Kapitel 10

125 14 0
                                    

Die ganze Fahrt über klopfte mein Herz wie verrückt.

Was, wenn das Gespräch im Büro das letzte war, das wir je geführt hatten?
Ich hatte immer nur ihr die Schuld gegeben, jedoch nie versucht, die ganze Sache aus ihrer Sicht zu betrachten. Natürlich hatte sie Fehler gemacht, große sogar. Doch das hatte ich auch. Einige. War es gerecht von mir, mich über sie zu stellen, wo ich doch im Grunde nicht besser war?
Wie viele Leute hatte ich betrogen und abgezockt...
Unruhig fuhr ich mir mit der Hand durch die Haare. Warum dauerte das denn so lange? Das Krankenhaus war doch nur drei Meilen weiter.
Ich spürte plötzlich Emilys Hand auf meiner. Sie drückte sanft zu und lächelte mich an.
Ich war wirklich froh, dass sie da war, sonst wäre ich wahrscheinlich durchgedreht.

Im Krankenhaus führte uns eine Schwester sofort zu meiner Mutter. Emily wartete draußen, weil immer nur eine Person rein durfte. Mit grünem Krankenhauskittel, Haarbedeckung und Überzug über den Schuhen betrat ich den Raum.

Emily hat mir in den letzten Tagen gezeigt, was das Leben eigentlich bedeutet. Wie schön es sein kann und wie die Menschen die kleinsten Dinge schätzen. Sie sind glücklich wenn sie einen Schmetterling sehen. Es ist eigentlich so einfach. Ich dachte immer, Geld und Macht bedeutet Glück, aber das stimmte nicht, das wusste ich nun.
Meine Mutter lag da, angeschlossen an unzählige Schläuche und Maschinen, die vor sich hin piepsten. Sie sah so schwach aus. Nur ihr Gesicht war frei, der Rest war von der Decke verdeckt. Unzählige Schrammen bedeckten ihr Gesicht.

"Sie war mit dem Auto unterwegs. Ihr Alkoholspiegel war ziemlich erhöht. Anscheinend übersah sie eine rote Ampel und krachte mit Vollgas in ein anderes Auto. Ihre Organe haben teilweise irreparable Schäden. Im Moment erhalten sie die Maschinen am Leben. Ohne Ihre Einwilligung können wir nichts unternehmen. ", sprach plötzlich jemand hinter mir. Der Arzt stellte sich neben mich und sah mich mitleidig an und wartete eine Weile stumm neben mir.
Dann, gerade als er gehen wollte, regte ich mich.

"Gibt es die geringste Chance, dass sie überlebt?", fragte ich das Schwerste , was mir je über die Lippen kam.
Der Arzt senkte mutlos den Kopf.
"Nein. Es tut mir sehr leid.", sagte er dann leise.

Ich dachte, jemand schnürt mir die Kehle zu. Das sollte es gewesen sein? Meine Mutter tot?

"Das kann doch nicht Ihr ernst sein? Für was haben Sie denn studiert? Sie atmet doch noch! Tun sie gefälligst was! Egal was es kostet! ", schrie ich ihn an und packte ihn am Kragen.

Zwei sanfte Hände legten sich um meine und nahmen sie weg. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Emily rein gekommen war. Der Arzt räusperte sich kurz und sah mich dann an.

" Ich kann mir vorstellen, wie schwer das sein muss. Glauben Sie mir, wenn ich könnte, würde ich alles tun. Aber die Befunde sprechen für sich. Ihre Mutter ist bereits von uns gegangen. Ihre Organe funktionieren nur noch durch diese Apparate. Da sie eine Verfügung hatte und Organspenderin war, werden wir die Organe, die nicht komplett zerstört wurden, entfernen. Jedoch brauchen wir Ihre Einwilligung, damit wir beginnen können. So steht es in der Einwilligung. ", erklärte der Arzt ruhig weiter.

Meine Mutter war tot verdammt und der Typ redete von Organspenden... Ich hätte in dem Moment alles kurz und klein schlagen können, jedoch hielt mich Emily davon ab. Sie hielt meine Hand fest und drückte sich an mich. Es beruhigte mich etwas.
Erschöpft ließ ich mich auf einen Stuhl fallen, der an der Wand stand und nickte knapp.
"Tun Sie, was Sie tun müssen! ", meinte ich knapp und erhob mich sogleich wieder.

Ich musste aus diesem beschissenen Krankenhaus raus. Ich zog Emily einfach hinter mir her.
Sie sagte kein Wort, war einfach da und streichelte mit ihrem Daumen meine Hand.
Ich war ihr dafür sehr dankbar. Mir war jetzt wirklich nicht nach reden zumute.

EngelsmusikWo Geschichten leben. Entdecke jetzt