Vierzehn

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Thomas ist nach Olivy der nächste gewesen, der von ihrem neuen Namen erfahren und er findet ihn super. Zwar schien ihm zuerst nicht klar, wieso diese "kleine Zicke" einen so sanften Namen haben soll, doch nach meiner Erklärung war er dann doch begeistert. "Endlich mal 'n Name mit 'ner Story und nicht nur Mist!", behaupetete er, während er mich verschmitzt ansah.
Nun kommt die Zeit, in der First Love und ich uns besser kennenlernen sollen. Olivy hat schon viel Erfahrung mit dem Trainingsprogramm und Bindungsaufbau Join up und meint, es sei einen Versuch wert. Deshalb mache ich mich nun auf zu der Stute und bereite sie soweit vor, wie Olivy es anordnete. Während ich ihr ein Knotenhafter umbinde und die Hufe auskratze, einsteht ein Gewirr von verschiedensten Gedanken in meinem Kopf. Ich habe schon viele Menschen mit den Join up arbeiten sehen, auch bei Mr. Forley, auch wenn man es nicht glauben will. Doch die Art, wie es dort vonstatten ging, kann man wohl kaum noch entspanntes Arbeiten auf einer Ebene nennen, auf der Pferd und Mensch die selbe Sprache sprechen sollten. Meist wurde das Tier stundenang im Kreis umhergescheucht und müde gehetzt, bis es aufgab und fast zusammenbrach und somit leicht umgänglich für den Menschen wurde. Keinerlei Einfühlungsvermögen oder Rücksicht oder gar ein Zeichen von Achtsamkeit. Nichts. Die daraus entstehende Vertrauensbasis blieb fast immer aus.
Olivy allerdings traue ich zu, dass sie es schafft uns zu helfen und uns einen guten Start zu geben. Sie ist sicherlich in der Lage, uns auf den richtigen Weg zu bringen. Und heute soll unser Neustart so richtig beginnen.
First Love habe ich inzwischen fertig gemacht, ein Knotenhalfter ist um ihren Kopf geschlungen, Gamaschen trägt sie vorne, da sie ab und zu noch Gleichgewichtsschwierigkeiten hat und ins Straucheln kommt, allerdings hat sich dieses Problem schon weit verbessert. Trotzdem halte ich die Schutzmaßnahme für angebracht.

Als Olivy, mein Pferd und ich in der Mitte des Round-Pen stehen, Mom und Thomas stützen sich auf dem Geländer ab und sehen uns erwartungsvoll an, fordert meine Trainerin mich auf, First Love nun freizulassen und sie notfalls von mir wegzuschicken. Ich tue, was von mir verlangt wird und löse den Strick, brauche jedoch keine Mühe daran zu verschwenden, die Dunkelbraune wegzuschicken; sie galoppiert ausgelassen buckelnd von mir davon und rast in einer Höllengeschwindigkeit am äußeren Rand um uns herum.
"Lass sie ersteinmal alles erkunden und sich austoben, sie braucht Zeit.", lautet Olivys nächste Anweisung. Zuschauen kann ich gut. Das strahlende Sonnenlicht lässt kleine, goldene Reflexe auf ihrem dunklen Fell erscheinen, Schatten und Licht heben den noch nicht vollständig ausgeprägten Muskelbau hervor, lassen sie stark und kraftvoll, mit Lebensfreude erfüllt, wirken. Der Elan treibt First Love voran, sie sprintet Runde um Runde, ohne nur ein kleines bisschen langsamer zu werden.
Schon nach kurzer Zeit sind ihre Flanken schweißnass und Schaum bildet sich um ihr Maul. Doch an Durchparieren ist nicht zu denken, die Stute hat nun Feuer gefasst und brennt nun förmlich. Die Mähne und der Schweif wirken wie Flammen und auch das schimmernde Licht erweckt dieses Bild von einem Feuerball. Sie jagt und jagt, kommt nicht zur Ruhe. So langsam mache ich mir Sorgen, ob wir überhaupt noch mit ihr arbeiten können, bis sie sich ausgetobt hat. Ich hole kurz Luft, um Olivy zu fragen, da zeigt diese plötzlich auf die Stute und lächelt.
"Da, siehst du?"
Verwundert blicke ich zu First Love, die immer noch wie wild umher rast.
"Als du gerade eingeatmet hast, ist ihr Ohr zu uns gezuckt.", bemerkt Olivy und sieht mich an.
"Also ist sie aufmerksam und hört auf uns?", füge ich fragend hinzu und schaue ebenfalls zu ihr.
"Aufmerksam ja, ob sie auf uns hört, lässt sich so nicht sagen. Aber ich denke,", meint sie und wendet den Blick wieder der Stute zu, "dass wir jetzt anfangen können." Auch ich konzentriere mich wieder auf das Pferd. Nun heißt es also, Olivys Anordnungen genauestens Folge zu leisten und keinen kleinsten Fehler zu begehen. Olivy hat mir vorher noch gesagt, dass es keinen Sinn hat weizer zu arbeiten, wenn die Konzentration nachlässt. Und das würde sie unumstritten, wenn mir ein Fehler unterlaufen würde und wir von vorn beginnen müssten. Also, aufpassen!
"Ich gebe dir nun die Longe in die Hand", sagt Olivy und drückt mir langsam das besagte Teil in die Hnad. Fest umschließe ich sie mit meinen Fingern, um nicht zu zittern, denn Aufregung macht sich langsam in mir bemerkbar und breitet sich wie ein Lauffeuer in meinem gesamten Körper aus. Schnell beiße ich mir auf die Lippe, um nicht mit den Zähnen zu klappern und somit meine Ängste offensichtlich zu machen.
"Gut", fährt meine Trainerin fort, "du siehst, dass sie ruhiger wird. Ein gutes Zeichen." Augenblicklich sehe ich zu First Love und beobachte jede ihrer Bewegungen auf das kleinste Detail. Und tatsächlich, sie wird ruhiger und ihre Atmung fällt auch langsam herab. Anscheinend ist sie nun erschöpft.
"Jetzt musst du ihr zeigen, dass sie auf dich hören muss. Schick sie vorwärts, mit der Longe gibst du ihr klare Signale. Sie muss laufen, die bestimmst, wie, wann und wo." Sofort schwenke ich einmal unbeholfen mit der Longe in der Luft in der Hoffnung, First Love würde einfach weiterlaufen, was jedoch nicht der Fall ist. Stattdessen fällt sie nun in eeinem entspannten Trab und verlagert ihre Aufmerksamkeit nach außerhalb des Round-Pen. Na super.
"Das war zu schwach", bemerkt Olivy, "versuche es noch einmal, dieses Mal energischer." Nun schwinge ich das Seil blitzschnell gegen mein Bein und es ertönt ein lautes Knallen, welches die Stute aus ihrer Gedankenwelt reißt. Sofort galoppiert sie an und beginnt sich wieder auf mich zu konzentrieren. Ein leises Glücksgefühl durchströmt mich, dass sie auf mich hört, macht mich glücklich.
"So machst du eine Zeit lang weiter. Sie muss galoppieren. Wenn sie es tut, lässt du sie in Ruhe. Sobald sie andeutet langsamer zu werden, scheuchst du sie weiter." Und nach dieser Anweisung geht sie ein paar Schritte rückwärts zum Geländer und schwingt sich im passenden Moment rüber. Nun bin ich mit First Love allein.
Angestrengt tue ich ohne Zeitgefühl genau das, was ich machen soll. Scheuchen, nachgeben, warten, scheuchen, nachgeben, warten. Es vergehen genau sieben Minuten, wie ich später erfahre, die ich dort stehe und meine Stute umherhetze. Dann erlöst Olivy mich endlich.
"Jetzt hörst du auf. Lege die Longe auf den Boden, drehe dich von ihr weg mit dem Rücken zu ihr und bleiben so." Auch wenn ich mich darüber etwas wundere, komme ich der Aufforderung nach. Bei Mr. Forley gab es diese Phase nicht. Das Pferd wurde gehetzt, bis es aufgab oder zusammenbrach und dann kam ein Reiter drauf. An so etwas hier kann ich mich nicht erinnern.
Ich warte.
Daraus, dass First Love nicht vor mir entlang gelaufen ist, schließe ich, dass sie stehen geblieben ist und nun ebenso verharrt wie ich. Wieder legt sich eine Stille über uns, eine dicke Decke verstummt uns. Als ich nun fasst davor bin, mich einfach unzudrehen und zu gucken, ob etwas passiert ist, spüre ich plötzlich einen warmen Atem an meinem Hals. Mor bleibt das Herz fast stehen.
Sie steht hinter mir. First Love ist zu mir gekommen, freiwillig, ohne Zwang, ohne Druck. Sie steht nun direkt hinter mir und atmet ruhig und entspannt. Ich atme nun auch wieder ein und aus, wage aber immer noch nicht, mich umzudrehen. Auch wenn alles in mir danach schreit, mich zu ihr zu wenden und sie zu loben, verharre ich in meiner Position und warte weiterhin.
"Geh jetzt los, wenn alles gut geht, folgt sie dir.", erlöst Olivy mich. Bedacht darauf, keine hektischen Bewegungen zu machen, setze ich nich langsam in Bewegung und laufe nach außen. Durch den Sand höre ich leider keine Geräusche, dich das leise Atmen verrät mir, dass First Love mir tatsächlich folgt. Ich habe es geschafft!

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