Kapitel 15: Gezielter Abschuss

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Ich stand gerade in der Küche und schnipselte ein paar frische Kräuter klein, als sich die Tür zum Bad öffnete und eine frische und offensichtlich gut gelaunte Nikky preisgab. Sie trug ein schlichtes, olivgrünes Top und eine eng anliegende Jeans. Die Bilder, die mir in den Kopf schossen, verdrängte ich sofort wieder.

„Das riecht absolut köstlich."

„Eine ganz einfache Tomatensauce. Nach altem Familienrezept."

„Sie sehen nicht aus wie ein Italiener."

„Vincentos Mutter war eine gute Lehrmeisterin."

„Sie haben bei den DeLaggios kochen gelernt? Ernsthaft?"

„Na das gehört bei einer Familie doch dazu, oder?"

Nikky lachte.

„Dann hoffe ich sehr, dass Sie auch ein guter Schüler waren. Ich habe nämlich wirklich großen Hunger."

„Das werden wir ja gleich sehen."

Ich gab die Kräuter in die Sauce, rührte einmal kurz um, nahm den Topf vom Herd und trug ihn zum Esstisch, wo auch schon die noch heißen Spaghetti warteten.

„Wie haben Sie es eigentlich geschafft, so schnell einzukaufen und zu kochen?"

„Ich hab die Zutaten elektronisch bestellt. Per Hauspost quasi."

„Dieses Gebäude wird mir langsam unheimlich."

„Man gewöhnt sich daran."

„Das glaube ich sofort."

***

Schweigend genossen wir unser einfaches Mahl. Nikky hatte nicht zuviel versprochen: Ihr Hunger schien enorm. Und auch ich merkte erst während des Essens, wie ausgehungert ich eigentlich gewesen war. Aber dieser Tag hatte auch echt in sich gehabt. War wirklich immernoch Freitag?

Es kam mir mindestens wie eine Woche vor, seit ich bei Billy gewesen war, um mir Nikkys Adresse zu holen. Der Anschlag im Poets Corner? Erst ein paar Stunden her. Ich blickte über den Tisch zu ihr, und bemerkte, dass auch sie ihren eigenen Gedanken nachhing, während sie an ihrem zweiten Glas Rotwein nippte.

Eine unbeantwortete Frage hing noch immer im Raum.

Warum musste Rachel sterben?

Wie auf ein Stichwort hob Nikky ihren Blick und sah mir direkt in die Augen.

„Unser Gespräch vorhin im Poets Corner..."

„... wurde ziemlich unschön unterbrochen."

Ich räumte den Tisch ab.

„Noch ein Glas Wein? Oder lieber eine Irish Carbomb?"

Nikky verzog das Gesicht.

„Nein, danke. Da bleibe ich lieber bei dem hier. Carbombs und Bier waren eher Rachels Sache."

Sie hob ihr Weinglas an und ich schenkte ihr nach.

„Ich denke, wir sollten dieses Gespräch an einem bequemeren Ort weiterführen."

Ich deutete mit einem Kopfnicken auf die Sofalandschaft auf der anderen Seite des Raums.

„Eine wirklich gute Idee."

Auf dem Weg blieb ich kurz an der Bar stehen und ließ den Blick über mein Whisky-Regal schweifen. Hatte ich mir wirklich heute früh vorgenommen, nicht mehr zu trinken? Nun, das musste wohl bis morgen warten. Nüchtern würde ich diesen Abend wohl kaum überstehen.

Während ich mir einen großzügigen 18-jährigen Macallan einschenkte, trat Nikky neben mich.

„Erzählen Sie mir bitte nicht, dass meine Schwester einen dieser Whiskys zum Mischen für die Carbombs missbraucht hat."

Jimmy is Dead - ein Noire-KrimiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt