Kapitel 18: Geduldspiele

470 36 26
                                    

Das wirklich Schlimme an Wartebereichen vor OP-Sälen ist die schier unerträgliche Eintönigkeit, mit der sie gestaltet werden. Zwei bis drei Stühle oder Hocker und nichts als endlose, weiße Wand. Egal, wohin man blickt. Manchmal auch ein hässliches, abstraktes Gemälde, das die Wand verschönern soll, sich dabei aber kaum Mühe gibt. Von Künstlern gestaltet, die entweder noch nie in so einem Wartebereich Platz nehmen mussten, oder deren einziges Bestreben es war, die Monotonie durch die sinnfreie Aneinanderreihung bunter geometrischer Figuren noch zu verstärken, und dadurch einen eigenen Kosmos mit einer gänzlich anderen Zeitrechnung zu schaffen. Es gelang ihnen in der Regel mehr als gut.

Dieser Wartebereich hier bildete natürlich keine Ausnahme, und so fühlte sich die erste halbe Stunde, in der wir in Stille hier verbrachten, bereits wie zwei oder drei Stunden in der richtigen Welt an. Mindestens. Dann öffnete sich die Tür zum OP-Saal und eine Dame mittleren Alters trat heraus. Sie war hellhäutig, leicht übergewichtig und hatte blaue Augen; das war so ziemlich alles, was man unter ihrer OP-Kleidung erkennen konnte. Sie zog sich den Mundschutz ab und lächelte uns knapp an.

„Hallo. Ich bin Samantha. Ich nehme an, Sie beide haben unsere Patientin angeliefert?"

„Richtig. Wie geht es ihr?"

„Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein. Ich würde ihren Zustand als „kritisch" bezeichnen. Sie hat ziemlich viel Blut verloren und wir wissen noch nicht genau, welche Schäden ihr Bauchraum davongetragen hat. Aber Doctor Klein wird nicht aufgeben, bis sich ihr Zustand stabilisiert hat."

„Wie lange kann soetwas dauern?"

„Das ist schwer zu sagen. Aber die nächsten drei bis vier Stunden werden wir wohl beschäftigt sein. Sie sollten sich in der Zwischenzeit die Beine vertreten. Gehen Sie etwas Essen. Hier können Sie sowieso nichts für ihre Freundin tun. Und wenn sich etwas ändert, rufen wir Sie an. Die Nummer haben wir."

Nikky zögerte etwas, darum ergriff ich das Wort.

„Das ist eine sehr gute Idee. Vielen Dank für Ihre Mühen."

„Für unsere Kunden nur das Beste. Sie sollten wohl aber auch über einen Kleiderwechsel nachdenken."

Ich blickte zum ersten Mal, seit wir Nadja verarztet hatten, auf meinen langsam trocknenden Pulli. Das dunkle Muster, das sich darauf abbildete, stach sofort ins Auge. So konnte ich nun wirklich nicht auf die Straße.

„Sie haben nicht zufällig...?"

Samantha lächelte wieder.

„Folgen Sie mir."

Sie öffnete eine Tür gegenüber des Wartebereichs und bedeutete mir, ihr zu folgen.

Der Raum, in den sie uns führte, war nicht mehr als eine große Abstellkammer. Aber statt der Putzmittel lagen diverse Kleidungsstücke in den Regalen.

„Und das hier ist...?"

„Unser Kleiderlager. Diejenigen Kleidungsstücke unserer... unglücklicheren Kunden, die noch brauchbar waren. Für Notfälle sozusagen."

Sie bemerkte meinen kritischen Blick.

„Keine Sorge, alles frisch gewaschen."

Ich blickte mich um. Viel war das ja gerade nicht. Was ja irgendwie auch tröstlich war. Ich hätte mehr Sorge um Nadjas Gesundheit gehabt, wären die Regale voll gewesen. So beschränkte sich meine Auswahl auf zwei oder drei Oberteile in meiner Größe. Ein hellblaues Hemd? Nein, das passte nicht zu Nikkys Stil. Und wir mussten ja optisch irgendwie zusammenpassen, wenn wir nicht groß auffallen wollten. Ein Norweger-Pulli mit einem ultra-hässlichen Karomuster und aufgestickten Rentieren? Ich hatte da so eine Vermutung, warum sein Träger hier bei Doctor Klein gelandet war. Der Pulli war ein optisches Gewaltverbrechen. Nein, auf keinen Fall!

Jimmy is Dead - ein Noire-KrimiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt