Kapitel 19: Eine Falle für zwei

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Warnung: Das nachfolgende Kapitel ist kurz, aber heftig. Wer etwas näher am Wasser gebaut ist, sollte sich sicherheitshalber Taschentücher bereitlegen. Und Schokolade. Schokolade geht immer. Oder Kuchen.

„Ray?"

„Ja?"

„Was ist in dem Koffer?"

Ich blickte zu dem schwarzen Lederkoffer, der im Schlafzimmer neben dem Bett stand.

„Das übliche, würde ich meinen. Ein bisschen Geld, ein paar Steine, vielleicht ein bisschen Edelmetall."

„Bist du denn überhaupt nicht neugierig?"

„Nein. Wir übergeben den Koffer einfach, bekommen dafür hoffentlich einen kleinen freundlichen Briefumschlag und dann verschwinden wir wieder."

„Und was ist in dem Umschlag?"

„Ein Schlüssel."

„Für ein Schließfach?"

„Einen Transporter."

Sie lächelte, während sie mir einfach nur in die Augen schaute. Sie lag auf mir. Ihr Kopf ruhte auf ihren Händen, welche wiederum auf meinem Brustkorb lagen. Wir atmeten im Gleichklang. Unsere Herzen schlugen synchron.

Dann verblasste ihr Lächeln und sie runzelte die Stirn.

„Ich weiß nicht. Irgendwas an der Geschichte gefällt mir nicht."

„Mir auch nicht. Der Platz ist einfach viel zu groß. Es gibt kaum eine Möglichkeit, schnell zu verschwinden, falls etwas schiefläuft. Aber ich habe auch nicht vor, blind da reinzugehen."

Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn, sog kurz den Duft ihrer frisch gewaschenen Haare ein. Meine Hände lagen locker auf ihrem Rücken. Ich spürte deutlich die Wärme, die von ihr ausging.

„Was hast du vor?"

„Wir tauchen da eine ganze Weile vorher auf, dann können wir uns in Ruhe umsehen. Und wenn uns die Sache nicht gefällt, machen wir die Biege."

„Und danach? Wenn alles vorbei ist?"

„Dann sehen wir erstmal zu, dass wir von hier wegkommen. Einen kleinen Urlaub haben wir uns auf jeden Fall verdient."

„Eigentlich sogar mehr als das."

Ich lächelte sanft.

„Über unseren Ruhestand können wir dann am Sandstrand in aller Ruhe nachdenken."

„Wollen wir das wirklich durchziehen?"

„Sicher. Nur du und ich und ein Haufen Palmen. Was brauchen wir mehr?"

„Was werden Mario und Vince davon halten?"

„Mario wird es verstehen. Er weiß, dass Familie vor dem Geschäft kommt. Und Vince? Naja, der kommt auch drüber weg. Dann muss er wenigstens keine Angst mehr haben, ich könnte an seiner statt seinen Vater beerben."

„Ich hätte da eine Idee."

„Später. Wir sollten uns langsam fertigmachen. Sonst kommen wir doch noch zu spät. Was hältst du davon, wenn wir nachher genau da weitermachen, wo wir gerade aufgehört haben? Dann kannst du mir in aller Ruhe von deiner Idee erzählen."

„Das klingt gut."

Rachel gab mir einen Kuss.

„Ich liebe dich."

„Ich liebe dich auch."

Ich hielt sie noch einen Augenblick fest in meinen Armen, dann rollte sie sich von mir runter und stand von der rechten Seite des Bettes auf. Ich blickte ihr nach, als sie in Richtung Bad verschwand, wo sie sich zuvor einen Satz Kleidung zurechtgelegt hatte, verfolgte jede ihrer anmutigen Bewegungen. Dann stand ich auf, öffnete meinen Kleiderschrank und suchte nach einem passenden Outfit für den Abend.

***

Ein kühler Wind wehte, als wir Hand in Hand zum Ort der Übergabe schlenderten, einem Umschlagplatz für Schiffscontainer, direkt am Hafen. Es war schon dunkel draußen; die Nacht legte sich wie eine Decke langsam über Nowhere City. Am Himmel konnte man sogar ein paar Sterne sehen. Unser Auto hatten wir ganz in der Nähe geparkt, damit wir im Notfall möglichst schnell von hier wegkamen. Zunächst drehten wir zu Fuß eine großzügige Runde um den Platz, um ein Gefühl für ihn zu bekommen. Dann hielten wir Ausschau nach möglichen Verstecken. Ein Frachtcontainer, der nicht verschlossen war, eine dunkle Ecke, die man nicht richtig einsehen konnte, oder ein verdächtiges Transportfahrzeug; es gab viele potentielle Gefahrenorte, die man ausschließen musste, wenn man wissen wollte, ob ein Ort wirklich sicher war. Dann die Geräuschkulisse: Passte irgendeines der Geräusche nicht an diesen Ort? War es zu laut, oder vielleicht zu still?

Der Umschlagplatz war eindeutig beides: Zu groß und zu laut. Viel zu viel Gefährdungspotential für ein vernünftiges Treffen.

„Ich weiß nicht, was Vince sich hierbei gedacht hat. Wir sollten schleunigst verschwinden. Dieser Ort gefällt mir nicht."

„Mir auch nicht. Alles hier riecht förmlich nach Falle."

„Dann auf zum Wagen."

Wir wandten uns um und wollten uns gerade in Bewegung setzen, als Rachel sich mit dem Rücken zu mir vor mich stellte.

„Halt. Warte mal. Ist das da vorne...?"

Weiter kam sie nicht.

Ich hörte einen dumpfen Knall, Rachel stolperte gegen mich.

Ein scharfes Stechen in meiner Brust.

Rachel schwankte. Ich hielt sie fest.

Merkte, wie sie wegsackte.

Meine Brust und meine Hände wurden warm und feucht. Klebrig. Genau wie Rachels Rücken.

Das Atmen fiel mir schwer.

Es dauerte einen Moment, bis ich begriff.

Ich ließ sie zu Boden gleiten, ging in die Knie. Konnte selbst kaum noch stehen.

Mein Blick trübte sich langsam. Das Rot, dass sich rasant auf ihrer zuvor makellos weißen Bluse ausbreitete, sah ich dennoch viel zu klar vor mir. Ihr Blut vermischte sich am Boden mit meinem; für immer vereint.

Ein beißender metallischer Geruch legte sich über die salzig-ölige Note, die die Luft hier am Hafen für gewöhnlich hatte.

Ich hielt Rachel immernoch fest, sah in ihre schockgeweiteten Augen, als sie versuchte, sich zu mir umzuwenden.

„Ray? Ich... ich..."

„Rachel? Alles wird gut, hörst du?"

Meine Augen wurden feucht.

„Ich..."

Eine Träne lief über meine Wange.

„Du darfst nicht sterben!"

„...liebe ..."

Eine zweite Träne, dann eine dritte, dann viele.

Ich konnte kaum noch etwas erkennen, kaum noch atmen.

„Rachel, bleib bei mir!"

Sie ließ los. Driftete ab. Atmete zum letzten Mal aus.

Der Glanz in ihren wunderschönen grünen Augen erlosch.

Ihr Blick trübte sich, ging an mir vorbei, irgendwo ins Leere.

„Bitte!"

Ich schrie. Zum letzten Mal.

Dann gingen mir die Lichter aus.


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Sorry, aber das Kapitel MUSSTE leider sein. 

Jimmy is Dead - ein Noire-KrimiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt