Am nächsten Morgen, in der Schule, nahm ich mir vor. Mo zu suchen und ihn einfach zu fragen, woher wir uns kennen könnten.
Ich wartete ab bis zur großen Pause. Ich war den ganzen Tag schon total angespannt und echt aufgeregt. Ich ging den Gang entlang zum Lehrerzimmer. Sollte ich ihn wirklich fragen? Bildete ich mir das alles nur ein?
Ich sollte den scheiß echt lassen und die Begegnung einfach vergessen.
Ich drehte mich wieder um und kaute auf meiner Lippe rum, so wie ich es immer machte, wenn ich unsicher war.
"Hallo Kyra."
Ich schaute auf und sah direkt Mo ins Gesicht. Ich war so in Gedanken, dass ich ihn gar nicht gesehen hatte.
"Oh hallo.", erwiederte ich.
Mo schaute mich irgendwie unsicher an. Warum schaute er mich unsicher an? Er war bald Lehrer. Da sollte man nicht unsicher sein.
"Ähm....ja...ich..", fing Mo an und strich sich über seine kurzen schwarzen Locken.
Diese Geste...ich kannte sie.
Die Umgebung um mich herum verschwamm. Ich fixierte mich krampfhaft auf ein Bild an der Wand.
Doch die Realität verschwand immer mehr.
"Kyra?", hörte ich eine Stimme, weit weg.
"Lass mich los!", schrie ich. Doch er hielt mich weiter an meinen Handgelenken fest. Er drückte sie so fest zusammen, dass ich Angst hatte sie würden brechen. Ich fing an zu weinen. Doch er zog mich erbarmungslos hinter sich her.
"Du bist selbst dran Schuld, Kyra. Hör auf zu weinen, sonst knallt es.", sagte mein Onkel.
Er zog mich weiter ins Schlafzimmer und schmiss mich auf sein Bett. Er holte weit aus und schlug mir seine Hand ins Gesicht. Ich schmeckte Blut in meinem Mund. Ich hatte tierische Angst vor ihm.
Er boxte mir in den Bauch und schlug noch ein paar mal auf mich ein.
Doch ich spürte die Schläge nicht mehr. Ich hatte viel zu viel Angst vor dem was noch kommen würde.
Ich bekam es kaum mit, als mein Onkel meine Hose runterzog und in mich eindrang. Ich hörte einen Vogel und stellte mir vor ich würde davon fliegen. Ganz weit weg. Zu meiner Mama.
"Kyra, zieh dich an und wehe du stellst irgendetwas an, wenn ich bei der Arbeit bin.", befahl er mir, als er endlich fertig war. Endlich ließ er mich alleine. Als ich hörte, wie die Wohnungstür zu ging. Schlich ich in mein Zimmer. Ich hielt mir den Bauch, er tat furchtbar weh, das tat er immer. Ich legte mich erschöpft in mein Bett. Ich hörte, wie meine Zimmertür aufging und leise wieder geschlossen wurde. Ich schaute auf und sah, dass mein großer Cousin in mein Zimmer kam. Ich war neidisch auf seine dunkle Hautfarbe. Seine Mama kam aus Togo, sie war sehr hübsch, aber sie ließ ihn mit seinem Vater alleine.
Ich wollte auch schon so alt sein wie er. Mein Cousin war schon 14. Ich war erst acht.
Unsicher sah er mich an. Er strich sich mit der Hand durch seine schwarzen Locken. Das machte er immer, wenn er unsicher war oder sich schuldig fühlte. Er hob mich hoch und setzte mich auf seinen Schoß. Er hielt mich im Arm bis ich mich beruhigt hatte.
"Es tut mir leid", flüsterte er in meine Haare. Was tat ihm leid? Ich verstand es nicht, aber ich war froh, dass er da war.
"Spielst du was mit mir, Morris?"
"Kyra, schau mich an. Komm, drück meine Hände.", hörte ich die selbe Stimme wie vorher.
Ich tat wie mir geheißen. Ich spürte meine Hände und Hände in diesen.
Langsam nahm ich auch meine Umgebung wieder wahr. Ich sah mich um, ich war in einem leeren Klassenzimmer.
"Kyra, schau mir in die Augen."
Ich suchte nach der Stimme und sah Frau Renz in die Augen.
"Bist du wieder da?", fragte sie mich.
Ich nickte, doch die Umgebung um mich herum verschwamm schon wieder.
"Ey, Kyra. Nicht schon wieder abhauen, bleib hier.", sagte Frau Renz und drückte meine Hände zusammen. Ich konzentrierte mich auf die braunen Augen von Frau Renz.
Plötzlich ging die Tür vom Klassenzimmer auf. Für mich klang das Geräusch mega laut und ich zuckte zusammen.
"Sorry.", sagte Mo, der gerade gekommen war.
Ich riss mich von Frau Renz los und starrte Mo an.
"Morris.", flüsterte ich leise.
Tränen liefen mir über die Wangen und ich ärgerte mich tierisch darüber. Warum heulte ich jetzt? Wütend schrie ich los und ballte meine Hände zu Fäusten. Ich ging auf Mo los und schubste ihn zur Seite, dann schlug ich wahllos auf ihn ein.
"Du bist schuld.", schrie ich ihn immer wieder an.
"Kyra, lass das.", rief Frau Renz hinter mir.
Als Mo endlich meine Arme zu fassen bekam, drückte er sie mir nach unten und hielt mich fest.
"Es ist alles gut. Hol tief Luft und entspann dich.", flüsterte Mo mir ins Ohr. Ich tat wie mir gehießen.
"Kyra, sag mal, spinnst du. Du kannst doch nicht einfach auf meinen Neffen losgehen. Oder überhaupt auf jemanden losgehen.", sagte Frau Renz.
"Ist schon okay.", sagte Mo und setzte mich auf einen Stuhl.
"Nein, das ist total inadäquat.", schimpfte Frau Renz.
Ich war müde und total erschöpft. Mir wurde gerade alles zuviel.
"Nein, ist es nicht. Sie hat Recht.", meinte Mo leise.
"Mo, was meinst du?", sagte Frau Renz.
In dem Moment klopfte es an der Tür und Nina streckte ihren Kopf herein. Ich sprang von meinem Stuhl auf und rannte zu ihr. Sie nahm mich in den Arm. Ich fühlte mich wie ein Kleinkind und verhielt mich auch so. Ich hasste das.
"Was ist los?", fragte sie.
"Hallo, ich bin die Frau Renz und sie sind?", fragte meine Lehrerin.
"Ich bin Nina Reck. Kyra wohnt bei mir und ich wurde angerufen, mit der Information, ich solle Kyra abholen."
"Ah okay. Dann sind sie also Kyras ehemalige Therapeutin. Jetzt habe ich mal ein Gesicht dazu. Also Kyra hatte ein Flashback und danach ist sie auf Mo losgegangen."
"Was?", Nina zwang mich sie anzusehen, "Was sagst du dazu?"
Ich zuckte mit den Achseln.
"Nina, ich glaube, das da ist Morris."
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Just Me
RandomKyra ist traumatisiert. In ihrer Kindheit hat sie nur Grausamkeiten erlebt. Verzweifelt versucht sie ein normales Leben zu führen. Doch erst eine unerwartete Begegnung und eine Reihe von Zufällen erlaubt es ihr mit ihrer Vergangenheit abzuschließen...