Washington, D.C.

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Jacob

"In einer Stunde gibt es Abendessen", erinnerte mich Joshs Großmutter.

"Okay Oma, ich werde rechtzeitig runterkommen." Ich grinste, als ich die Treppen hinaufstieg. Ich war in herausragender Stimmung, so herausragend, dass ich das Verlangen unterdrücken musste, auf der Treppe immer zwei Stufen auf einmal hochzuhüpfen. Das wäre keine gute Idee gewesen. Ich hatte das am ersten Tag getan und musste mir ganz schön etwas anhören. Kein Rennen im Haus, Abendessen um Punkt sieben, Licht aus um Punkt elf, 'sitz gerade und nicht so zusammengesunken, zieh dich immer so an, als ob du ein Meeting mit dem Präsidenten hättest und benimm' dich am Esstisch als wärst du im Ritz, blablabla.'

Josh's Großeltern waren genauso streng wie seine Eltern, nur dass in ihrem Haus auch jemand da war, der die Regeln durchsetzte. Das machte sie allerdings nicht zu schlechten Menschen. Ich war überrascht, wie warm seine Großmutter mich begrüßt hatte und wie glücklich sie darüber war, Zeit mit mir verbringen zu können. Es war beinahe undenkbar, dass ein Mann wie Mr. Adams in diesem Haus aufgewachsen war.

Nicht, dass das Wort "Haus" wirklich treffend war. "Villa" war deutlich angemessener. Ich konnte kaum meinen Augen glauben, als wir am Freitagabend ankamen. Das Gebäude war riesig, selbst im Vergleich zu den anderen Villen in McLean, und dasselbe galt für das zugehörige Grundstück. Es mussten mindestens einhundert Meter perfekt gepflegter Rasen zwischen der Straße und der Hausfront sein. Ein gepflasterter Weg schlängelte sich von der Straße zum Haupteingang des Herrenhauses, vorbei an einem alten Springbrunnen und einer großen Zahl von kleinen Buchsbäumen, welche in kunstvolle Formen geschnitten worden waren. Hochgewachsene Bäume von mindestens zehn Metern Höhe umrahmten das Stück Land von beiden Seiten, während das weiße Haus drei Stockwerke in die Höhe ragte - ein einschüchternder Anblick, erst recht, wenn man die Treppen zur Eingangshalle emporstieg.

Obwohl Josh nur selten seine Großeltern besuchte, hatte er sein eigenes Zimmer. Zumindest war es als sein festes, eigenes Zimmer gedacht, doch abgesehen von dem großen Plasma-Fernseher, dem überdimensionalen Bett und den teuren Eichenholzmöbeln war es leer. Es sah eher aus wie ein Hotelzimmer als ein Raum, in dem ein Jugendlicher leben würde. Ob das so gedacht war, oder ob Josh sich einfach nie darum gekümmert hatte, es persönlicher und lebendiger einzurichten, wusste ich nicht, aber nach einem Blick auf den puren Luxus war mir das eigentlich auch egal.

Nachdem ich die Tür hinter mir verschlossen hatte, zog ich mich aus und ging in das an den Raum angeschlossene Badezimmer, um eine wohlverdiente Dusche zu genießen. Seufzend trat ich unter die entspannenden Strahlen des heißen Wassers und der frische Geruch von Kiefer verbreitete sich, als ich den Schweiß von meinem Körper wusch. Ich schloss meine Augen und massierte langsam meine Beinmuskeln, während ich an alles, was ich an dem Tag gesehen und getan hatte, zurückdachte.

Josh's Großmutter hatte vorgeschlagen, dass wir den Tag beim Smithsonian verbringen. Wir begannen ziemlich früh, zumindest für einen Samstag, um zehn Uhr am National Museum of Natural History. Paul, der Gärtner, fuhr uns die etwa zehn Meilen von McLean und wir kamen gerade rechtzeitig an, als sie öffneten. Margery, das war der Name von Josh' Großmutter, hatte dieses Museum vermutlich wegen Joshs Interesse an Geschichte ausgewählt. Anfangs war ich nicht sonderlich begeistert, auch wenn ich so tat als ob ich es wäre, denn Josh wäre es gewesen. Das änderte sich allerdings schlagartig. Wir waren in dem Bereich für die Eiszeit und ich betrachtete ein ausgestopftes Mammut, unterdrückte ein Gähnen und wunderte mich, wie ich Mrs. Adams dazu bewegen könnte in ein anderen Museum zu gehen, als ich einen Dinosaurier hinter einer Ecke sah. Dinosaurier sind immer cool, egal wie wenig man sich für Geschichte interessiert!

Nach etwa zwei Stunden Tyrannosaurier und Sauropoden und Raptoren bestaunen, und nebenbei sogar etwas lernen (wusstet ihr, dass debattiert wird, ob Tyrannosaurier Jäger oder Aasfresser waren?), konnte ich mich wieder losreißen. Als wir das Gebäude verließen, machte Mrs. Adams einen Schritt in Richtung des American History Museum, aber ich schaffte es glücklicherweise gerade noch rechtzeitig, uns in Richtung des Air and Space Museum zu lenken. Selbst wenn die Dinosaurier spannend gewesen waren, ich denke nicht, dass ich mehr Geschichte an einem Tag überlebt hätte.

Gemini (Deutsche Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt