Ich hatte wirklich sehr viel mehr Glück als Verstand. Zwar musste ich mich etwas durchfragen, doch nach nicht einmal einer ganzen Stunde hatte ich jemanden gefunden, der mir weiterhelfen konnte.
"Billie, altes Haus, wie geht's dir?"
"Ray, bist du das? Man, ich dachte, du wärst tot oder sowas."
„Ach du weißt doch, die Leute übertreiben gerne."
„Bist du doch noch gekommen, um mich zu heiraten und aus diesem Sündenpfuhl zu retten?"
„Ritter in strahlender Rüstung, stets zu Diensten."
Ich deutete einen Knicks an. Sie lächelte. Billie und ich hatten unsere Rituale.
Schließlich war sie damals eine meiner besten Informantinnen gewesen. Eines der besten Pferde in Sams Stall. Und auch jetzt war sie noch hübsch. Ebene Gesichtszüge, eine sanft geschwungene Nase, blaue Augen, ein fast schon unschuldig schüchterner Blick, ein sanftes Lächeln auf ihren vollen, dezent geschminkten Lippen. Ihr Zenit lag aber weit hinter ihr. Die kleinen Fältchen um ihre Augen, ein Hauch von Bitterkeit in ihrem Blick. Ich war mir beinahe sicher, dass der üppige blonde Schopf auf ihrem Kopf eine Perücke war.
"Wie kann ich dir helfen, mein Hübscher?"
„Ich hätte da die eine oder andere Frage an dich."
„Oh, Ray, du weißt aber hoffentlich noch, dass das nicht mit trockener Kehle geht."
Sie zog eine perfekt zurechgestutzte Augenbraue nach oben.
Ich verstand den Hinweis und nahm sie mit in ein Café, gehobenes Etablissement. Billie verstand es, sich vernünftig zu kleiden, darum fielen wir nicht besonders auf. Andererseits waren wir hier ziemlich sicher vor ungewollten Mithörern.
„Wie laufen die Geschäfte?"
„Seit ich nicht mehr so viel arbeiten muss? Deutlich besser."
„Machst du jetzt auf Teilzeit?"
„Scherzkeks. Sind einfach weniger Kunden geworden. Manche von ihnen kommen glaube ich nur noch aus Gewohnheit zu mir. Ich sollte mich darüber wohl nicht beschweren."
„Aber...?"
Irgendetwas lag in ihrem Blick, ich konnte es nur noch nicht ganz zu fassen kriegen.
Sie zögerte einen Augenblick, sah sich um, bevor sie etwas leiser weitersprach.
"Was weißt du über die aktuelle Geschäftslage?"
"Nicht sehr viel, außer, dass dein Boss tot ist."
"Der alte Sam ist tot?" sie seufzte.
"Armer alter Narr. Dachte immer, er könne seine Position halten."
"Konnte er nicht?"
Ein Kellner trat an unseren Tisch und nahm unsere Bestellung auf; eine Kanne Kaffee für mich und ein großes Sektfrühstück für Billie.
"Nein, leider. Er war immer gut zu uns. Kurz nach der Sache mit Jimmy hat Vince die Geschäfte an sich gerissen. Sam hatte Glück, dass er nicht auch gleich eine Kugel zwischen die Augen bekam. Aber Vince konnte ihn wohl noch irgendwie gebrauchen. Sam hatte Verbindungen, weißt du? Keiner konnte den Stoff so schnell und unauffällig verteilen wie er. Also zumindest das Ressort durfte Sam behalten. Aber für uns gings seitdem nur noch bergab. Vince ist ein ziemlicher Mistkerl, weißt du?"
Wusste ich. Er hatte mich ja gerade erst getötet und obdachlos gemacht.
„Warum hast du dich nicht längst zur Ruhe gesetzt? Jemand, der so schlau und charmant ist, wie du, sollte doch keine Probleme haben, etwas anderes zu finden."
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Jimmy is Dead - ein Noire-Krimi
Mystery / Thriller"Als Kind hatte ich Albträume. Von Monstern, Biestern, Kreaturen, die mir nach dem Leben trachteten. Manchmal träumte ich vom Tod meiner Eltern, so als ob ich selbst dabeigewesen wäre. Dieser hier war anders. Ich hatte von Rachel geträumt. Sie lag...