Kapitel 22: Erlösung

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Es war Nacht. Es hatte angefangen zu regnen. Und es war stockdunkel. Zumindest unter der Kapuze, die mir über den Kopf gezogen worden war. Sie roch muffig nach altem Jutesack. Ich lag im Kofferraum einer Limousine, meine Hände und Füße sauber verschnürt. Wie ein Geschenk. Fehlten nur noch das Schleifchen und die Glückwunschkarte. Ich hörte das Trommeln der Regentropfen, die auf den Kofferraumdeckel platschten. Ein beinahe beruhigendes Geräusch. Und tatsächlich machte sich in mir eine unheimliche Ruhe breit; ein willkommenes Gefühl nach dem Chaos der letzten Tage.

Als ich beinahe eingeschlafen wäre, kam der Wagen zum Stillstand. Gedämpft konnte ich hören, wie zwei Wagentüren zugeschlagen wurden, dann Schritte, die sich näherten. Der Kofferraum wurde geöffnet, frische Luft strömte herein. Sie war kühl und salzig und angenehm. Ein schwacher Geruch nach Hafen drang durch die Kapuze.

„Sind wir schon da?" hörte ich mich selber fragen.

„Endstation. Bitte alles aussteigen. Ihr Zug endet hier."

Ich wurde aus dem Wagen gehievt; irgendjemand warf mich wie einen Sack Kartoffeln über seine Schultern und marschierte los. Klang nach nassem Betonboden. Nach einigen Metern dann eine Metalltreppe, die wir nach oben gingen. Dort veränderte sich das Geräusch der Schritte wieder; ich konnte nicht ausmachen, auf was für einem Untergrund wir uns befanden. Dann veränderte sich die Geräuschkulisse; offenbar betraten wir ein Gebäude, auf jeden Fall aber einen Raum. Dann wieder Stufen, diesmal nach unten. Ich wusste, was das für ein Labyrinth aus Stufen und Gängen war. Ich wusste auch, wohin sie uns führen würden. Aber ich blieb ruhig, versuchte, so gut es ging, tief einzuatmen und mich auf das zu konzentrieren, was vor mir lag. Vince.

***

„Ich habe doch gesagt, dass ich nicht gestört werden will!"

„Boss, ich denke, das hier sollten sie sich ansehen."

„Wer ist das?"

Ich wurde unsanft zu Boden befördert. Massige Pranken zogen mich hoch, so dass ich auf dem Boden kniete.

„Das Arschloch hier hat versucht, uns zu bestechen."

„Wer sollte denn bitte so dumm sein?"

Die Kapuze wurde mir vom Kopf gerissen. Vince stand direkt vor mir. Er starrte mich an. Nach dem Bruchteil der Sekunde, die sein Gehirn brauchte, mich zu erkennen, verlor er sämtliche Farbe. Er war beinahe grau im Gesicht, bevor sich eine ungesunde Röte darauf ausbreitete.

„Warum kannst du nicht einfach tot bleiben?" schrie er mich an.

„Darin war ich wohl nie besonders gut. Und bisher hat sich auch keiner so richtig Mühe gegeben, das zu ändern."

„Alles muss man selber machen."

Er setzte sich an seinen Schreibtisch, atmete ein paar Mal tief ein und aus, bevor er eine Schublade öffnete und einen Revolver herauszog, den er demonstrativ auf den Tisch legte.

„Noch irgendwelche letzen Wünsche oder Kommentare, bevor ich dich von deiner jämmerlichen Existenz erlöse?"

„Ich habe eigentlich nur eine Frage: Warum?"

„DU fragst nach dem Warum? Ernsthaft? Deine Kleine war ein verdammter Polizeispitzel und du warst entweder zu blöd, das zu begreifen, oder nur zu gern bereit, ihr zu helfen, um mich loszuwerden."

„Red keinen Blödsinn. Alles, was ich wollte, war, mich zur Ruhe zu setzen. Mit Rachel. Von ihren Plänen wusste ich bis vor ein paar Tagen noch nichts. Jim Stenton war so frei, mich in die ganze Sache einzuweihen."

„Dann warst du wirklich zu blöd, das zu begreifen. Ich hatte so etwas schon befürchtet, als du wieder vor mir standest und völlig ahnungslos warst. Wie ein Schaf auf dem Weg zur Schlachtbank. Genau so blind wärst du ihr gefolgt. Hättest uns verraten und verkauft für diese Schlampe."

Jimmy is Dead - ein Noire-KrimiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt