Kapitel 15

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So endete es unweigerlich damit, dass wir auf der Dienststelle auftauchten, wo ich einem aufmerksamen Polizisten die ganze Geschichte in allen Einzelheiten erzählen musste – zumindest so viel, wie ich überhaupt noch wusste. Doch bereits das löste bei dem Beamter Stirnrunzeln aus, bevor er sich einem Kollegen zuwandte, der mit einer Kaffeetasse am Schreibtisch saß und schweigend zugehört hatte, und fragte: „War da nicht vor ein paar Monaten ein ähnlicher Fall?"

Der Kollege grübelte gar nicht lange herum, sondern gab nach ein paar simplen Mausklicken zurück: „Meinst du das in der Skyland-Disco, oder wie die heißt? Das könnte ungefähr hinkommen, ja."

Mum beugte sich vor. „Was ist damals passiert?"

„Im Prinzip dasselbe. Nur, dass er nicht so viel Glück hatte wie ihr Sohn. Man hat ihn ebenfalls auf der Rückseite des Gebäudes gefunden, das heißt aber nicht zwingend, dass es derselbe Täter ist, mir ist eben nur diese kleine Parallele aufgefallen."

Als wir dann wieder im Auto saßen (Liam war gleich mitgekommen, um zu bezeugen, dass ich wirklich nicht mehr als ein Glas hatte, was mir der Typ aber auch so anstandslos abgenommen hätte), herrschte erstmal bedrücktes Schweigen, bis ich peinlich berührt das Wort ergriff. „Leute, jetzt malt doch nicht gleich den Teufel an die Wand. Mir ist doch nichts passiert."

„Woher willst du wissen, dass der Täter es nicht nochmal versucht?"

„Das wird irgendein betrunkenes Arschloch gewesen sein." Ich wusste nicht, wen ich mit meinen verzweifelten Argumentationen eigentlich zu beruhigen versuchte, Mum oder mich selbst; ich wusste nur, dass es beiderseits nicht sonderlich gut funktionierte.

„Betrunkene planen nicht im Voraus, ihren Opfern K.o.-Tropfen ins Getränk zu mischen", konterte Liam in seinem üblichen sachlichen Tonfall, der mich fast zur Weißglut trieb. „Ich stimme Maura zu, dass du die nächste Zeit über besser die Augen offen halten solltest."

„Aber ...", setzte ich an, um erneut einen Protest von mir zu geben, doch Mum unterbrach mich rüde, indem sie „Verdammt noch mal!" schrie, auf die Bremse stieg und den Wagen mit quietschenden Reifen am Straßenrand zum Stehen brachte. „Realisierst du überhaupt, was hier läuft? Du wärst um ein Haar vergewaltigt worden, Niall! Sieh endlich ein, dass es sich hierbei um etwas mehr handelt als Nachsitzen in der Schule!"

Schweigend ließ ich die Tirade über mich ergehen und seufzte am Ende nur leise. „Schön. Aber ich werde auf zu unserem Auftritt kommen und zuhören. Ich hoffe, sie können meinen Einsatz ein wenig improvisieren."

Mum öffnete den Mund, vermutlich um zu entgegnen, dass ich gefälligst ganz zu Hause zu bleiben hätte, schien es sich jedoch dann wieder anders zu überlegen und zuckte widerwillig die Schultern. „Okay. Aber Liam kommt mit." Sie warf diesem einen warnenden Blick zu. „Lass ihn bloß nicht aus den Augen".

Am liebsten hätte ich das Gesicht in den Händen vergraben und mich aus dem nun wieder fahrenden Auto auf den harten Asphalt gestürzt. Wieso erwischte es eigentlich immer mich? War mein Leben vielleicht so eine Art Mülltonne für alles Leid und Übel der Welt? Selbstmitleid ahoi. Dieser „Auftritt" war eigentlich ohnehin nichts Weltbewegendes, nur eine Art private Feier von irgenwelchen Leuten (keine Saufparty), auf der eben etwas Musik erwünscht war, die wir liefern würden. Also, die anderen vier. Ich war ja nicht befähigt dazu. Bitter beobachtete ich, wie die Häuser und Straßen an den Fenstern vorbeischnellten und konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen.


Den Nachmittag verbrachte ich größtenteils damit, über die vergangene Nacht nachzugrübeln. Die Tatsache, dass ein ganzer Teil meines Gedächtnisses restlos aus meinem Kopf gelöscht worden war, machte mir regelrecht Angst – ich fühlte mich hilflos und ausgeliefert, als ob ich keinerlei Kontrolle über mein eigenes Gehirn hätte. Außerdem war es unangenehm zu wissen, dass irgendwo da draußen vielleicht jemand hinter mir her war und nur auf den richtigen Augenblick wartete, erneut zuzuschlagen, auch wenn ich das nicht glaubte, aber man musste ja immer auf das Schlimmste gefasst sein.

Stay away  - ZiallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt