namen brauche ich.
"Okay, wir überlegen mal. Was hast du gedacht, als du sie das erste Mal gesehen hast? Also, als sie aus dem Hänger kam.", fragt mich Mom und sieht mich prüfend an.
Ich wühle tief in meiner Erinnerung und fasse einen kleinen Gedanken auf.
"Was für ein Pferd!", sage ich leise, "Ihre Ausstrahlung war unglaublich..."
"Schon mal ein Anfang, aber nicht das, was ich will. Nun gut, was hast du gefühlt?", quetscht sie mich weiter aus. Nun fühle ich mich wie in einer Talkshow.
"Ähm, ich weiß nicht...", stottere ich, "Stolz, vielleicht. Und Aufregung." Mehr fällt mir nicht ein.
"Mehr nicht? Kein bestimmtes Gefühl, dass dich absolut überwältigt hat?", stochert Mom nun in mir herum.
Plötzlich kann ich mich wieder erinnern. Es war nur ganz kurz da, als ich sie das erste Mal gesehen habe. Es wurde von den anderen Gefühlen fast augenblicklich wieder überdeckt, weshalb ich es wahrscheinlich vergessen habe. Aber es war da, und es hat mich erfüllt bis in die Fingerspitzen.
Mom scheint mir anzusehen, dass ich es erkannt habe.
"Na siehst du, es geht doch", meint sie zufrieden, "Und jetzt nur noch in einen Namen verpacken, eine Schleife drumbinden und abschicken."
Ich strahle über das ganze Gesicht, als wir auf Olivys Hof fahren."Hallo, ihr beiden! Wie geht's?", werden wir von unserer Freundin begrüßen, die uns dem Anschein nach schon erwartet hat, denn sie stand, als wir ankamen, auf der zum Hof ausgerichteten Terasse.
"Alles super, bei dir?", berichtet Mom und schlägt die Autotür hinter sich zu. Ich steige ebenfalls aus, mache mich aber nach einer kurzen Begrüßung sofort auf in den Stall.Das leise Schnauben der Pferde und das malmende Geräusch empfängt mich, als ich in das sandfarbene Gebäude trete. Sofort ist wieder diese umbeschreibliche Atmosphäre da, die mich schon immer gefangen hat. Niemals könnte ich darauf verzichten. Auf das Reiten, ja, das würde ich schaffen, aber Pferde? Nein. Mittlerweile kommt es mir fast krank vor, dass ich daran gezweifelt habe, ob der Reitsport das Richtige für mich wäre. Natürlich ist er das! Mit nichts anderem würde ich meine Freizeit lieber verbringen, als mit der Pferdepflege und dem Stalldienst.
Mom und ich helfen nun regelmäßig auf dem Hof. Unter der Woche komme ich meines Reitunterrichtes wegen, am Wochenende packen wir hier an und helfen, wo wir können. Erst, wenn die Arbeit getan ist, kümmere ich mich um mein Pferd, während Olivy und Mom den Tag mit einem Stück Kuchen ausklingen lassen.
Ich merke den Unterschied zu Mr. Forleys Stall. Hier ist alles so idyllisch, freundlich, ruhig. Bei meinem ehemaligen Trainer herrschte diese kühle, abweisende Atmosphäre. Jeder tat nur das, was er tun musste und verschwand dann wieder. Hier bin ich bisher nur auf freundliche, hilfsbereite Menschen getroffen, die sich auch gern miteinander unterhalten und sich während der Arbeit mit Klatsch und Tratsch auf Trab halten. Es ist ein fröhliches Beisammensein.Da es kurz nach eins ist, halten die meisten gerade Mittagspause, darum ist die Stallgasse wie leer gefegt. Leise gehe ich zur Box, in der meine Stute steht. Ich beuge mich über die Trennwand und luge hinein. Den Anblick, der sich mir bietet, werde ich wohl kaum vergessen.
Die Kleine liegt schlafend in ihrer Box, den Kopf hat sie in das Stroh gelegt, die Beine an den Körper gezogen. Ihre Augen sind geschlossen, nur ab und zu höre ich ein leises Schnauben. Es ist zu süß. Ich erkenne sie gar nicht wieder. Sonst ist sie so feurig und aufgeweckt, lebhaft, fast übereifrig. Und nun liegt sie hier, total weggetreten und abgeschieden von der Außenwelt.
Leise, um sie nicht völlig zu erschrecken, flüstere ich ein paar Worte.
"Hallo, Schraube"
Eines ihrer Ohren beginnt zu zucken und sie atmet laut auf. Ich verstumme augenblicklich und starre gebannt auf das Pferd.
Doch noch regt sie sich nicht.
"Ich habe Neuigkeiten!", versuche ich es weiter.
Nun öffnet sie vorsichtig die Augen, blickt mich aber sofort an und hebt den Kopf, als sie mich an der Boxentür sieht.
"Ich habe einen Namen für dich", fahte ich leise fort.
Nun reckt sie den Hals nach oben und versucht, sich zu mir zu strecken. Doch sie ist zu klein und kommt nicht bei mir an, nicht einmal, als ich eine Hand nach ihr ausstrecke. Deshalb schwingt sie sich ein wenig nach hinten, stützt sich auf die Vorderbeine und sieht mich in sitzender Position erwartungsvoll an.
"Komm, steh auf, meine Liebe!", sporne ich sie an.
"Steh auf, hopp!"
Dann springt sie auf, schaukelt noch ein wenig, tappt dann aber vorsichtig zu mir. Die großen, schwarzen Augen sehen mich an, die Nüstern sind gebläht. Als sie nah genug dran ist, streichle ich sanft ihre weiche Nase.
"Sehr gut", lobe ich sie, "Sehr gut, First Love..."--------
Hey! Ein neues Kapitel! Ich hoffe, ihr habt das ganze Namenszeugs usw verstanden 😉. Ich fand die Idee halt voll schön und wollte das unbedingt irgendwie mit reinbringen 😊
Naja, bis dann!
Ps. Das ist bis jetzt mein absolutes Lieblingskapitel! ♡
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In your head
RandomNach einem unerwarteten Ende der Springkarriere als Nachwuchsreiterin findet Penelope Kron sich plötzlich wieder ganz unten. Ihr ehemaliges Pferd ist verstorben, ihr Vertrauen zu den Vierbeinern hat sie verloren, ihr Trainer will ihr nicht helfen, s...