Kapitel 1

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Ich blinzelte leicht gegen die Sonne die durch das kleine Fenster des Holzhauses schien und öffnete dann ganz die Augen. Es war unglaublich hell, aber das war hier, in den Eislanden normal. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich in jedem kleinsten Eiskristall und tauchten die kleine Siedlung in ein kaltes Licht, an das sich die meisten Bewohner aber schon gewöhnt hatten. Langsam stieg ich aus meinem Bett und zog mir die dicke Lederhose und den Pelzmantel an, den ich selbst zusammengenäht hatte. Ohne warme Kleidung war man hier draußen verloren – teilweise war es hier draußen so kalt, dass einem das Wasser im Mund gefror, wenn man sich mal einen Schluck gönnen wollte. Aber ich war hier aufgewachsen, trotz aller Strapazen war es ein Stück Heimat für mich und ich konnte jeden Tag aufs Neue stolz sein, wenn ich bemerkte, dass ich einen weiteren Tag in einer solchen Umgebung gemeistert hatte.

Als ich aus dem Haus trat, das mein Vater jeden Tag gut mit Feuerholz beheizen lies, zog ich mir noch meine Stiefel an und setzte die dicke Pelzmütze auf. Schnell zog ich mir ein Paar Lederhandschuhe an, die warm hielten und mit denen man trotzdem noch gut arbeiten konnte und trat aus dem Haus. Ich hatte wohl mal wieder verschlafen, denn ich konnte das rege Treiben an der Wand erkennen. „Dawn, wo hast du nur wieder gesteckt?" kam sofort die Frage von einer tiefen Stimme die eindeutig meinem Vater gehörte. „Ich..." wollte ich anfangen etwas zu sagen und mir dabei eine gute Ausrede auszudenken, aber mein Vater unterbrach mich lachend. „Na los, dann kannst du wenigstens jetzt mit anpacken – wenn du schon so lange schlafen musst!" sagte er und drückte mir das Ende eines Baumstamms in die Hand. Ich verdrehte nur die Augen und machte einige Schritte in Richtung Wand um den Baumstamm dort abzugeben. „Verschlafen?" zwinkerte mir Alecia zu, die die andere Seite des Baumstamms trug. Ich nickte nur und tat einige weitere Schritte. Der Schnee unter meinen Füßen knirschte, doch das konnte man bei dem Geschrei der Arbeiter kaum noch hören. „Er ist halt hier der Anführer, er darf bei keinem eine Ausnahme machen. Auch nicht bei seiner eigenen Tochter!" sagte sie und lächelte mich warm an. Das konnte man Alecia nicht nehmen, sie war die freundlichste Person die ich kannte. Sie sah in allem das Gute und diesen Optimismus brauchte man auch, wenn man hier lebte. Denn es gab nicht nur Schneestürme, Kälteeinbrüche oder Hagelkörner so groß wie Pfirsiche – die größte Bedrohung waren immer noch die Schatten, die Wesen wegen denen wir die Wand bauten. 'Verlorene Seelen kommen, wenn sie sterben, ans Ende der Welt um dort ihr Leben als Schatten in völliger Trostlosigkeit zu fristen' kann man in einer weit überlieferten Sage hören. Viele glauben nicht daran, doch es gibt sie, diese verlorenen Seelen. Wir hatten ihnen bis jetzt immer widerstanden und wenn sie sich nicht gerade versammelten, waren es leichte Gegner für uns. Aber die Wand hatte uns schon gute Dienste geleistet, daher musste sie immer wieder ausgebessert und verstärkt werden.

Alecia und ich gaben den Baumstamm bei Korry ab, einem riesigem, breitschulterigen Arbeiter der uns gerne etwas Arbeit abnahm. Denn so gut ich auch beim tragen der Baumstämme oder beim verkleben der offenen Spalten in der Wand half, einen Baumstamm konnte ich nicht aufrichten. Und selbst zu zweit war dies eine schwere Arbeit, da waren uns Korrys starke Arme gerade Recht. Der bärtige Mann mit feuerrotem Haar lachte nur, als wir versuchten ihm den Baumstamm anzugeben, dann nahm er ihn uns aus der Hand und trug ihn mit nur einem Arm zur Wand. Dann stellte er ihn aufrecht gegen die anderen Baumstämme und rief einige Jungen aus dem Dorf herbei, die sofort mit einem großen Fass schwarzem, klebrigem Pech angelaufen kamen um den Baumstamm am anderen Holz festzukleben. Zu gerne hätte ich selbst eine Pause gemacht, doch den Augen meines Vaters entging nichts und er zeigte mit dem ausgestreckten Arm auf einen Haufen weiterer Baumstämme, die frisch aufgeschichtet auf dem Dorfplatz lagen. Wahrscheinlich war die nächtliche Holzfällergruppe zurückgekehrt, hatte die Ware abgeliefert und war direkt wieder los. In der Nacht hatte es einen Angriff auf die südliche Wand gegeben, was hieß, das das ganze Dorf dabei war die Lücken auszubessern und die Waffen aufzustocken.

Dawn - Königin der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt