Jacob's POV
Ich schaffte es gerade so, rechtzeitig zum Abendessen nach Hause zu kommen. Nach dem Überraschungstreffen mit Josh waren Ethan und ich ins Einkaufszentrum gegangen um noch ein wenig zusammen abzuhängen. Ethan war total super. Egal wie schlecht es einem ging, mit seiner lebensfrohen Art schaffte er es immer, einen wieder aufzumuntern. Er war dieser fröhliche Typ, der das Leben so nahm, wie es war und sich nie Sorgen machte. Er war außerdem ein guter Freund und einer der wenigen Leute, denen ich vollkommen vertraute.
Wir waren schon seit Jahren Freunde und hatten praktisch keine Geheimnisse voreinander. Es war beinahe ein wenig komisch, einem Typen so nahe zu sein, aber es war gut so wie es war. Einen Freund, der mich so akzeptierte, wie ich war, hatte einen hohen Wert.
Meine Familie war arm. Mein Vater hatte früher ein Bauunternehmen geführt, bis aus irgendeinem Grund alles schief ging. Ich hatte nie verstanden, was genau passiert war. Irgendwie waren wir auf einmal pleite und ein wenig später hatte mein Vater einen schweren Autounfall. Es dauerte lange, bis er sich davon erholte. Das war Jahre her, ich war damals noch im Kindergarten.
Ich erinnere mich noch daran, dass wir eine Haushälterin und ein Dienstmädchen hatten, und all die anderen Dinge, die reiche Leute haben. Seit mein Vater pleite gegangen war, arbeitete meine Mutter als Haushälterin und mein Vater wanderte von Job zu Job und versuchte eine Festanstellung zu bekommen.
Der Unfall hatte seine Spuren hinterlassen, er war zwar nicht körperlich behindert, aber er konnte keine körperliche Arbeit mehr verrichten und das machte das Ganze schwierig. Dann waren da noch die Schulden, die wir abbezahlen mussten. Nicht mehr viel, aber genug um uns unten zu halten. Wir kamen irgendwie durch, aber es war nicht einfach. Sechs Personen brauchten Essen, die Wohnung musste bezahlt werden und die Schulsachen waren auch nicht gerade billig.
Ich war es gewohnt, die gebrauchten Klamotten meiner älteren Brüder zu tragen. Ich brauchte die ganzen neuen, teuren Sachen, die andere Leute hatten, nicht. Meine Familie liebte mich, ich hatte einen warmen Platz zum Schlafen und genug zu essen. Das war alles, was ich brauchte.
In der Schule sah das allerdings nicht jeder so. Ethan war derjenige, der mich vom ersten Tag an so akzeptierte, wie ich war, und immer einen dummen Spruch auf Lager hatte, wenn jemand sich über mein Aussehen lustigmachte. Meine Brüder versuchten auch auf mich aufzupassen, aber die konnten nicht überall sein. Ethan und ich hatten fast alle Stunden zusammen, also war er auf meiner Seite, wenn sie nicht da sein konnten.
Glücklicherweise hatte ich diese Probleme so gut wie gar nicht mehr. Ich war viel selbstbewusster als früher und konnte auf mich selbst aufpassen. Nach den anfänglichen Problemen wurde ich sogar mehr oder weniger beliebt, dank meinen Brüdern und deren Freunden. Und dank Ethan. Er war seitdem einer meiner besten Freunde, auch wenn er manchmal etwas verrückt war.
"Essen ist fertig!", rief meine Mutter, "Beeilt euch, bevor's kalt wird!"
Zusammen mit meinen Geschwistern eilte ich in die Küche. Mein ältester Bruder war Conrad. Er war achtzehn und in seinem letzten Schuljahr. Er war eine totale Sportskanone und hatte bereits ein Baseball-Vollstipendium sicher. Ohne dieses Stipendium hätten meine Eltern es sich nie leisten können, ihn auf die Uni zu schicken. Mein anderer Bruder war Ian. Er war sechzehn und in sogar noch besserer Form als Conrad. Es gab praktisch keine Sportart, die ihm nicht lag.
Zuletzt kam meine Schwester, Fiona. Sie war nur zwölf Jahre alt und ziemlich unkompliziert und jungenhaft, anders als die meisten Mädchen in ihrem Alter. Es war nicht extrem und hatte stark abgenommen, seit sie vor einem Jahr in die Pubertät gekommen war, aber es war lustig zu sehen, wie groß der Einfluss von drei großen Brüdern sein konnte.
"Ich habe dich den ganzen Tag nicht gesehen, Jacob, was hast du so gemacht? Und wie läuft's in der Schule?", fragte meine Mutter mit einem Lächeln.
"War mit Ethan unterwegs, im Freibad und so. Schule ist ganz ok", antwortete ich lässig.
Meine Eltern waren ziemlich cool. Einige meiner Schulfreunde hatten religiöse oder strenge Eltern. Meine Eltern gingen zwar in die Kirche, aber sie waren nicht besonders religiös und zwangen uns nie mitzukommen. Auch wenn es darum ging, wann wir abends zu Hause sein mussten, waren sie nicht besonders streng. Wenigstens nicht, solange man ihnen keinen dazu Grund gab. Einmal kam Conrad spät abends nach Hause. Er hatte einen Joint geraucht und war immer noch total dicht. Meine Mutter hatte ihn total zur Schnecke gemacht. Ich war mir sicher gewesen, dass er für den Rest seines Lebens Hausarrest haben würde.
"Jacob, Lust morgen mit Basketball spielen zu kommen?", frage Ian mich. Im Vergleich zu meinen Brüdern war ich klein, aber sie fragten mich trotzdem oft, ob ich mitkommen wolle, wenn sie Basketball mit ihren Freunden spielten. Sie hatten es sich zu ihrer Aufgabe gemacht ihren kleinen Bruder, mich, mehr für Sport zu begeistern. Es war ihnen egal, dass ich nicht so gut wie sie war. Wir hatten Spaß zusammen und ich war ihr Bruder, das war alles, was zählte. Es war schön, wie gut wir miteinander auskamen.
"Danke, aber ich habe schon was vor, Ian. Tut mir Leid. Ich würde gerne mitkommen, vielleicht nächstes Mal", antwortete ich ihm. Ich war ehrlich enttäuscht, dass ich nicht mitkommen konnte. Basketball mit meinen Brüder machte immer Spaß.
Er zuckte mit den Achseln. "Deine Entscheidung, aber du solltest mal wieder mitspielen. Die Jungs fragen schon nach dir." Ich nickte ihm zu. Ich hatte es definitiv gut. Nicht jeder hat zwei große Brüder, die darauf achten, ihren 'baby brother' möglichst viel an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Genaugenommen war ich gar kein 'baby brother', Ian war gerade mal ein Jahr älter als ich, aber ich war so viel kleiner und schwächer als meine Brüder, dass die meisten Leute dachten, wir lägen mehrere Jahre auseinander.
Ich wendete mich meiner Mutter zu. "Mama, haben irgendwelche Verwandten mit dem Nachnamen Adams?"
Sie dachte einen Moment nach. "Nein, zumindest nicht soweit ich weiß. Warum fragst du?"
"Ach, kein spezieller Grund, nur so," wich ich aus.
Sie gab mir einen komischen Blick, aber fragte nicht weiter nach.
Als wir mit dem Abendessen fertig waren, verließ ich das Haus um einen Spaziergang zu machen. Ich musste in Ruhe darüber nachdenken, was früher am Tag passiert war und in der Wohnung ging das nicht. Bei sechs Leuten auf so engem Raum gab es immer irgendwelche Hintergrundgeräusche oder jemanden der mich ablenkte. Wenn ich einen stillen Moment haben wollte, musste ich das Haus verlassen. Außerdem machte die frische Luft es einfacher zu denken.
Josh zu treffen war ein ziemlicher Schock gewesen. Es passiert nicht jeden Tag, dass man jemandem begegnet, der genauso aussieht, wie man selbst. Vielleicht würde meine Mutter doch noch etwas herausfinden. Unsere Familie war riesig; meine Eltern hatten beide vier Geschwister. Die meisten von denen hatten wiederum selber Kinder. Es war schwierig, sich alleine die Namen unserer Cousinen und Cousins zu merken.
Aber tief in mir hatte ich eine andere Idee, eher eine Furcht, über die ich nicht wirklich nachdenken wollte. Keiner in meiner Familie sah mir wirklich ähnlich. Meine ganze Familie war blond, ich hatte dunkelbraune Haare. Alle ihre Gesichter sahen sich irgendwie ähnlich, außer meinem.
Auf Familienbildern sah es beinahe so aus, als sei ich ein Freund der Familie, der aber eigentlich nicht wirklich dazugehörte. Ich verdrängte den Gedanken. Das musste nicht unbedingt etwas bedeuten. Trotzdem...
Ich zog mein Handy, das ich von meinem eigenen, hart erarbeitetem Geld gekauft hatte, aus meiner Tasche und rief Sarah an. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie den Anruf entgegennahm.
"Hey J, was geht?"
"Hey Sarah, nur mal eine kurze Frage, hast du das mit Josh schon irgendwem erzählt?"
"Nein, warum fragst du?"
"Könntest du das erstmal für dich behalten? Ich will da erstmal selber drauf klarkommen, bevor jeder davon weiß."
"Das muss ganz schön gruselig sein", sagte sie verständnisvoll. "Ich meine, stell dir mal vor. Er sieht dir so ähnlich, er konnte dein Klon sein. Er könnte alles Mögliche machen und dich dafür beschuldigen. Scheiße, er könnte Pornos drehen und alle würden denken, das wärst du!", fügte sie lachend hinzu.
"Von allen vorstellbaren Dingen, fällt dir natürlich genau das ein, Sarah! Das kannst wirklich nur du", schalt ich sie grinsend. Sarah war nicht gerade eine Lady. Das machte sie zu einer genialen Freundin. Sie war keine Schlampe oder so, ich war mir ziemlich sicher, dass sie noch nie Sex gehabt hatte, aber sie war einfach sehr locker, wenn über solche Dinge geredet wurde.
"Haha, du kennst mich, da kann man nichts machen. Keine Sorge, ich werde keinem das Geheimnis von deinem Klon verraten.
"Danke, Sarah! Übrigens, es kann gut sein, dass ich es dieses Wochenende nicht schaffe, ins Schwimmbad zu kommen, bin mir aber noch nicht sicher," sagte ich ihr.
"Schade, aber das kann ich verstehen," sagte sie enttäuscht.
Wir verabschiedeten uns und legten auf. Ich lächelte während ich darüber nachdachte, wie gut wir befreundet waren. Ich kannte sie seit meinem ersten Jahr an der High School. Das war jetzt fast zwei Jahre her, und seit etwa einem Jahr war ich heimlich in sie verknallt. Ich hatte das aber immer irgendwie ignoriert, weil ich Angst hatte, das es unsere Freundschaft kaputtmachen könnte.
Meine Brüder stichelten mich bereits deswegen, aber das taten sie natürlich nur, wenn wir unter uns waren. Sie wären niemals so grausam, mich damit aufzuziehen, wenn andere es hören könnten. Ich hatte Ethan immer noch nicht davon erzählt und das war eigentlich nicht gut, aber ich hatte Angst, dass es die Dinge zwischen uns dreien ändern könnte.
Ich rief Ethan an um ihn das Gleiche zu fragen, was ich zuvor Sarah gefragt hatte. Er versprach mir, dass er kein Sterbenswörtchen sagen würde. Danach dachte ich über Josh nach. Es war wohl am besten ihn erstmal besser kennen zu lernen. Alles andere würde sich daraus ergeben. Ich tippte ihm schnell eine SMS.
Hey josh ich bins, jacob. Hast du morgen nachmittag zeit? Wir müssen reden. Lass im stadtpark am großen springbrunnen treffen, ab 3 uhr, wann immer du kannst.
Ich bekam fast sofort eine Antwort. Ok, werde da sein.
Ich spazierte noch eine Weile länger durch die Nachbarschaft und grübelte über all die neuen Probleme, aber auch Möglichkeiten, die diese Situation mit sich brachte. Zum Glück war diese Gegend ziemlich sicher, selbst zu dieser Tageszeit, sodass ich sorglos draußen herumlaufen konnte. Als ich endlich wieder zu Hause ankam, waren Ian und Conrad gerade dabei sich bettfertig zu machen. Wir hatten die unausgesprochene Vereinbarung, alle gegen zehn Uhr ins Bett zu gehen.
Mit drei Jungs in einem kleinen Zimmer, war das schlicht und ergreifend notwendig. Wenn jemand länger wachblieb, würde er damit auch die anderen wachhalten. Als wir noch jünger waren, war das besonders nervig für Conrad. Er blieb dann oft noch in der Küche, bis er müde genug war, um zu schlafen. In den letzten zwei Jahren hatte sich das aber gebessert. Ian und ich waren älter, also blieben wir genauso lange wach wie Conrad.
Trotzdem, Conrad konnte es kaum erwarten, ins Wohnheim der Uni zu ziehen und ehrlich gesagt, Ian und ich konnten es auch nicht erwarten, den Raum für uns zwei zu haben. Zu dritt war es einfach zu eng.
Nach wenigen Minuten schlief ich ein und träumte, dass Josh und ich Rollen tauschen und die Lehrer täuschen würden. Er schrieb meine Mathe- und Geschichtsklausuren und ich ging für ihn zu Französisch und Sport. Sprachen waren das Einzige, außer Sport, bei dem ich in der Schule etwas taugte. Ich war nicht dumm oder so, aber ich nahm das meiste in der Schule einfach nicht allzu ernst.
Fünfzehn Stunden später machte ich mich auf den Weg in den Stadtpark. Ich war aufgeregt, Josh wiederzusehen und dachte immer noch darüber nach, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte. Ich hoffte, dass wir zusammen eine Lösung finden würden Es war komisch, aber trotz der kurzen Zeit, die wir miteinander verbracht hatten, fühlte ich bereits etwas Spezielles zwischen uns.
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Gemini (Deutsche Version)
Teen FictionJoshs Leben lässt so einiges zu wünschen übrig. Zwischen seinen konservativen Eltern und Mobbing in der Schule fühlt er sich verzweifelt und allein. Sein einziges Ventil ist das Schwimmen. Als er im Freibad in Schwierigkeiten gerät, wird sein bisher...