Kapitel 07: Unterschlupf

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Weil jemand gesagt hat, dass es gemein ist, ein Kapitel mitten unter der Handlung zu beenden. 

Die Luft war muffig, aber warm. Es hing ein leichter Geruch nach Gulaschsuppe in der Luft. Ich klopfte an der ersten Tür links im Erdgeschoss, die Wohnung des Hausmeisters.

Drinnen hörte ich den Fernseher laufen, irgendein alter Western, der zum tausendsten Mal wiederholt wurde, dann das knarzen eines alten Sessels und zu guter Letzt Schritte, die in meine Richtung kamen. Hörte sich so an, als würde derjenige hinken.

Die Tür öffnete sich einen Spalt weit und ein Paar misstrauischer schmutzbrauner Augen starrte mir entgegen.

"Ich habe gehört, hier wär ne Wohnung frei", begann ich unser Gespräch.

"Sagt wer?" Seine Stimme war tief und verraucht und mit irgendeinem osteuropäischen Dialekt geschwängert.

"Mein Hausarzt."

Die Tür schloss sich für einen Augenblick - ich hatte schon Angst, er würde mich hier draußen stehen lassen - bevor mein Gegenüber die Tür entriegelte und in den Hausgang trat.

Er war ein ganzes Stück kleiner als ich, mit einer riesigen Wampe auf die sogar Santa Claus neidisch gewesen wäre. Über besagter Wampe spannte sich ein Unterhemd, das dringend den einen oder andern Waschgang nötig gehabt hätte. Vervollständigt wurde seine Erscheinung durch eine dunkelblaue Jogginghose aus den 80ern. Ein Orginal, wie ich vermutete.

Seine rostigen Augen musterten mich eine Weile, bevor er wieder zu sprechen begann.

"50 Dollar die Nacht, zahlbar im Voraus."

"50 Dollar? Ich will hier nur schlafen und nicht die ganze Bruchbude kaufen!"

Diese Bemerkung schien ihn nicht sonderlich zu begeistern; seine Gesichtszüge verhärteten sich.

"Das ist der übliche Preis, Mr. Smith. Sie können aber auch gerne wo anders absteigen, wenn ihnen mein bescheidenes Etablissement nicht zusagt."

Er verzog sein unförmiges Gesicht zu einem schrecklichen Lächeln. Ich hatte keine andere Wahl und das wusste er. Also steckte ich ihm ein Bündel Scheine zu und er verschwand in seiner Wohnung. Als ich schon dachte, er kommt nicht mehr, stand er plötzlich wieder in der Wohnungstür. Er hatte einen Schlüssel für mich; klein, abgegriffen und messingfarben glänzte er in meiner Hand. Zimmer 38, reserviert auf John Smith. Eigentlich hieß jeder seiner Mieter so.

***

Das Zimmer war klein und bestand aus wenig mehr als einem Bett, einem kleinen Beistelltisch samt Plastik-Klappstuhl und einem antiquierten Fernseher, bei dem ich mir nicht sicher war, ob er andere Farben als Schwarz und Weiß darstellen konnte.

Eine Tür neben dem Eingang führte wahrscheinlich in ein Badezimmer, aber das wollte ich heute nicht mehr herausfinden.

Schwarz/Weiß.

Wie sehr hatten sich die Grenzen doch verschoben.

Alles wirkte verschwommen; es gab nur noch Grautöne.

Irgendwo in dem Nebel lag die Wahrheit versteckt;

ich würde sie finden, das stand fest.

Ich wusste nur noch nicht, wie.

Ich setzte mich aufs Bett, schnappte mir die klebrige Fernbedienung und suchte nach den Nachrichten.

"... kam es bei einer Explosion an den Docks zu mehreren Toten. Zu den Umständen der Tat ist noch nichts bekannt, es dürfte sich jedoch angesichts des Bildes, das sich uns hier bietet, um einen Anschlag handeln. Um wen es sich bei den Opfern handelt, werden wohl erst die Ergebnisse der DNA-Untersuchungen zeigen. Die Polizei schließt einen Terroranschlag aber derzeit aus..."

Gut, ich war also noch tot, wieder einmal. Es würde eine Weile dauern, bis sämtliche Leichen wieder zusammengesetzt und identifiziert waren; wenn ich Glück hatte, waren nicht alle registriert.

Im Hintergrund der Szenerie sah ich die Absperrbänder und die Leute von der Spurensicherung, die eifrig fotografierten und eintüteten. Dann trat eine in zivil gekleidete Person hinter die Absperrung. Mein Herz setzte für einen Moment aus, dann musste ich doch lächeln. Ich hatte soeben meinen Zugang zu den Ermittlungen gefunden.

***

Ich musste eingeschlafen sein; als ich meine Augen das nächste Mal öffnete, war es bereits hell. Nachdem ich eine Vicodin eingeworfen hatte, konnte ich auch wieder aufstehen. Jetzt war es an der Zeit, herauszufinden, wohin mich die Tür rechts vom Eingang führen würde, danach wäre ein Anruf fällig.

***

"Polizeiinspektion Nowhere City South. Womit kann ich ihnen dienen?"

Weiblich, jung, aber vermutlich nicht halb so hübsch, wie sie klang.

"Ich möchte gerne Inspektor Jim Stentson sprechen. Sagen Sie ihm, Ray O'Neill ist dran."

"Einen Moment bitte."

Warteschleifenmusik...

Ich überlegte noch nach dem Songtitel, als er sich plötzlich meldete.

"Ray - altes Haus! Wie geht's dir?"

"Jim, ist viel zu lange her."

"Allerdings. Wo drückt der Schuh?"

"Ich bin in der Stadt."

"Hier? Wir müssen uns treffen."

"Aber wann und wo?"

"Hmm, hier ist die Luft gerade ziemlich dick, aber heute Nachmittag kann ich mich vielleicht für ein paar Minuten absetzen."

"Die Explosion in den Docks?"

"Japp, die Familien halten uns mal wieder auf trapp."

Ich lachte.

"Wie in guten alten Zeiten..."

"Allerdings... Wie wär's im Pub?"

"Ein etwas neutralerer Ort wär mir lieber."

"Verstehe. Im Park? Um 15:00 Uhr?"

"Klingt gut. Beim Denkmal?"

"Von mir aus. Wir sehen uns."

So gern ich auch ins Pub gegangen wäre, es wimmelte dort nur so von Cops. In meinem derzeitigen Outfit würde ich auffallen wie ein bunter Hund. Der Park lag im Stadtzentrum, also eine ganze Ecke weg von Vince und den Docks. An einem schönen sonnigen Tag wie heute würden 2 Männer auf einer Parkbank nicht weiter auffallen.

Es war noch nicht mal Mittag, ich würde also vorher noch Zeit für ein paar Einkäufe haben.

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Jepp, auch dieses Kapitel endet mitten unter der Handlung. Ich gelobe Besserung ;)

Jimmy is Dead - ein Noire-KrimiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt