Acht

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Innerlich freute ich mich schon auf die Pause. Ich könnte endlich einmal alleine mit Bella reden. Naja, alleine nicht, aber zumindest so, dass wir nicht von irgendjemandem unterbrochen wurden. Eine Cafeteria war dafür vielleicht trotzdem nicht ganz angemessen, aber ich sah es als einzige Möglichkeit, nicht in Versuchung zu kommen, ihr Blut zu lefzen.
Ich hatte die letzten paar Tage nicht sonderlich viel mit meiner Familie gemacht. Ich hatte mich von Ihnen fern gehalten und wenn sie mich ansprachen, gab ich möglichst knappe Antworten, um mich Ihnen zu entziehen. Den genauen Grund verstand ich auch nicht.
Das einzige was sich für mich verändert hatte, war meine Ansichtsweise. Die Ansichtsweise auf meine Familie und Bella. Jetzt war der Schwerpunkt meiner Existenz nicht mehr meine Familie, nein, es war Bella. All meine Gedanken kreisten Tag und Nacht um sie, egal wo ich war, ich erkannte irgendetwas von ihr wider. Sei es ihre liebliche Stimme oder ihr süßer Duft, doch wenn ich mich danach umdrehte, realisierte ich, dass es bloß meine Einbildung gewesen war, die mir einen Streich gespielt hatte. Sie war wie der Wind- immer da und doch nirgends. Sie war wie die See- ruhig, aber doch so mächtig. Sie war wie eine Rose- so süß duftend und doch tückisch. Sie war wie ein Strich auf einem Gemälde- noch so klein und doch wäre ohne sie das Bild nicht Vollendet. Und das Gemälde, das symbolisiert mein Leben. Sie hatte eine wichtige Rolle darin eingenommen. Wie sie das geschafft hatte, und das in nur so kurzer Zeit, konnte ich nicht nachvollziehen. Und doch hatte sie es geschafft. Ich wusste, ich würde sie nicht loslassen können, dann würde irgendetwas fehlen. Etwas wichtiges, was nicht ersetzbar war. Es war erstaunlich, wie ein kleiner Mensch in einem derartigen Übermaß besitzt von mir ergreifen konnte. Alles andere schien im Gegensatz zu ihr so klein. Sogar meine Familie, und das hätte ich niemals erwartet.

Ich betrat die Cafeteria und schaute mich um. Die restlichen Cullens hatten sich an ihren üblichem Platz eingefunden. Ich schaute jedem von ihnen ins Gesicht, als ich an ihnen vorbei schritt, um mir einen Platz so weit weg von ihnen wie nur möglich zu suchen. Ich konnte ihren verwirrten Gedankengang laut und deutlich hören, doch nur Alice schien zu verstehen, warum ich dies tat. Ich tat es nicht, um meine Familie zu versetzen, ich tat dies, um mich selbst zu verstehen und zu verstehen, was dieses Mädchen mit mir tat.
Ich erblickte einen freien Tisch, setzte mich und wartete. Wartete, bis dieses unwiderstehlich riechende Mädchen die Cafeteria betrat.
Und da kam sie. Sie schaute sich um, dann blieb ihr Blick an dem Tisch meiner restlichen Familie hängen und die Bestürzung war in ihrem Gesicht abzulesen. Sie und ihre anderen Freunde reihten sich in der Schlange zum Buffet ein. Sie nahm sich eine Limonade und schaute weiterhin verdrießlich drein, bis ihre Freundin Jessica ihr etwas ins Ohr flüsterte. Ich konnte genau den Neid in ihren Gedanken hören, den sie verspürte, als sie merkte, dass ich Bella beachtete und nicht sie. Und trotzdem war sie so nett, Bella darauf hinzuweisen, dass ich sie anstarrte. Und als Bella sich umdrehte, um zu gucken ob es stimmt, was ihre Freundin gesagt hat, schaute ich keineswegs weg. Ich schaute sie weiterhin fasziniert und frustriert an. Fasziniert, weil ich immer wieder komisch fand, was sie für eine Auswirkung auf mich hatte und frustriert, weil ich ihre Gedanken immer noch nicht lesen konnte. Ein Leben lang war ich daran gewöhnt, alles über einen Menschen erfahren zu können, aber es meistens garnicht zu wollen, weil ich alles schon kannte, doch bei der Person wo ich alles wissen wollte, konnte ich nicht ihre Gedanken lesen. Überaus frustrierend, doch das würde sich bald ändern. Ich würde zum gefühlt ersten Mal, etwas über eine Person herausfinden, ohne dabei auf meine Vampirfähigkeiten zurückzugreifen.
Ich winkte sie zu mir hinüber und deutete auf den Platz neben mir. Sie schien sichtlich verwundert, doch dann kam sie zögerlich und setzte sich mir gegenüber. "Ich dachte du könntest mir etwas Gesellschaft leisten?" sagte ich mir einem Schmunzeln auf dem Gesicht. Sie schaute weiterhin überrascht und weil sie nichts sagte, hatte ich das Gefühl, ihr eine Erklärung schuldig zu sein. "Wenn ich schon in die Hölle komme, dann zumindest nicht ohne einen triftigen Grund." jetzt schaute sie einfach nur sich verwirrt. "Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung, wovon du sprichst." ich lachte leise vor mich hin, dann sagte ich, um sie aufzuziehen: "Ich weiß!" Sie verdrehte lächelnd die Augen, weiter nichts. Ich schaute zu ihren Freunden herüber, die mich alle ungläubig anstarrten. Ich musste nicht einmal ihre Gedanken lesen, um zu wissen, was in ihren Köpfen vorging. Pure Verwirrung.
Ich wendete ich wieder Bella zu, die sich ihre Limonade ziemlich angestrengt anschaute. Ein kläglicher Versuch nicht mich oder einer der anderen Vampire im Raum anzustarren. Es tat mir immer wieder leid, wenn das passierte. Ich wollte nicht angestarrt werden. Vampir zu sein war schon schlimm genug, aber auch noch unmenschlich hübsch auszusehen? Nicht fair für alle nicht- Vampire. "Ich glaube deine Freunde sich ziemlich sauer auf mich." Unterbrach ich meine eigenen Gedanken. Sie schaute kurz zu ihnen hinüber und zuckte mit den Schultern. "Die werden es schon überleben." sagte sie sorglos. "Und was ist wenn ich dich nicht mehr von Seattle zurückbringe?" ich wollte wissen, wie sie darauf reagierte.
Sie schluckte. Oh nein. "Du siehst besorgt aus." sagte ich, selbst ein wenig besorgt. "Nein eher... Überrascht. Im einem Moment hasst du mich, im anderen bietest du mir eine Mitfahrgelegenheit nach Seatte an."
"Ich Bins einfach Leid mich von dir fernzuhalten, also lass ich es."
"Also gibst du auf?"
"Ja, ich gebe es auf, gut zu sein. Ich mache was ich will, lasse den Dingen freien lauf." Das gut sein, bezog sich auf Bella. Wenn ich gut sein wollte, müsste ich mich von ihr fern halten, doch Ich habs endgültig leid. Ich werde einfach sehen, wie sich die Dinge entwickeln.
"Ich kann dir wieder nicht Folgen."
"Ich verrate einfach zu viel wenn ich bei dir bin."
"Keine Sorge, ich verstehe eh nicht das geringste."
Das war auch gut so. Würde sie nämlich nur den kleinsten Teil von dem verstehen, was ich fasele, würde sie mich für verrückt erklären, mich ein Monster nennen. Ich hatte Angst, dass sie herausfand, dass ich ein Vampir war. Und wenn ich so weitermachte, würde sie es auch.
"Also, sind wir jetzt eigentlich Freunde oder nicht?" fragte sie plötzlich.das kam mir zu schnell und das einzige was ich rausbrachte, war: "Freunde..."
"Oder nicht." beendete sie für mich.
"Ich sag dir gleich, ich bin kein guter Freund für dich." und das meinte ich ernst. Ich würde sie möglicherweise verletzen oder in Gefahr bringen.
"Das sagst du ständig."
"Genau und du hörst nicht zu! Ich warte auf den Tag wo du endlich begreifst, dass was ich sage, ich auch so meine. Wenn du klug bist, gehst du mir aus dem Weg." anstatt geschockt auf meine harten Worte zu reagieren, sagte sie etwas, was ich fast erwartet hätte.
"Na so viel zu meiner Intelligenz." ich lachte in mich hinein. "Also das heißt, wenn ich nicht klug bin, können wir das mit der Freundschaft versuchen?" sagte sie und wurde mit jedem Wort leiser. "So ungefähr" bei diesem Satz schaute ich ihr fest in die Augen. Ich konnte ihre Reaktion nicht deuten, deswegen fragte ich sie etwas, was ich vielleicht nicht hätte tun sollen. "Was denkst du grade?" Was ich nicht erwartet hätte war, dass Ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen kam. "Ich möchte herausfinden, wer du wirklich bist." jetzt könnte man bestimmt die Verwunderung in meinem Gesicht ablesen. Ja, es war schwer, mich zu durchschauen, doch ich hatte ihr eine Seite von mir offenbart, die ich bis jetzt noch niemand anderem gezeigt hatte. Ich dachte, dass ich es ihr unextra viel leichter gemacht hatte, doch anscheinend hatte ich mich geirrt.
"Und, hast du schon etwas herausgefunden?" fragte ich verspielt. "Nicht wirklich..." sagte sie Gedankenversunken. "Hast du irgendwelche... Theorien?"
"Das kannst du vergessen, die werde ich dir nicht sagen."
"Das ist äußerst frustrierend." doch bevor ich einen weiteren Gedanken daran verschwenden konnte, sagte sie: "Was soll denn daran frustrierend sein? Nur wenn jemand sich weigert zu sagen was man denkt aber er selbst die ganze Zeit kryptische Andeutungen macht, die zu nichts anderem da sind als einem die ganze Nacht wach zu halten, weil man nicht schlau daraus wird. Was soll denn daran frustrierend sein?" oh nein, sie war kurz davor zu schreien. Schon wieder. Das durfte ich nicht zu lassen. Das war das letzte, was ich gewollt hatte. "Du bist ganz schön sauer, nicht wahr?" Wirklich? Die fällt im Ernst nichts besseres ein als 'du bist ganz schön sauer?' Ich mach doch alles nur noch schlimmer. "Nicht sauer aber ich hab etwas gegen Doppelmoral!" eine enorme Erleichterung breitete sich in meiner Brust aus. Ich starrte sie an, sie starrte zurück. Dann fiel meine Aufmerksamkeit auf einen wütenden Blick, der eindeutig von Bellas kleinem Freund Mike stammt. Ich lachte bei seinem überaus lauten Gedanken auf und Bella fragte mich, was denn los sei. Ich erzählte ihr, dass sich Mike grade überlegt rüberzukommen und dieses Gespräch zu beenden. "Ich habe wiedermal keine Ahnung wovon du redest aber ich bin mir sicher dass es nicht stimmt."
"Verlass dich auf mich. Ich hab doch gesagt ich kann Leute leicht durchschauen." sagte ich beschwichtigend.
"Alle außer mich." sagte sie grüblerisch. "Stimmt. Ich frag mich nur, woran das liegt." sagte ich mehr zu mir selbst als zu ihr. Als ich dann realisiert hatte, was ich grade gesagt hatte, lenkte ich schnell vom Thema ab. "Hast du keine Hunger?"
"Nein und du?" Sie ist gerissen, das muss man ihr lassen.
"Nein." antwortete ich schlicht. "Tust du mir einen Gefallen?" fragte sie leise.
"Kommt drauf an." sagte ich schmunzelnd.
"Würdest du mich bitte nächstes mal vorwarnen, bevor du mich wider zu meinem eigenen Schutz ignorierst?"
"Wenn du mir im Gegenzug eine Antwort gibst."
"Eine, ok."
"Ich möchte eine Theorie von dir hören." jetzt hatte ich sie. Ha!
"Nein nicht das." sagte sie teils belustigt, teils verärgert.
"Von Einschränkungen war nicht die Rede." innerlich lachte ich sie aus. "Nur eine? Ich lache auch nicht!" bekräftigte ich.
"Tust du doch sowieso." sagte sie leicht verlegen.
"Ich verspreche ich werde nicht lachen. Bitte?" Ich wurde immer leiser und lehnte mich immer weiter nach vorne, damit mein Gesicht ca. 30cm von ihrem entfernt war. "Äh Was?" fragte sie zerstreut. Bevor ich etwas sagen konnte, fasste sie auch von alleine. "Achso. Hat dich vielleicht eine... Radioaktive Spinne gebissen?" sie schaute auf den Tisch. Ich lag innerlich auf dem Boden vor lachen. Doch ich hatte ihr etwas versprochen. "Das ist nicht sehr Originell." sagte ich schmunzelnd. "Tut mir leid, aber mir ist nichts besseres einfallen!"
"Naja, du bist nicht einmal nah dran." sagte ich nun grinsend.
"Also keine Spinnen?"
"Keine Spinnen."
"Und auch keine Radioaktivität?"
"Nein, auch das nicht."
"Mist."
Und wieder musste ich lachen. Und um noch einen drauf zu setzen, sagte ich: "Und Kryptonit macht mir auch nichts aus." jetzt konnte ich mich nicht mehr halten. Ich brach in schallendes Gelächter aus und ließ mich zurück in meine Stuhllehne fallen.
"Irgendwann werde ich es herausbekommen." sagte Bella beleidigt.
"Ich wünschte du würdest es nicht versuchen." meine Belustigung war sofort verflogen und eine ernste Miene besetzte mein Gesicht.
"Und warum?"
"Was ist, wenn ich nicht der Superheld bin. Was ist, wenn ich der Bösewicht bin?" und das meinte ich todernst.
"Wieso sollte das so sein?" sagte sie, und ihre gute Laune war auch vollkommen verschwunden.
"Guck mich doch nur an." sagte ich. Ich wusste genau was sie sagen würde. Du bist nicht böse, so siehst du nicht aus bla bla bla. Dieses aussehen brauche ich doch garnicht. Ich hatte es nicht nötig.
"Du bist nicht gefährlich. Ich glaube das nicht." sagte sie, und ich behielt mit meiner These recht.
"Bella, du irrst dich." antwortete ich leise und eindringlich. Sie musste das verstehen! Das musste sie einfach!
"Ohnein, jetzt kommen wir zu spät zu Bio." sie sah besorgt aus, und als sie aufgebracht aufstand, blickte ich mich um. Wir waren einer der letzten, die hier noch hockten. Aber ich hatte sowieso nicht vor, zu Bio zu gehen. "Ich werde nicht hingehen." sagte ich ruhig.
"Warum denn nicht?" fragte sie verwirrt.
"Es ist gut für die Gesundheit gelegentlich zu schwänzen."
"Naja, ich gehe auf jeden fall hin." sagte sie unruhig.
"Dann bis später." rief ich ihr noch hinterher, und blieb auf meinem Platz sitzen. Ich hatte nicht vor dabei zu sein, wenn sich 25 Schüler eine Nadel in den Finger steckten. Das würde ich nicht aushalten. Besonders nicht bei Bella.

Biss Zum Morgengrauen -Edwards Sicht (On Pause)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt