Weil du mir wichtiger bist als du denkst.

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Aleyna zieht die Jacke enger um die schmalen Schultern und starrt geradeaus. Sie spürt wie sich eine Gänsehaut über ihren ganzen Körper ausbreitet und immer noch den Blick der Älteren auf ihrem Rücken doch sie traut sich nicht mehr hinüber zu sehen. Sie weiß einfach nicht, wie sie auf diese Frage antworten soll. In ihrer Überforderung würde sie am liebsten aufstehen und wegrennen, doch eine warme Hand legt sich auf ihren Oberschenkel und hindert sie daran. Für einen Moment hindert diese neue Wärme sie sogar am Atmen und sie schluckt einmal schwer bevor sie weiter geradeaus starrt ohne sich zu rühren.

"Bitte Aleyna. Ich will dir doch nur helfen."

Wut kocht in ihr hoch. Wut über eben diesen Satz. Sie hat ihn so oft gehört in den letzten Wochen. Jeder will ihr nur helfen. Ihre Mutter, die Ärzte, das Jugendamt. Sie alle behaupten sie wollen ihr helfen aber wirklich etwas für sie tun, dazu kommen sie nie. Dazu ist ihre Mutter 17 Jahre nicht gekommen und der Rest hat überhaupt keine Ahnung davon was sie eigentlich umtreibt. Weil es niemand verstehen würde. Und das ist das Problem. Sie alle tun so als wüssten sie, was das Beste für Aleyna ist aber wie sollen sie das denn wissen? Aleyna weiß es doch selbst nicht einmal und woher will es dann irgendjemand anderes tun? Sie streift die Hand von ihrem Oberschenkel.

"Sie können mir aber nicht helfen!"

Schreit sie schon beinahe und sie steht wieder von der Bank auf. Und jetzt geht sie doch. Sie rennt nicht aber sie läuft energisch. In ihrem Kopf stellt sie sich vor allem die Frage, warum sie überhaupt mit Lily bis hierher gelaufen ist. Sie bräuchte eigentlich Abstand. Am liebsten würde sie jetzt selbst in den Fluss springen und mal sehen was passiert. Hinter sich hört sie schnelle Schritte die sie bald eingeholt haben. Trotzdem Lily hohe Schuhe trägt ist sie erstaunlich schnell.

"Warte, bitte!"

Wieder bleibt Aleyna stehen. Einfach so mitten auf dem Weg. Sie atmet einmal tief durch, dann dreht sie sich um und Lily kommt gerade einmal einige wenige Zentimeter vor ihr zum stehen. Völlig außer Atem spricht sie ein weiteres Mal und obwohl ihre Stimme für Aleyna wie die eines Engels klingt schneidet sie immer noch wie Glas durch ihren ganzen Körper.

"Bitte Aleyna, rede mit mir. Du bist mir so wichtig. Wichtiger als du dir vorstellen kannst."

Sie kann nicht umgehen mit dem was die Ältere da sagt und mit ihrer Nähe erst recht nicht. Ihre Augen beginnen zu brennen und eine einzelne Träne läuft ihre Wangen hinunter. Die kleine Blondine wischt sie weg.

Diese weichen Finger auf meiner Haut.

Das macht es nicht besser. Sie weiß nicht was sie tun soll und hier in diesem Park ist um diese Jahreszeit niemand. Nicht einmal ein Jogger oder jemand der mit seinem Hund Gassi geht. Nur sie beide, mitten auf dem Weg und Lily's Hand immer noch auf ihrer Wange. Und dann sagt sie wieder die Worte, die sie das erste Mal im Krankenhaus gesagt hat. Nur damals waren sie Ernst gemeint und gerichtet an eine Person für die Aleyna deutlich weniger empfindet.

"Bitte geh. Lass mich einfach allein."

Und Lily geht nicht. Sie versucht nichts zu erklären sondern sie nimmt Aleyna einfach in den Arm. Sie wehrt sich nicht. Steht einfach da in den Armen der Person der sie so viele schlaflose Nächte zu verdanken hat. Einfach so mitten auf dem Weg umgeben von nichts als Bäumen und Wiesen die noch nichts vom Frühling mitbekommen haben und grau im Wind wehen steht sie da und weint an die Schulter die nie da war und jetzt doch. Sie tut es nicht bewusst, lässt die Tränen einfach laufen und sagt nichts. Auch Lily sagt nichts, hält sie einfach fest und ist für sie da wie Aleyna es sich so oft gewünscht hat.




People fall in love in mysterious ways...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt