» Kapitel 08

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»Aufstehen, ihr Schlafmützen!«, völlig aus einem Traum gerissen, schreckte ich hoch, strampelte sämtliche Körperteile von Bill und die dünne Decke von meinem Körper und saß letzten Endes kerzengerade auf der Kante der Liege am Poolbereich. Schlaftrunken taumelte mein Oberkörper von rechts nach links und wieder zurück. Nur mit Mühe konnte ich mich vor dem Umkippen bewahren.
»Mein Gott...«, murmelte Bill und setzte sich auf. Er schien ein paar Sekunden mehr zu brauchen als ich, ehe er richtig wach zu werden schien und seine Rolle des Morgenmuffels ausleben zu können. »Tom, verdammte Scheiße, könntest du uns nicht einfach schlafen lassen? Schon mal was davon gehört, dass andere Leute nicht um sechs Uhr morgens aufstehen, um joggen zu gehen, sondern einfach ausschlafen wollen? Das scheint doch nicht zu viel verlangt zu sein, oder?!«, ich zuckte zusammen, als Bills Körper hinter mir schon zu beben begann und Tom schuldbewusst seine Arme hob.
»Ist schon okay. David wollte aber gleich vorbeikommen und nochmal mit uns dreien reden.«, verwundert blinzelte ich ihn gegen die Sonnenstrahlen an. »Er fliegt doch jetzt irgendwann.«, fügte er noch als Erklärung hinzu, als hätte er meinen fragenden Blick darauf bezogen. Auch wenn meine Frage, wieso David mit mir reden wollte, nicht beantwortet wurde, beließ ich es dabei und hielt mich aus dem Gespräch der beiden heraus. Vielleicht war es ja besser so, denn gut gelaunt schien Bill nicht zu sein.
»Wie wäre es mal, wenn du das das nächste Mal erwähnst?«, fuhr Bill seinen Bruder erneut an und pellte sich hinter mir aus dem Gewirr der Decke.
»Entschuldige bitte, aber du hast mir nicht einen Atemzug gelassen, um überhaupt Luft für diese Information zu holen, ehe du mich zusammengefaltet hast.«, verteidigte sich Letzterer und sah mit drehenden Augen in meine Richtung.
»Jaja, lass stecken. Ich geh duschen.«, ohne mich eines Blickes zu würdigen – ich nahm es ihm in diesem Moment jedoch auch nicht eine Sekunde übel -, lief Bill über den grasgrünen Platz und verschwand durch die offene Terrassentür ins Innere das Hauses.
»Frühstück ist auf der Terrasse gemacht, im zweiten Bad oben liegen Handtücher für dich. Wegen Klamotten pumpe ich Bill gleich nochmal an, damit er dir welche gibt.«, brabbelte Tom aufgeweckt drauf los und erst jetzt fiel mir auf, dass er ein nassgeschwitztes T-Shirt und eine kurze Hose trug – er muss also wirklich schon laufen gewesen sein.
»Danke.«, nickte ich nur und machte mich schon auf seinen Abgang gefasst, als er sich nach wenigen Schritten ein letztes Mal umdrehte. »Nimm es ihm nicht übel, er hasst es nur, so aus dem Schlaf gerissen zu werden. Außerdem...allzu bequem sah eure Position jetzt nicht aus.«, lachend zwinkerte er, während ich noch immer ohne jegliche Rührung auf der Kante der Liege saß und ihm verdattert hinterher sah.
»War es aber.«, murmelte ich so laut, dass er es auf der Terrasse unmöglich hätte hören können. Ich wusste nicht wieso, aber sobald ich an die letzte Nacht dachte, durchfuhr ein Schauer und ein Schütteln meinen Körper. Unmöglich war mein Gefühl negativ zu deuten, sondern viel eher positiv. Ein dickes Lächeln umspielte meine Lippen, während ich daran dachte, wie er mir zugehört hatte und dass ich diese Last, die ich trotz der Flucht aus Deutschland mit mir herumtrug, von mir gewichen war.

»Guten Morgen.«, ertönte die fast schon flötende Stimme von Bill hinter mir. Gerade zog ich die Tür des Badezimmers hinter mir zu, als er mit einer völligen Stimmungsschwankung vor mir stand und mich anlächelte.
»Ähm...hi.«, perplex blickte ich ihn an. Er war geduscht, hatte seine Haare völlig durch gewuschelt mit Haarspray befestigt und trug eine kurze Shorts und ein T-Shirt. »Völlig andere Laune?«
»Ja, tut mir leid, aber ich bin morgens nicht so gut zu sprechen. Zumindest nicht, wenn man mich auf solche Art und Weise weckt, wie es mein lieber Zwillingsbruder getan hat.«, er verzog seine Lippen zu einem gequälten Lächeln. »Aber gut siehst du aus.«, sein folgendes Nicken deutete auf mein Outfit, welches aus einem T-Shirt und einer kurzen Hose, die an meinen Beinen fast schon eine lange Hose war, bestand.
»Naja.«, lachte ich nur und sah einmal an mir herunter. »Trotzdem danke.«
»Was heißt denn hier trotzdem?«, rief er empört aus und stützte sich mit einer Hand an der Wand neben sich ab.
»Genau das, was du denkst.«, grinste ich und quetschte mich an ihm vorbei. »Lass uns frühstücken gehen, ich verhungere sonst.«, lachend hüpfte ich den Flur herunter, um zur Treppe zu kommen.
»Tia?«, sofort verharrte ich in meinen Bewegungen und drehte mich mit leichtem Schwung um. Viel zu gute Laune hatte sich in meinem Körper breitgemacht, als dass ich mich irgendwie monoton oder gar schwermütig bewegen oder reagieren konnte.
»Was denn?«, Bill kam langsam auf mich zu, während er eine Hand in seiner Tasche der Shorts versteckt hatte und die andere raufend in seinen Haaren verbarg. Grinsend und mit schief gelegtem Kopf, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, sah ich ihn an. Mir kam es vor, als würde er mit sich ringen, das auszusprechen, was er aussprechen wollte.
»Na ja, das mit gestern...«, wieder stoppte er kurz, zeigte mir seine Unsicherheit und wieder brachte mich das zum Grinsen. Wieso ich mir einen Spaß daraus erlaubte, dass Bill womöglich gerade vor mir stand und schüchtern zu sein schien und ich genau die andere Rolle übernahm, die mir sonst nicht eine Sekunde ähnlich gesehen hätte, wusste ich nicht. Die Luft hier in LA und die Nähe zu den Jungs, und anscheinend besonders zu Bill, schien mir gut zu tun.
»Ich fand den Abend, unser Gespräch und die Nacht draußen ziemlich...na ja, schön.«, er atmete erleichtert aus, als er seinen Satz ausgesprochen hatte und ich hatte das Gefühl, dass ihm mit diesem Geständnis eine ähnliche Last von seinen Schultern oder seinem Herzen fiel, wie mir gestern.
»Ich auch.«, grinste ich, glücklich darüber, dass er so offen zu mir war. Ich wusste, dass das Vertrauen, trotz der geringen Zeit, die wir miteinander verbracht hatten da war. Ich vertraute ihm, was mich wunderte, da ich das in meinem Leben noch niemandem gegenüber so völlig und hundertprozentig getan hatte, und er vertraute mir. Ich weiß nicht, woran es lag, doch insgeheim schätzte ich mich ziemlich glücklich über diesen Fakt. Ich mochte ihn.
»O-okay.«, ein weiterer Stein schien ihm von dem Herzen zu fallen und hilflos, wie ein kleines Kind an seinem ersten Schultag vor den großen Türen der Schule, stand er inmitten des Flurs. Ich konnte ihm ansehen, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Stattdessen trugen mich meine Füße wie von selbst zu ihm, ich schnappte mir wie von selbst seine Hand und zog ihn hinter mir her.
»Komm, wir gehen frühstücken.«, lächelnd hüpfte ich mit ihm an der Hand die Treppe hinunter und fühlte mich gut. Ich wusste, dass ich mit dem Greifen nach seiner Hand das richtige getan hatte. Zwar konnte ich mir selbst in diesem Moment nicht die Gedanken darüber machen, woher dieses Selbstbewusstsein auf einmal kam, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das Leben, welches ich hier in Los Angeles aufbauen wollte, nun so richtig anfing. Nun war es an mir, wie ich es gestaltete und was ich draus machte.

Golden State - Wo du leben und lieben lernstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt