36. Kapitel
Und wieder stellte sie mich vor die Wahl. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich in einem Kreis gefangen. Alles ging wieder von vorne los. Nur dass es diesmal noch schlimmer enden könnte.
"Ich weiß, dass ich nicht mehr zwischen beiden Seiten stehen kann. Das ist mir schon letztes Mal klar geworden, als du mir das gesagt hast. Nur letztes Mal wollte ich mich nicht entscheiden. Aber jetzt... jetzt muss ich mich entscheiden. Und das habe ich.", sagte ich und wandte mich von Leila ab.
Ich hörte von Leila nur ein entsetztes Keuchen. Sie war offenbar überrascht, dass ich mich letztendendlich doch für eine Seite entschieden hatte. Nachdem ich einige Momente über Moms Brief nach gedacht hatte, war mir etwas klar geworden.
Die einzige Person, für die ich mich noch retten würde, war meine Mom. Früher wäre meine Antwort auf diese Frage vermutlich ganz anders ausgefallen, aber jetzt...
Mein Dad sowie wahrscheinlich der ganze Rest des Dorfes wollte mich umbringen. Wieso sollte ich mich für Leute opfern, die meinen Tod wollten? Und den meiner besten Freundin, und den der Menschen, die so waren wie ich?
Mir viel kein wirklicher Grund ein. Weil es keinen gibt. Wenn deine Mom das Dorf verlässt, hast du dort nichts mehr, wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnt, flüsterte meine innere Stimme. Ich biss mir auf die Lippe. Obwohl ich es mir nicht eingestehen wollte, das mich nur noch so wenig mit dem Dorf verbindet, war es die Wahrheit.
Es war früher mein Zuhause gewesen. Und das war der Punkt. Es war. Ich hatte dort eine glückliche Familie und eine unbeschwerte Kindheit gehabt, aber jetzt war das, was ich schon immer war ans Licht gekommen. Ich war eine Hexe.
Meine neu gewonnenen Erkenntnisse und meine Entscheidung teilte ich Leila mit, die mich fest drückte und mir ins Ohr flüsterte, dass sie froh sei, dass ich auf ihrer Seite stehen würde.
"Wir müssen Madonna von dem Brief berichten. Sofort.", Leilas Stimme hatte einen energischen Klang angenommen und sie hatte die Arme verschränkt.
Ich nickte. Aber das war nicht die einizige Entscheidung, die ich treffen musste. Das war die Erste, aber längst nicht die Letzte. Ob ich zum Treffen mit meiner Mutter gehen würde oder nicht. Ob ich mein eigenes Leben riskieren würde, um sie in Sicherheit zu bringen.
Aber Leila ließ mich den nächsten Gedanken gar nicht mehr zu Ende führen, sondern schleifte mich schnurstracks den Flur hinaus in Richtung Madonna. Die Gänge waren leer, wir sprachen nicht, es herrschte absolute Stille.
Leila verzichtete auf jegliche Höflichkeiten oder zu Klopfen sondern riss einfach die Tür auf. Ich spürte, wie angespannt sie war. Sie zitterte immer noch am ganzen Körper. Sie hatte Angst, wie es wahrscheinlich jeder haben würde. Angst vor den Menschen, die ich früher als meine Familie bezeichnet hatte.
Wir unterbrachen ein Gespräch zwischen Madonna und Prof. Stuart, die in einem purpurnen Morgenmantel mit tiefen Augenringen auf dem Stuhl saß und sich verhalten eine Haarsträhne um den Finger wickelte.
"Ah, die beiden Damen. Wir haben gerade von ihnen gesprochen. Anastasja hatte eine Vision. Von einem Krieg zwischen uns und den Menschen aus dem Dorf. Und sie beide scheinen darin wohl eine entscheidende Rolle zu spielen, Miss Woodley, ebenso wie sie Miss Gregorio. ", ich stutzte und brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, dass Prof. Stuart gemeint war.
Ich atmete hörbar aus. "Wie kann ich ihnen helfen, Miss Woodley? Seinen sie doch bitte nächstes Mal so freundlich und klopfen an der Tür. Und bitte erwähnen sie zu ihren Mitschülerinnen erst mal nichts über die Vision. Wir wollen keine Panik verbreiten.", damit drehte sie sich um und wollte gerade gehen als Leila mit lauter Stimme von den Briefen erzählte.
Mit erstarrter Miene hörte Madonna zu und mit jedem Satz öffneten sich ihre Augen noch mehr vor Schreck. Selbst sie konnte es kaum fassen. Prof. Stuart schien es nichts anders zu gehen.
"Nun denn, ich fürchte diese Neuigkeiten bestätigen ihre Vision ja nur noch mehr, Anastasja. Ich weiß, dass ihnen meine Idee nicht gefällt, aber ich fürchte uns bleibt keine andere Wahl.", Madonna hatte sich wieder gefasst und sprach nun wieder mit der bekannten belegten Stimme.
"Ich weiß, ich wünschte es gäbe einen anderen Weg. Aber es wird Zeit, dass sie bezahlen. Sie alle, für das, was sie uns angetan haben.", meine Professorin war aufgestanden und hatte eine finstere Miene aufgesetzt.
Stuart kam mir völlig fremd vor. So vollkommen voller Hass. Und langsam schwahnte mir Übles. In meinem Kopf bahnten sich mehrere Szenarien aus. Und keins würde wirklich gut enden. Das war eigentlich jetzt schon jedem bewusst.
"Und was wollen sie jetzt dagegen tun?", platzte es plötzlich aus mir heraus. Die Frage brannte mir schon die ganze Zeit auf der Zunge und ich war irgendwann zu neugierig, um nicht zu fragen.
"Wir tun das, was die Ahnen schon seit langer Zeit prophezeit haben. Es wird Zeit das Dorf und seine Bewohner zu vernichten. Sie sind eine zu große Bedrohung, als das wir sie noch länger tolerieren können. Das Dorf und die Umgebung werden mit einem Fluch belegt. Es wird schnell gehen. Eigentlich hätten manche von ihnen einen viel qualvolleren Tod verdient.", teilte Prof. Stuart uns mit und mir sank das Herz wirklich in die Hose.
Ich stutzte erneut, hatte das Gefühl für einen kurzen Moment nicht mehr atmen zu können. Es dauerte kurz, bis ich wieder fangen konnte. Ich atmete immer noch stoßweise und presste mühselig Sauerstoff hinein und hinaus.
War das wirklich der Weg, den ich wollte? Das Ende dieses endlosen Streits? Und was war mit meiner Mutter? Schlagartig wurde mir bewusst, dass sie der Fluch auch treffen würde. Sie würde sterben, obwohl sie nichts getan hatte.
Sie war unschuldig. Charlie sollte man töten und vielleicht Dad, aber meine Mom hatte nie auch nur irgendetwas damit zu tun gehabt. Ich würde sie treffen müssen und sie daraus holen müssen. Das war die einzige Möglichkeit, ihr zu helfen.
In meinem Gehirn legte sich von einem Moment auf den anderen ein Schalter um und mein Kopf schaltete auf Durchzug. Ich murmelte noch irgendetwas, dann marschierte ich schnurstracks aus dem Raum hinaus.
Hinter mir erklang hektisches Gerede, das Klackern von Absätzen war zu hören. Doch ich ließ mich davon nicht beirren. Ich musste und ich würde meiner Mutter helfen.
Selbst wenn ich dadurch auch vom Fluch getroffen werden würde. Ich konnte sie niemals einfach so zurück lassen.
~
So, ein weiteres Kapitel. Darauf wollte ich jetzt schon seit ungefähr keine Ahnung wie lange hin. Es geeeht endlich los :))) Ein paar neue Erkenntnisse gab es auch noch. Und das Dorf soll vernichtet werden. Was denkt ihr?
Widmung geht an JuleGruni als Dankeschön, weil es mich total motiviert, wenn ich sehen, dass jemandem die Story gefällt :)
Bis zum nächsten Mal ;)
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Wake of a Witch
FantasyFür manche ist der 16. Geburtstag etwas ganz besonderes. Für mich und die anderen Mädchen aus meinem Dorf ist er der schlimmste Moment unseres gesamten Lebens, denn dann wird jeder von uns berufen. Für mich begann an diesem Tag ein neues Leben, fern...