» Kapitel 07

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»Das Essen war wirklich lecker.«, beteuerte ich und ließ mich pappsatt zurück in den Stuhl sinken. Die warme Abendluft spielte mit meinen Haaren und wehte sie jedes Mal aufs Neue in mein Gesicht und direkt vor meine Augen. »Ich glaube, ich muss jetzt aber auch los.«
»Wieso das denn? Ich meine, wir können dich später auch noch fahren, wenn du im Dunkeln nicht loslaufen willst.«, es kam mir schon fast so vor, als wäre Bill empört darüber, dass ich aufbrechen und die beiden allein lassen wollte. Seufzend schob ich meinen Stuhl zurück und drückte meinen Körper mit meinen Armen in die Höhe, um vollends aufzustehen.
»Das ist wirklich lieb von euch, aber ihr habt auch schon was getrunken. Außerdem will ich euch später nicht noch los jagen.«, lehnte ich ihren Vorschlag dankend ab und warf mir meine dünne Lederjacke über die Schultern. Zwar war es gerade mal zwanzig Uhr, doch trotzdem wurde die Luft von Minute zu Minute kühler und ließ mich frösteln.
»Dann bleibst du eben hier und nutzt als Erste unser Gästezimmer.«, überzeugt von seinem Vorschlag grinste Tom mich von seinem Platz aus an und stand langsam auf, um mich kurz danach wieder zurück in den Stuhl, auf welchem ich zuvor gesessen hatte, zu drücken.
»Ich hab doch aber gar keine Klamotten mit.«, protestierte ich schon fast wehleidig und blickte zwischen Bill und Tom hin und her. Ersterer zuckte nur lachend die Schulter, wahrscheinlich amüsiert darüber, wie hilflos ich gegen die Argumente seines Bruders war, und stand auf.
»Ich hol eben zwei Gitarren, dann können wir noch ein bisschen jammen.«, beschwichtigend, als wolle er sich somit aus der Situation entfliehen, damit Tom und ich das unter uns ausmachen konnten, flitzte er über die Terrasse, um ins Innere des Hauses zu gelangen.
»Siehst du, Bill hat auch nichts dagegen. Und was das Klamottenproblem angeht, da kann er dir mit Sicherheit auch weiterhelfen. Ich mein, er hat sogar Schminke, die du dir morgen ins Gesicht schmieren kannst, falls wir deine natürliche und ungeschminkte Haut nicht betrachten sollen.«, grinsend sah der ältere der Zwillinge mich an. Eigentlich konnte ich dem Ganzen von vornherein nichts Negatives abgewinnen und hatte mir zwischenzeitlich schon fast gewünscht, dass sie eben dieses Thema auf den Tisch brachten und ich meine Nacht nicht in dem tristen, fast schon unmenschlichen Hostel verbringen musste. Glücklich über die Wendung grinste ich.
»Okay, ich bleibe.«
»Super.«, ertönte Bills Stimme hinter mir, der bepackt mit zwei Gitarren und drei Flaschen Bier zurück auf die Terrasse kam. »Dann kann es ja losgehen. Hier.«, mit einem Nicken deutete er auf eine der Akustikgitarren in seinen Händen und auf eines der Biere, welche er mit den Hälsen zwischen seinen Fingern trug. Zufrieden zog ich meine Beine zu einem Schneidesitz auf den Stuhl, nahm einen Schluck von dem geöffneten Bier und schlug einen Akkord an. Mit einem Blick in den Himmel wusste ich, dass das nur ein guter Abend werden konnte.

Ewig lange hatten wir auf der Terrasse gesessen, gesungen und Gitarre gespielt. Die Sonne ging unter während wir den Song Summer of '69 spielten, eine Gänsehaut bildete sich, während Tom und Bill allein den Song Faithfully performten und so viel Gefühl hineinsteckten, dass ich meine Tränen zurückhalten musste. Es war unglaublich, was für ein Talent sie hatten. Talent darin, Musik zu machen, Gefühle in Menschen damit zu erregen und außerdem noch das unverwechselbare Talent mich glücklich zu machen. Wir redeten anfangs nicht viel, spielten und sagen nur zusammen, doch allein dieser Fakt stimmte mich so glücklich, dass ich es die ganze Nacht hätte machen können.
Wie jeder von uns wusste, sollte man aufhören, wenn es am schönsten war – und das taten wir auch. Noch ein letztes Mal Little Talks in eine akustische Version umgewandelt und wir gingen alle in unsere Betten. Ich musste sagen, dass das Gästezimmer wirklich zum Wohlfühlen einlud, doch schlafen konnte ich trotzdem nicht. Es ging mir gleichzeitig so viel und doch so wenig durch den Kopf, sodass ich gar nicht mehr wusste, wo dieser mir stand. Hauptsächlich waren es positive Gefühle, die durch den Vorfall am Nachmittag eigentlich gar nicht mehr zerstört werden konnten, doch trotzdem ging mir die Frage durch den Kopf, wann ich es den beiden am besten erklären sollte. Ich wusste, dass der richtige Zeitpunkt nach diesem Abend gekommen war und wusste eigentlich schon seit der ersten Begegnung, dass ich den beiden blind vertrauen konnte. Nicht, weil es zwei Berühmtheiten waren, sondern einfach nur solche Menschen wie ich – sie hatten genauso eine Geschichte, die von ihnen forderte, erst einmal Vertrauen zu Fremden aufzubauen, bevor sie sich vollends auf sie einlassen konnten. Und genau das haben die beiden und genau das habe ich ab diesen Stunden auch.
Auf der Suche nach etwas Trinkbarem ging ich hinunter in die Küche, öffnete leise den Kühlschrank und zog mir eine Wasserflasche aus dem Seitenfach. Ein wenig mulmig zumute war mir schon, schließlich war ich das erste Mal bei den Zwillingen und bediente mich schon wie selbstverständlich an ihren Sachen, jedoch konnte ich meinen Durst auch nicht ignorieren. Als ich die Flasche zurückgestellt hatte und zurück in das Gästezimmer gehen wollte, fiel mir auf, dass die Terrassentür geöffnet war. Stirnrunzelnd steckte ich meinen Kopf hinaus ins Freie und sah mich im Garten um. Zuerst schien mir nichts aufzufallen, doch als ich meinen Blick hinunter zu den Liegen am Pool schweifen ließ, fiel mir ein Zipfel auf, der von eben jener herunterhing. Einer der Jungs musste noch immer draußen sein und die kühle, doch trotzdem klare Nacht genießen.
Lächelnd quetschte ich mich durch den kleinen Spalt und ging über die Terrasse hinunter zum Pool. Schon von weitem konnte ich erkennen, dass es Bill war, der mit einer Decke dalag und in den Himmel sah.
»Hey.«, hauchte ich in die leise Nacht und setzte mich auf die Kante der Liege. Die Boxershort von Tom ließ meine nackten Beine frösteln und auch das T-Shirt wärme meinen Oberkörper nicht so, wie es sollte.
»He...«, grinste Bill und hob leicht seine Decke und rutschte ein Stück, um mir deutlich zu machen, dass ich mich neben ihn legen sollte.
»Was machst du noch hier?«, flüsterte ich, um die Nacht und die Ruhe nicht allzu sehr zu stören.
»Ich konnte nicht schlafen und du?«
»Ich konnte auch nicht schlafen.«, lächelnd legte er seinen Arm um mich. In diesem Moment war ich ihm unglaublich dankbar dafür, dass er keine Berührungsängste mir gegenüber hatte. Zwar hätte keiner von ihm ein solches Verhalten erwarten können, doch er musste verstanden haben, was mich am Nachmittag in der Bar so sehr aus dem Konzept und um meinen Verstand gebracht hatte.
»Kann ich dich was fragen?«, durchbrach er irgendwann die Stille. Nickend sah ich ihn an. »Wieso?«
Zwar formulierte er seine Frage nicht ganz aus, doch trotzdem wusste ich, worauf er hinaus wollte. Er schien zu merken, dass ich mich in seiner Gegenwart immer wohler fühlte und konnte aus meinen Gesten und meinem Auftreten anscheinend schon mehr lesen, als ich gedacht hätte.
»Er hat mich geschlagen.«, hauchte ich, während Bilder durch meinen Kopf jagten. »Wir waren drei Monate zusammen, als er damit angefangen hat. Oftmals war es, weil ich nicht das gemacht habe, was er wollte oder weil er wieder unter dem Einfluss von Drogen stand.«
»Wie lange wart ihr zusammen?«
»Fast zwei Jahre.«, ich schämte mich dafür. Dafür, dass ich mich selbst nicht aus den Fängen des Löwen befreit hatte.
»Aber wieso?«, fast schon empört darüber, wurde Bills Stimme lauter.
»Er war der einzige, den ich hatte. Ich habe mir eingebildet und vor allem eingeredet, dass er wirklich etwas für mich empfinden könnte. Aber er hat mich nur ausgenutzt. Das Geld, was ich in der Zeit verdient hatte, musste ich ihm geben, damit er sich seine Drogen beschaffen konnte.«, erklärte ich mich.
»Und wie bist du von ihm losgekommen?«, fragend schüttelte Bill seinen Kopf.
»Er ist abgehauen. Irgendwann und einfach so. Anfangs dachte ich selbst noch, dass ich traurig darüber war, aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das Leben als Einzelgängerin besser ist, als mit so einem Freund.«
»Ich bin froh, dass er weg ist.«, hauchte Bill und verstärkte seine Umarmung leicht. »Bei uns bist du in Sicherheit.«
»Ihr seid meine Retter.«, flüsterte ich und legte meine Hand auf seine freie, die er auf seinem Bauch platziert hatte.
»Und du bist ein Engel!«, konterte er grinsend und musterte mich für einen Moment. »Lass uns hier bleiben und hier schlafen.«, schlug er noch vor. Doch ich konnte nur noch ein Grummeln von mir geben, da ich schon so sehr auf der Schwelle zwischen Traum und Hier und Jetzt stand, dass ich zu nichts anderem mehr in der Lage war.

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