Kapitel 3

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Er ging durch die Menge, mit der Menge. Vor zehn Minuten hatte er noch ein Ziel, aber jetzt... Diese Frau aus der S-Bahn, sie hatte ihn abgelenkt. Sie hatte ihn angelächelt und ist dann ausgestiegen, als er schon zu ihr gehen wollte. Ihr Anblick hatte ihm so ein vertrautes Gefühl gegeben, als ob sie sich kennen würden. Es war ein seltsames Gefühl, so ein Ausbreiten der Wärme in ihm. Er hatte eine gewisse Verbundenheit gespürt. Als ob... sie zueinander gehören würden...
Er war aus der Bahn geeilt, ehe sie ihre Türen schließen konnte, und versucht, ihr zu folgen, doch er verlor sie. Sofort hatte er Daniel angerufen und das Treffen um zwei Stunden verschoben.
Und jetzt lief er durch die Straßen und wusste nicht, wohin. Er musste sie einfach finden. Aber wo sollte er anfangen? Er wusste doch nicht einmal ihren Namen! Er wusste nichts...
(You know nothing, John Snow. xD Sorry, musste jetzt einfach sein^^')

Sie trottete durch die Straßen. Berlin war wirklich eine interessante Stadt. Aber was sie jetzt wirklich kümmerte, war dieser Mann aus der S-Bahn. Er kam ihr so bekannt vor! Hatten sie sich vielleicht schon einmal gesehen? War er für kurze Zeit ein Gast in ihrem 'Zuhause'? Es war so ein vertrautes Gefühl, als er sie angesehen hatte. Sie musste ihn einfach anlächeln. Es war wirklich schade, aussteigen zu müssen. Sie hatte gesehen, wie er auf sie zukommen wollte. Sie hatte auch einen solchen Drang empfunden. Doch sie konnte hier keinem vertrauen. Er könnte schließlich ein Angestellter von Vincent sein.

Er sah sich hastig um. Wo war sie?! Auf der Friedrichstraße befanden sich zu viele Menschen. Noch einmal sah er sich um. Warte, da! Es war ihr Gesicht! Es waren ihre hellblonden Haare! Warum strebte er so danach, sie zu finden, sie anzusprechen?
Er lief zur Ampel, wo er die junge Frau gesehen hat. Bahnte sich den Weg durch die dichte Menschenmenge. Bei ihr kam er an, ehe die Ampel von rot zu grün wechselte. Um die Aufmerksamkeit zu erwecken, musste er sie leicht an der Schulter antippen, obwohl es auch unhöflich war. Vor allem nach alten Gebräuchen. Überrascht, vielleicht auch etwas erschrocken, wandte sie sich ihm zu, lächelte dann jedoch. Und jetzt wusste er nicht, was er sagen sollte.
"Hallo.", fing sie statt seiner schüchtern aber nett an. "Sie sind..."
"Aus der S-Bahn, ja.", lächelte er zurück. "Hallo."
"Wünschen Sie sich etwas?", wollte sie höflich wissen, lächelte weiter.
"Ehm ja, ich habe eine Frage. Oder besser gesagt eine Bitte. Ich bin hier neu in der Stadt. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie vielleicht etwas Zeit für mich hätten und mir die besten Plätzchen zeigen könnten."
Er wusste selber nicht, warum er so überhöflich zu ihr sprach. Auf jeden Fall würde er so einen guten Eindruck machen.

Es war wirklich komisch, dass er ausgerechnet sie ausgesucht hatte, um ihm die Stadt zu zeigen. Sie war doch selbst erst den zweiten Tag hier. Aber wahrscheinlich lag es nur daran, dass sie, so wie er, ein Vampir war. Oder es könnte auch mit diesem seltsam guten Gefühl zusammenhängen, das er wohl ebenfalls gespürt haben musste.
Und seine Sprechweise war... faszinierend.

Obwohl er sie angelächelt hatte, weilte sein Blick bislang nur auf ihrem leicht himmelblauen Kleid, das ihre gute Figur unterstrich. Als er ihr jetzt jedoch in die Augen blickte, musste er sich bei seiner Verwunderung echt zusammenreißen, um weiter so lässig zu wirken. Ihre Augenfarbe war beinahe gold! Nur einmal hatte er einen Menschen getroffen, der die gleichen Augen hatte. Insgesamt ähnelte diese Person der Frau vor ihm. Oder war das wohl wieder seine Geistesspinnerei, weil er gestern ein weiteres Kind verloren hatte? Konnte sein. Jedenfalls war dieser Mensch schon lange tot, wie traurig diese Tatsache für ihn auch war.

Außerdem... Sein Aussehen ließ sich nichts besseres wünschen. Etwas längere dunkelbraune Haare, die die helle Farbe seines hübschen Gesichts hervorhoben, strahlend blauen Augen, die im Moment leider traurig wirkten, gute Figur. Bestimmt hatte er da unter seinem dunkelblauen Poloshirt einen Sixpack, denn seine Arme sahen stark aus, was er natürlich dank den Vampirkräften so oder so wäre. Haaalt!, ermahnte sie sich. Was für unangemessene Gedanken, Fräulein!
Sie musste lachen, als sie sich wieder an seinen letzten Satz erinnerte, und er musterte sie verständnislos.
"Die habe ich wohl. Aber ich bin selber erst seit Kurzem in Berlin.", schmunzelte sie. "Wir können ja zusammen die Stadt erkunden. Und Sie brauchen sich nicht so mit der höheren Sprachweise anzustrengen."
Die Ampel wurde grün und sie gingen los, wie auch alle anderen um sie herum.
"Ich heiße Michael.", stellte er sich vor.
"Mein Name ist Emilia-Katheryn."
Warum auch immer nannte sie ihm seine beiden Namen.
"Schön, Sie kennenzulernen.", lächelte er. "Können wir uns duzen?"
"Ja, gerne doch. Wann bist du hier angekommen?"
"Heute Nacht. Mir wurde in Dresden langweilig, da habe ich meine Wohnung verkauft und bin nach Berlin gefahren. Und was war dein Grund?"
Emilias Lächeln verzog sich, doch sie versuchte, es aufrecht zu halten. Natürlich dachte er bestimmt, dass das ein neutrales Thema war. Er schien nicht einer von Vincents Leuten zu sein.
"Ach, das ist doch nicht so wichtig. Kennen Sie-", sie unterbrach sich und lachte kurz. "Ich meine, kennst du dich zumindest ein bisschen in der Stadt aus?"
"Na ja, habe nach Sehenswürdigkeiten gegoogelt, mehr auch nicht.", zuckte er die Schultern.
Gegoogelt..., dachte sie. Das bedeutete doch so etwas wie gesucht. Das hatten ihr ihre Kinder erklärt.
"Oh. Mein Sohn hatte mir erzählt, dass es hier eine Menge zu sehen gibt. Leider hatte er heute keine Zeit, mich zu begleiten.", sagte sie etwas enttäuscht, lächelte aber trotzdem weiter.
Sie mochte es, sich mit ihm zu unterhalten.

"Dein Sohn.", wiederholte er und geriet ins Nachdenken. "Wie viele Kinder hast du denn? Wenn es natürlich kein Geheimnis ist." er grinste.
"Natürlich nicht.", winkte sie ab.
Er fragte sich, ob sie sonst jemanden zu reden,hatte, denn sie schien mit ihm, einen Unbekannten, ziemlich offen zu sein. Oder lag das an diesem seltsamen Gefühl, das er in ihrer Nähe empfand und das sie wahrscheinlich auch überfüllte? Lag es überhaupt an ihm oder war sie zu jeden so warmherzig? Er konnte nur raten.
"Es sind zwanzig.", lächelte sie verlegen.
Ungläubig starrte er sie an. "Oha!", entfuhr es ihm. "Hätte nie gedacht, dass eine Frau dazu bereit wäre. Vor allem da es bei uns so schwierig ist. Da hat jemand wohl eine glückliche Ehe."
Er beneidete sie in das Glück, das sie gefunden hatte. Und gleichzeitig wusste er, dass er ihr das Unglück, das ihm widerfahren ist, nicht wünschen durfte und vor allem wollte. Es war einfach nicht angemessen ihr gegenüber. Außerdem machte es ihn traurig, dass sie schon einen Mann hatte. Aber er hätte es wissen müssen. Man zaubert schließlich keine Kinder aus der Luft.
Ihr Lächeln schwand und diesmal konnte sie es nicht wieder über die Lippen ziehen.
"Über meine Kinder können wir gern reden, aber bitte nicht über meine Ehe.", sagte sie und wandte den Blick dabei sorgenvoll ab.
Doch nicht so glücklich wie ich angenommen hab., dachte er bedrückt.
"Es tut mir leid, dass ich damit angefangen habe.", entschuldigte er sich.
"Nein, nein, man kann ja nie wissen.", warf sie schnell ein, als ob sie schlechtes Gewissen wegen seiner gesunkenen Laune hatte. "Und hast du Kinder?"
"Nicht wirklich. Ich habe elf, die sich uns anschließen wollten.", antwortete er stolz, da es ein Wunder für ihn war, dass sich jemand die Verdammtnis wünschte.
Aber es waren eigentlich noch mehr., dachte er dann traurig.
Zugegeben konnte er nicht mehr wirklich in ihre Augen schauen, als er ihre Farbe erkannt hatte. Er dachte, er hätte die Trauer über das Mädchen überwunden, aber so war es nicht. Und wenn er sich an sie erinnerte, erinnerte er sich auch an alle anderen. Und vor allem die kleine Maria tat ihm jetzt furchtbar leid, weil sie jetzt bestimmt höllische Qualen erlitt und er sie so im Stich lassen musste.

Das Leben ist kein MärchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt