(1) Die Chance

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Dunkelheit. Das ist alles was ich sehe, als ich verschlafen die Augen öffne. Mein Rücken durchzieht ein furchtbarer Schmerz. Notiz an mich: nie wieder auf Stein schlafen, egal wie müde du bist.
Ich strecke mich einmal ausgiebig, wobei mein gesamter Körper protestierende knack Geräusche von sich gibt. Der kalte Wind, der sich um meinen Körper schlängelt, lässt mich für kurze Zeit zittern.
Tja, willkommen auf den Straßen Storybrooke's. Und ich dachte, hier wird alles anders. Als mein Vater ins Gefängnis kam und meine Mutter mich aus dem Waisenhaus hierher brachte, habe ich wirklich geglaubt, dass sich mein Leben ändern könnte. Aber sie war nicht besser als er. Ihre Dienstmagd, das war ich, nichts weiter. Seit fünf Tagen lief ich nun schon durch die Stadt und versuchte ihr so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Nach 'Hause' holen konnte sie mich nicht und so ließ sie mich umherstreifen und wartete darauf, dass ich irgendwann einfach selbst nachgab. Aber sie kannte mich nicht. Sie war zwar eine böse Hexe aber besaß keine Muttererfahrung. Sechzehn Jahre meines Lebens, hatte sie einfach verpasst. Sie wusste nicht, was ich für ein Sturkopf sein konnte. Alleine um die Tatsache zu glauben, dass alle hier irgendwelche kranken Märchengestallten waren, brauchte ich über zwei Monate. Absurd. Irgendwie verstand ich es immer noch nicht. Wie sollte ich auch? Ich, zur Hälfte eine Märchenfigur. Andere waren halber Deutscher und Grieche aber ich nicht. Ich bestand zum Teil aus Fantasie und Magie. Ja wie sollte man das glauben?

Mein Magen knurrte. Ok, Essenbeschaffung. Nur wo?
Die Sonne ging in einem gleißend, hellem Licht hinter den höchsten Gebäuden auf. Die Läden würden gleich öffnen und dann könnte ich mein altes Spiel spielen. Naja, was heißt hier Spiel? Im Prinzip war ich eine einfach Diebin, die ihr Handwerk als Vergnügen ansah. So einfach war das. Nichts desto trotz diente es ja gleichzeitig dem Überleben. Denn bevor ich zu meiner Mutter zurückgehen würde, würde ich lieber in einer stinkenden Gasse, mit mehr Würde verrecken. Obwohl Storybrook eine ziemlich saubere Stadt war.

Gelangweilt setzte ich also meinen Weg zu den Ständen fort.
Hier herrschte schon ein reges Treiben. Wenn ich noch ein gemütliches Bett hätte, würde ich ja nicht um diese Uhrzeit aufstehen um Gemüse zu kaufen. Die sind doch alle bekloppt.
Ich schlenderte unauffällig zwischen den Passanten umher und suchte mir meine Beute zusammen. Ich machte es so auffällig wie möglich aber erwischen, tat mich keiner. Das war mein Spiel, Auffälligkeit und Hoffnung. Hoffnung, dass ich nicht geschnappt wurde. Man könnte es auch als Glücksspiel bezeichnen. Mit einem Netzt voller Obst und Brot verließ ich den Schauplatz und machte mich auf den Weg zum Hafen. Das machte ich immer so. Dort war es ziemlich öde und ich hatte meine Ruhe. Was mich störte war dieser elende Fischgestank, der mir jedes Mal in die Nase stieg. Dennoch gefiel mir dieser Ort. Schon als ich frisch in die verwunschene Stadt - so wie ich sie gerne nenne - gekommen war, beobachtete ich jeden Tag, in jeder freien Minute, die Boote und ihre Ladungen. Wie sie alles auf's und unter's Deck transportierten und dann ausliefen. Ich weiß nicht was aber etwas faszinierte mich daran. Ich weiß, es ist nichts besonderes ein paar Kisten irgendwo hinzuschleppen. Aber vielleicht war es ja auch nur die Tatsache, dass das alles ein Zauber geschafft hatte. Der Zauber, der alle Märchenfiguren aus ihrer Welt in unsere transportiert hatte. Der verdammte Zauber, der mein Leben zerstört hatte und der mich in meine Momentane Lage gebracht hatte.

Ich weiß noch genau, wie ich mich gefreut hatte, als meine Mutter im Waisenhaus, plötzlich vor mir stand und sagte, dass sie mich mitnehmen würde. Ich dachte, sie wäre bei meiner Geburt gestorben und auch die Pfleger waren ziemlich erstaunt, dass sie noch lebte. Sie konnte ihnen nicht erklären, wieso das so in ihren Akten stand. Es war ja auch schwer, normalen Menschen zu sagen, dass man in Wirklichkeit eine Märchenfigur war. Meinen Vater, so hatte sie es mir erklärt, traf sie bei einem Ausflug in die reale Welt. Wieso sie überhaupt dort war, wollte sie mir nichts sagen. Angeblich weil es nicht von Bedeutung für mich wäre. Ich sage, sie war einfach zu faul zum Reden. Es war ihr einfach nicht wichtig gewesen, ihrer Tochter Informationen, aus ihrem verkacktem Leben zu liefern. Dann konnte sie aber nicht von mir erwarten, dass ich mein weiteres mit ihr teilte. Meine Zukunft gehörte mir, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie viel Zukunft mir eigentlich noch blieb. Spätestens im Winter würde ich jämmerlich erfrieren. Wenn ich nicht vorher verhungere. Getrunken hatte ich seit einem Tag nichts mehr und so langsam machte mir das zu schaffen. Meine Kehle war ausgetrocknet und kratze fürchterlich. Meine Zunge fühlte sich an wie ein lebloser Lappen in meinem Mund. Insgeheim verfluchte ich meinen Dickschädel für diese Ignoranz. Ich wollte ja zurück aber ich war einfach zu stolz es einzusehen. Und noch weniger wollte ich meiner Mutter zeigen, dass ich sie brauchte.
Anstatt Schule und Freunde treffen, stand bei mir klauen und überleben auf dem Plan. Ganz toll.

Ein weiterer Tag ging zu Ende und getrunken hatte ich immer noch nichts außer den Saft meiner Beute. Ich hatte nichts getan. Nur die Schiffe beobachtet. Eines war mir noch immer im Gedächtnis. Schwarz und alt, war es gewesen. Dreckige, alte, weiße Lacken als Segel. Aber seltsamerweise dennoch prunkvoll.  Es hatte Ähnlichkeiten mit einem Piratenschiff. Ich wusste ja, dass alle hier aus einem Märchen entsprungen sind aber das war doch nun wirklich zu viel. Aber auch der Captain ähnelte einem Piraten. Schwarze, verwegene Kleidung.
Absolut absurd.

Ich ließ meinen Blick über den Hafen gleiten. Immer noch liefen die Schiffe aus. Die Möwen kreischten und prügelten sich um die toten Fische, die ein Schiff gerade ablieferte. Ein kleiner Junge rannte, mit zwei erwachsenen hinter ihm, um die Ecke. Es sah wie eine Art Fangspiel aus. Der Mann erwischte ihn und zog ihn zu sich. Auch die Frau mit den schwarzen Haaren packte sich den Jungen grob. Also hier hörte Spaß aber auf. Vielleicht war er ja weggerannt. Die Jugend von heute. Also wirklich. Das sage ausgerechnet ich.
Der kleine schlug um sich und versuchte sich zu befreien. Kleiner mach einfach das was deine Eltern dir sagen. Dann bleibt dir so einiges erspart. Doch er hörte nicht auf. Sie schleppten ihn Richtung Wasser. Wollten sie ihn hinunterwerfen? Anscheinend waren meine Eltern nicht die schlimmsten. Märchenfiguren waren doch einfach bloß krank.
Aber anstatt zu helfen, blieb ich stumm sitzen. Das ich nur fünf Meter sass, schön die beiden nicht zu stören. Der kleine schaute mich ängstlich an. Wie alt konnte er sein? Zwölf, dreizehn? Zu jung zum Sterben auf jeden Fall.
,,Henry!", erklang eine Stimme von den Gebäuden hinter uns. Abrupt drehten sich alle zu ihr um. Eine junge Frau mit wunderschönen, blonden  Haaren. Gefolgt von Regina, der bösen Königin und zwei weiteren gestallten, die ich nicht kannte. Regina hatte ich öfters bei meiner Mutter gesehen. Keine Ah und was die zu schaffen hatten und es war mir auch egal aber momentan, sah sie eher verängstigt aus. Und dann kam ein Geistesblitz. Henry. Das war der kleine Junge, der adoptierte Sohn der Königin. Und wenn ich dem Klatsch hier trauen konnte, musste die blonde Emma sein. Die Retterin. Henry's leibliche Mutter. Ich habe nie verstanden weshalb so einen Wirbel um sie gemacht wurde. Demnach müssten die weiteren zwei Snow White und Prinz Charming sein. Emma's Eltern. Sie konnte sich glücklich schätzen solch Elter zu haben. Keine Hexe und einen Sträfling.

Der Mann - und laut meiner geistreichen Erläuterung von gerade der Entführer - der Henry immer noch mit eisernem Griff umklammert hielt, zückte eine Bohne aus seiner Tasche. Sofort wurde ich hellhörig. Das war keine normale Bohne. Verdammt das war eine Zauberbohne. Sie konnte Portale in andere Welten schaffen. In andere Märchenwelten. Ich hatte so ein Ding überall gesucht. In den staubigen Aufzeichnungen meiner Mutter gewühlt oder ihre komischen Bücher und Schriftrollen studiert doch gefunden hatte ich nie welche. Das Ding war meine Erlösung. Meine Rettung. Eine Flucht in ein anderes Reich. Das war meine Chance, die ich verdammt noch mal nutzen musste!
Er warf die weiß, glitzernde Bohne in das schillernde Wasser vor ihm und wünschte sich einen Ort. Sofort wurde die spiegelglatte Wasseroberfläche von einem tosendem, grünem Wirbel durchbrochen. Das war also ein Portal.
Jetzt hieß es schnell handeln. Mit einem Satz, sprang ich von meiner Bank ab und katapultierte mich selbst in einen grünen Wirbelsturm hinein, der mich erbarmungslos verschluckte. Das letzte was ich hörte, waren die Schreie der wütenden Frau über mich. Dann brach der Donner los.

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