Kapitel 4

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„Da hast du dir ja wieder was eingebrockt". Liam lachte schon so fest, dass er sich den Bauch halten und die Lachtränen aus den Augen wischen musste. Ungeduldig trommelte ich mit den Fingernägeln auf die Tischoberfläche. „Und ich will, dass du mitkommst".

Liam lachte erst noch ein wenig weiter, bis er realisierte, was ich da eben von mir gegeben hatte. „Moment ... WAS? Ich? Da rein? Vergiss es!". Augenblicklich war von seiner Fröhlichkeit nichts mehr zu erkennen und sein Gesicht zeigte eine trotzige Grimasse. Das hätte ich mir ja denken können. „Bitte, Li. Ich will da echt nicht alleine hin". Mir war bewusst, dass ich nahezu bettelte, aber ich wollte auf keinen Fall ins Visier irgendwelcher zwielichtigen Gestalten und somit in Schwierigkeiten geraten. „Wir werden zu hundert Prozent sehr bald wieder heimgehen, wie ich uns kenne. Es geht doch nur darum, dass ich mich da kurz blicken lasse". Hoffte ich zumindest.

Im nächsten Moment knallte Liams Stirn gegen die Tischkante; das gehörte wohl zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. „Meine Fresse", stöhnte er geschlagen, während er mit den Fäusten gegen die Unterseite der Tischfläche trommelte. „Du machst mich noch wahnsinnig! Meinetwegen, okay, von mir aus, ich komme mit! Aber wenn ich sage, dass wir heimgehen, dann MACHEN wir das auch, kapiert?".

Beinahe wäre ich vor Erleichterung in Tränen ausgebrochen; stattdessen klopfte ich ihm grinsend auf den Rücken. „Danke, Li, du bist der Beste. Du hast was gut bei mir".

„Will ich dir auch geraten haben", brummte er missmutig und ließ seinen Kopf ein zweites mal an den Tisch krachen. Fast hätte ich meinen Block hervorgezogen und eine Strichliste angelegt, oder am Ende des Tages zumindest die Beulen auf seiner Stirn gezählt, aber das hätte er wahrscheinlich nur mit einer fiesen Racheaktion quittiert, weshalb ich es unterließ, wenn es auch noch so verlockend gewesen wäre ...

„Hey, Leute", ertönte da eine helle Stimme hinter uns, und im nächsten Moment stand jemand zwischen unseren Stühlen und zerstörte unser beider Frisuren, während lange braune Haare in mein Sichtfeld fielen.

„Sophia!". Plötzlich war Liam wie ausgewechselt. Hektisch setzte er ein Lächeln auf, das überraschenderweise (oder eben nicht ganz so überraschenderweise) völlig echt war und seine braunen Augen erstrahlen ließ. „Schön, dich zu sehen. Wo warst du gestern den ganzen Tag, ich hab mir schon Sorgen gemacht".

Ich musste mir ein Glucksen verkneifen. Es war so dermaßen offensichtlich, dass Liam seit Ewigkeiten in Sophia verliebt war, aber sie es entweder nicht merkte, oder seine Gefühle schlicht und ergreifend nicht erwiderte, wobei ich sehr für meinen besten Freund hoffte, dass Ersteres der Fall war.

„Ich war gestern den ganzen Tag mit den Proben und Planungen für das Schuljubiläum beschäftigt", erklärte sie bedauernd und warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. „Ich hatte ganz vergessen, dir Bescheid zu sagen, das tut mir leid ...".

„Nein nein, alles gut". Ich sah, wie Liam kurz die Augen schloss und sich vermutlich am liebsten selbst dafür in den Hintern getreten hätte, dass er in Sophias Anwesenheit keinen grammatikalisch richtigen und geistreichen Satz von sich geben konnte. „Ich hab mich nur gewundert".

Sophia lächelte ihr warmes, aufrichtiges Lächeln – sogar als Schwuler konnte ich sie durchaus als attraktiv und anziehend bezeichnen. „Lieb, dass du dir so Sorgen machst".

Gespannt blickte ich zwischen den beiden hin und her. Wieso tat nicht einer von ihnen einfach den nächsten Schritt? Ich weiß, man redet sich leicht, aber die beiden schienen einfach perfekt füreinander gemacht, sie passten zueinander wie die Faust aufs Auge – im positiven Sinne gemeint. Gerade, als ich mich erheben und ihnen ihren privaten Kram alleine regeln lassen wollte, fragte Sophia: „Kommt ihr am Freitag Abend auch in den Kerker? Es soll fast die ganze Jahrgangsstufe da sein". Der hoffnungsvolle Unterton, der zweifelsohne an Liam gerichtet war, war nicht zu überhören. Dieser richtete sich nun noch mehr auf. „Was für ein Zufall, darüber haben wir gerade gesprochen ... wir kommen auch". Auf mysteriöse Art und Weise klang er nicht mehr so widerwillig wie vor einer halben Minute ...

Stay away  - ZiallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt