Kapitel 13

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"Hallo Kyra, mein Name ist Jörg Richter und das ist meine Kollegin Anna Wiest. Wir sind von der Polizei und haben ein paar Fragen an dich, wenn das okay ist?", begrüßte mich ein Mann in Uniform. Seine Kollegin hatte allerdings keine an.
Frau Renz meinte sie würde warten bis ich hier fertig war, das rechnete ich ihr hoch an.
"Auch wenn ich nein sage fragen Sie mich doch trotzdem, also warum die Frage?", antwortete ich.
Der Polizist sah unsicher zu seiner Kollegin rüber.
"Findest du nicht, dass das frech war?", fragte diese mich.
Oh mein Gott in was war ich hier reingeraten.
"Nein. Ich sage nur das was ich denke.", antwortete ich und grinste diesesmal mit Absicht frech.
Anna Wiest schüttelte mit dem Kopf. Was zum Teufel wollte die Polizei von mir? Ich konnte mich nicht erinnern etwas angestellt zu haben.
Der Polizist holte ein Foto aus seiner Tasche und zeigte es mir.
"Kennst du diesen Mann, sein Name ist Darius Lang?", fragte er.
Ich sah auf das Bild. Ich sog scharf die Luft ein. Auf dem Bild war mein Onkel. Er sah anders aus als ich ihn in Erinnerung hatte. Er war älter, hatte ein paar graue Haare und er war dünner, seine Augen waren eingefallen und seine Haut hatte Falten bekommen.
Ich sah Herr Richter fest in die Augen.
"Nein.", log ich. Ich wollte nichts mit dem was da lief zu tun haben.
"Bist du dir sicher? Überleg mal nach.", mischte sich Frau Wiest ein.
"Ja, ich bin mir ganz sicher."
"Kyra, ich glaube dir nicht. Dieser Mann ist gefährlich. Er saß jetzt 8 Jahre im Gefägnis, ist aber vor zwei Wochen entkommen. Wir wollen herausfinden: warum er geflohen ist. Sein Sohn haben wir schon gefunden, aber wir können uns nicht vorstellen, dass er von ihm was will. Aber bei seiner Nichte sieht das schon anders aus. Wir sind auf dich gestoßen. Du hast einen anderen Nachnamen, aber der Vorname passt und du siehst dem kleinen Mädchen von damals ähnlich und das Alter würde auch passen.", erklärte Frau Wiest mir. Ich wusste, dass sie mir Angst machen wollte, um mich aus der Reserve zu locken. Es funktionierte. Ich hatte Angst. Trotzdem wollte ich nichts sagen. Mein Onkel wusste nicht wo ich war, dafür hatte man vor zehn Jahren gesorgt.
Ich schluckte.
"Tut mir Leid, ich kann Ihnen nicht weiter helfen.", sagte ich, klang aber nicht mehr ganz so sicher wie vorher, was mich ärgerte.
"Na gut, aber bitte melde dich, wenn dir doch was einfällt, was uns helfen kann.", sagte die Polizistin, warf ihrem Kollegen einen Blick zu und wandte sich zum Gehen.
"Kyra, wie heißt dein Cousin?"
"Morris.", antwortete ich und bemerkte im selben Moment, dass ich reingelegt worden war.
Beide Polizisten kamen wieder zurück.
"Aha. Kyra kennst du den Mann auf dem Bild vielleicht doch? Ist er dein Onkel?", bombardierte mich der Polizist.
Ich war kurz davor auszurasten. Die sollten mich in Ruhe lassen. Kurz entschlossen schupste ich Frau Wiest auf Seite, riss die Tür auf und rannte den Gang runter. Fluchend stürmten beide Polizisten hinter mir her.
Ich schaute kurz zurück und sah, dass die zwei schneller waren, als ich dachte. Ich legte noch einen Zahn zu und stürmte die Treppe runter. Ich sah mich nochmal um und rannte voll in meinen Mathelehrer und fiel hin. Ich merkte, dass ich mir meine Knie aufschlug.
"Halten Sie das Mädchen fest.", rief Herr Richter.
Mein Lehrer packte mich am Arm.
"Lassen Sie mich los Mann.", schrie ich und befreite mich. Ich rappelte mich auf und versuchte weiter zu laufen. Doch der Lehrer packte mich erneut. Ich sah auch, dass Frau Renz von vorne angerannt kam. Die Polizisten hatten uns inzwischen erreicht. Ich trat nach ihnen und zappelte so rum, dass Herr Wolf, mein Mathelehrer, mich loslassen musste um nicht von mir getroffen zu werden.
Frau Renz packte mich ohne mit der Wimper zu zucken und hielt mich so, dass ich kaum noch zappeln konnte. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib und beschimpfte jeden.
"Kyra, beruhig dich. Wir wollen dir nichts böses.", versuchte der Polizist auf mich einzureden.
"Lassen Sie mich in Ruhe!", schrie ich ihn an. Ich merkte, dass mir so langsam sie Kraft ausging. Es war anstrengend so zu schreien und sich gleichzeitig gegen die Umklammerung von Frau Renz zu wehren.
Trotzdem hörte ich nicht auf. Die sollten mich in Ruhe lassen. Ich wollte mit meiner Vergangenheit nichts mehr zu tun haben, warum verstand das niemand.
Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Ich hörte irgendwann auf zu schreien und wurde ganz ruhig. Ich bekam gar nicht mit, was um mich herum passierte. Ich verkroch mich in meinem Körper.
"Kyra, hörst du mich?", hörte ich Frau Renz. Ich schaffte es aber nicht zu antworten. Alles kam mir ganz weit weg vor, total verschoben.
"Kyra, hey, Herzele, alles gut. Hier ist es nicht gefährlich. Komm her."
Ich kroch auf die Stimme zu. Sie war vertraut. Es war Ninas Stimme. Zwei Arme umschlossen mich und drückten mich. Ich verkroch mich darin.
Langsam wurde alles wieder klarer. Meine Knie taten weh, ich sah runter und merkte, dass meine Hose sich an den Knien rot färbte. Ich blutete.
Ich riss mich von Nina los und stapfte davon.
"Lasst sie.", hörte ich Nina zu den anderen sagen, als diese mir folgen wollten.
Ich ging aus dem Schulhaus raus und ging in den Wald der neben der Schule war. Ich schrie los und boxte gegen den Baum. Endlich war mal alles gut gewesen. Endlich hatte ich ein Zuhause gehabt in dem ich mich wohl fühlte. Ich hatte Frieden, meine Therapie abgeschlossen und war seit Jahren endlich mal glücklich. Warum musste mich meine Vergangenheit jetzt wieder einholen? Warum konnte nicht alles gut werden? Warum ich?
Ich ließ mich auf den Boden sinken. Tränen flossen mir über die Wangen. Ich wollte doch nur meine Ruhe, mein Leben leben.
Ich hörte jemanden kommen und schreckte auf. Frau Renz kam auf mich zu.
"Darf ich mich setzen?", fragte sie. Ich schaute auf den dreckigen Waldboden und zuckte mit den Schultern.
Sie stand kurz unschlüssig da und setzte sich.
"Was wollte die Polizei denn von dir?", fragte sie.
Fragend sah ich sie an.
"Wissen Sie das nicht?"
"Nein. Ich hab dich nur festgehalten, als du weggerannt bist und gerade eben wurde mir auch nicht gesagt worum es geht."
"So genau weiß ich eigentlich auch nicht was die wollten. Die haben mir nur erzählt, dass mein Onkel vor zwei Wochen aus dem Knast abgehauen ist."
"Oh okay. Meinst du nicht, dass wir wieder zu den anderen gehen sollten.", sagte Frau Renz schließlich.
Ich zuckte mit den Achseln. Stand aber auf. Ich war ein ganz schönes Stück in den Wald gelaufen, hatte ich gar nicht gemerkt.
Plötzlich trat ich auf eine nasse Wurzel, die ich absolut nicht gesehen hatte. Ich verlor den Halt und rutschte aus und knickte weg. Ich schlug mit dem Kopf ungebremst auf den Boden.
"Kyra!", rief Frau Renz erschrocken. Ich rappelte mich wieder auf.
"Alles gut.", sagte ich.
Aber ich fühlte mich gar nicht gut. Mein Kopf tat total weh. Ich fasste mir an die Stirn, meine Hand war voller Blut.
"Kyra, bleib sitzen.", befahl Frau Renz mir als ich aufstehen wollte. Sie zog ihren Schal aus und drückte ihn mir an den Kopf.
"Halt ihn fest." Ich gehorchte und drückte mir den Schal an meinen Kopf.
"Kannst du aufstehen?", fragte sie mich. Ich stand auf und unterdrückte den Schmerz der durch meinen Fuß schoss.
"Geht schon.", sagte ich. Besorgt sah Frau Renz mich an.
Ich humpelte weiter, doch nach ein paar Schritten wurde mir schwindelig. Frau Renz packte mich bevor ich stürzte.
"Kyra? Du kippst mir bitte nicht um.", flehte Frau Renz mich an.
"Ich schaff das.", ich rang mir ein Lächeln ab. Ich ging weiter bis mir schlecht wurde. Ich übergab mich und heulte los.
"Kyra, alles gut.", hörte ich meine Lehrerin sagen. Mir wurde schwarz vor Augen.
Ich schaukelte hin und her, hin und her. Mir tat alles weh. Doch bevor ich was sagen konnte begab ich mich wieder in die Dunkelheit.

Just MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt