» Kapitel 06

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  »Wir sind da, du kannst aussteigen.«, ertönte Toms Stimme in meinem Gehörgang, während ich das gesamte Grundstück um mich herum musterte. Dass die beiden Jungs Geld hatten, konnte man ihrem Auto nach schon gut genug beurteilen, aber dass die beiden so viel Geld hatten, um sich so etwas Prachtvolles wie dieses Haus mit dem gesamten Grundstück leisten zu können, blieb wohl ihr wohlbehütetes Geheimnis.
»J-ja.«, stotterte ich und schnallte mich ab, um kurz darauf aus dem großen Auto zu hüpfen. Ein wenig unsicher ging ich auf dem kieselartigen Untergrund um das Auto herum und direkt auf Tom zu. »Ihr...ihr habt es echt schön hier.«, pflichtete ich bei und konnte die ganzen Eindrücke, die gerade auf mich einprasselten nicht genau zuordnen. Kleider machten Leute – zwar war dieses monströse Haus kein Kleidungsstück, aber schon etwas, was eventuell etwas über die Inhaber aussagte.
»Dankeschön. Komm, wir gehen erst mal rein.«, als Tom diese Worte aussprach, war die Verarbeitung jeglicher Eindrücke, die zuvor noch meine Aufmerksamkeit bekommen hatten, verschwunden. Ich würde auf Bill treffen, müsste mich womöglich in gewisser Weise erklären.
Mit dem Gedanken daran ging ich hinter Tom her durch die große Eingangstür und fühlte mich von Sekunde zu Sekunde immer unwohler. Zwar wurde meine Umgebung durch die stilvolle und gemütliche Einrichtung immer einladender, jedoch brachte mein Verhalten beim Jammen in der Bar den Gedanken in den Kopf, schnellstmöglich wieder umzudrehen.
»Ich denke, Bill ist draußen.«, er deutete auf die offenstehende Terrassentür. »Magst du vielleicht zu ihm gehen? Ich würde mich gern kurz umziehen und ihr könntet euch in Ruhe unterhalten.«, ein wenig entschuldigend sah Tom mich an, während ich trostlos dastand und zwischen ihm und der Terrassentür hin- und hersah.
»Okay.«, gab ich nur knapp von mir. »Einfach rausgehen und dann sehe ich ihn?«, mit der Angst in der Stimme, ich müsste ihn womöglich noch suchen, weil der Garten genau die gleiche Größe hatte wie dieses pompöse Haus, schielte ich zu Tom.
»Ja, ich denke, er liegt am Pool und schreibt irgendetwas an Ideen auf.«, kurz strich er mir über die Schulter, ehe er sich umwand und hinter mir den Raum verließ. Seufzend stand ich da, raufte mir die Haare und trat mich in Gedanken selber in den Hintern, um endlich einen Fuß vor den anderen zu setzen und den Weg nach draußen zu gehen.
Als die warme Luft um meine Nase brauste und die Sonne meine Augen blendete, sodass ich meine Lider nur mühsam aufhalten konnte, wusste ich, dass es für mich schon gar kein Entkommen mehr gab. Ob Bill mich nun schon entdeckt hatte oder nicht – spätestens vor dem riesigen Tor, welches die Einfahrt zum Grundstück versperrte, würde ich meine Flucht abbrechen müssen. Ich musste mich meinem Schicksal stellen. Nicht nur allein wegen letzterer Tatsache, sondern auch, weil die beiden mir in den wenigen Stunden ans Herz gewachsen waren und mir für ein paar Stunden Lebensfreude in die Glieder gezaubert hatten, die ich schon lange nicht mehr gespürt hatte.
Langsam drehte ich mich mit hängenden Schultern ein wenig um die eigene Achse, um den gesamten Garten in Augenschein zu nehmen. Die Terrasse, auf der ich mich befand, war mit hellen Steinen ausgelegt und wurde mit Gartenmöbeln und einem riesigen Sonnenschirm vollkommen gemacht. Ein paar Meter weiter befand sich der besagte Pool. Er hatte keine besondere Form, doch die beiden Liegen, die auf einer gepflasterten Stelle um den Pool herum standen und die Palmen, die sich in der Erde befanden und dem Becken hier und da ein wenig Schatten spendeten, machten ihn zu etwas Besonderem.
»Bill?«, rief ich wahrscheinlich zu leise, als dass irgendwer meine Stimme hätte hören können. Zu meiner Verwunderung streckte aber schon nach wenigen Sekunden ein Blondschopf den Kopf über die Liege, die mit dem Rücken zu mir stand, und sah mich an.
»Tia.«, fast schon erschrocken sprang er von seiner Sitzgelegenheit auf, warf dabei einen Kugelschreiber samt Notizblock von seinem Schoß und wuschelte sich durch seine feuchten Haare.
»Hey.«, lächelte ich ihn schüchtern und ein wenig amüsiert an. Zwar fühlte ich mich immer noch nicht wohl bei der ganzen Sache, versuchte diese Unsicherheit jedoch zu verbergen und mit Selbstbewusstsein an die Sache ran zugehen. »Dein Bruder hat mich mitgenommen.«, gestand ich ihm, während er jeder meiner Bewegungen musterte und einen Schritt zurückging, als ich in seine Nähe kam.
»Ich...ich weiß. Ich habe ihn drum gebeten.«, unsicher stand er da, entschied sich dann aber seine Sachen einzusammeln und sich auf seine Liege zu setzen, sodass er mich ansehen konnte. Mir kam es vor, als würde er überlegen, wie er den beginnenden Smalltalk weiterführen und zu einem richtigen, tiefgründigen Gespräch machen konnte. Gerade kam es mir sogar vor, als säße er angespannter da, als ich.
»Du wegen vorhin, das...das tut mir leid.«, stotterte er und zog seine Beine in einen Schneidersitz. Blinzelnd sah ich der Sonne entgegen, die mitten über dem blauen Wasser des Pools stand.
»Da kannst du nichts zu. Ist völlig okay.«, versuchte ich ihn zu beruhigen und knibbelte an meinen Fingernägeln. Wartend darauf, dass Bill etwas erwiderte und womöglich nachfragen würde, wieso ich mich so verhalten hatten, saß ich da und versuchte mit meinen Blicken ein gewisses Interesse für den umliegenden Garten preiszugeben.
»Ich weiß nicht. Ich glaube schon, dass ich da was für kann.«, widersprach er mir und regte sich kurz, um eine wohl gemütlichere Position zu finden. Fast so, als würde er sich auf ein Gespräch einstellen, dass über mehrere Stunden gehen sollte.
»Nein. Es ist einfach...«, ich seufzte und fuhr mir durch die Haare. »Ich habe eine Vergangenheit in Deutschland, die eigentlich auch dort bleiben soll. Ich werde auf Dauer wahrscheinlich nie drum rum kommen, dir zu erklären, was für ein Leben ich überhaupt geführt habe, aber...aber ich denke, dass es einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist.«
Bill saß da, blickte mich erst an und entwich dann meinem Blick. »Ich will gar nicht, dass du mir irgendwas erklärst oder dich rechtfertigst. Würdest du mir erzählen wollen, was es mit der Sache auf sich hat, hättest du das schon längst getan. Es ist okay, du wirst deine Gründe für die Reaktion haben und das akzeptiere ich.«, kurz stoppte er, bevor er seinen Kopf hob und mich ansah. »Und gelernt habe ich daraus auch.«
Leicht lachend senkte ich meinen Kopf und dachte über seine Worte nach. Eigentlich wusste ich, dass er so reagieren würde, doch dass er mir so sehr entgegenkam, hätte ich mir nie zu träumen gewagt.
Als ich aufstand und mich neben ihn auf die Liege setzte, spürte ich seinen verwunderten Blick auf mir.
»Danke.«, hauchte ich nur und schmiegte mich an seine Schulter, um ihm klarzumachen, dass er mich schon berühren, nur nicht damit überraschen durfte. Nachdem wir etliche Sekunden dasaßen und er seinen Arm jedoch immer noch nicht um meine Schulter gelegt hatte, half ich ihm nach.
Es tat gut, seine Nähe zu spüren, seine Finger streichelnd an meinem Arm zu wissen, und zu wissen, dass er mich so nahm wie ich war.  

Golden State - Wo du leben und lieben lernstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt