Ein korrekter Mann?

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"Du hast vergessen, das es mein Traum ist ein Buch zu schreiben..."
Das war keine Frage, es war eine Feststellung, die Ana jetzt ganz ruhig aussprach und ihn dabei genau betrachtete.
Sie beobachtete wie er die Augen schloss, mit zwei Fingern seinen Nasenrücken entlang fuhr und wieder aufblickte, kaum merklich seinen Kopf schüttelte und dabei seinen Mund mehrfach öffnete und schloss, ohne aber etwas zu erwidern, wie ein dummer, kleiner Fisch.
Und je mehr Zeit verging, ohne das er etwas zu sagen hatte, desto klarer konnte sie jetzt spüren, wie ganz langsam etwas in ihr hochkochte.
Es war Wut. Keine alles zerschmetternde Wut, die sie laut aufschreien lassen wollte.
Es war eher die giftige, betäubende Art von Wut, die sie jetzt völlig einnahm.
Die Wut der letzten Wochen. Die Wut des Job Verlusts, die Wut über ihre neue unbefriedigende Arbeit, die Wut über Stella, sogar Wut darüber das er vergessen hatte, das sie keinen Weißwein mochte. Nur beim Gedanken an das eben gesagte, fühlte sie seltsamer Weise keine Wut. Sie fühlte nichts.
Es gab also wirklich keinen vernünftigen Grund, wie Kimba und sie am morgen noch gehofft hatten, sie nicht an diesem Buch teilhaben zu lassen, er hatte es schlichtweg vergessen, dieser große wichtige Teil von ihr, war ihm einfach entfallen.
Wie eine Englischvokabel, wie einen Zahnarzttermin, leicht zu vergessen.

Sie hatte sich so schlecht gefühlt, weil sie während eines Ereignisses seiner Karriere, an sich selbst gedacht hatte, aber hatte er nicht genau das selbe getan, als es auch in ihrer Karriere größere Ereignisse gegeben hatte? Wohlgemerkt schlechte Ereignisse, aber dennoch. Wieso hatte sie sich so schlecht gefühlt, jeden ihrer Gedanken analysiert und sich für ihre Gefühle geschämt aus Angst, ihm gegenüber unfair sein zu können. Und er hatte einfach vergessen...
Sie kämpfte gegen den Drang an, sofort das Hotel zu verlassen, stand stattdessen wortlos auf und ging auf die Terrasse raus, zündete sich eine Zigarette an und starrte in den mittlerweile schwarzen Himmel, der in Kontrast zu den blinkenden Stadtlichtern vor ihr lag. Angenehm laue Luft schlug ihr ins Gesicht und sie atmete durch.
Als sie sich irgendwann nach der dritten Zigarette umdrehte, konnte sie durch die riesige Fensterfront erkennen wie er, mittlerweile ebenfalls rauchend, immer noch an der gleichen Stelle saß, den Kopf in die Hände gestützt.
Er hatte sicherlich ein schlechtes Gewissen. Aber das interessierte Ana nicht, es tat ihr weder leid, noch gab es Ihr Genugtuung. Was er fühlte war ihr jetzt egal.
Als sie irgendwann wieder eintrat, war die Angespanntheit förmlich zu spüren. Michael schaute ernst von seinen Händen auf und suchte ihren Blick, aber sie konnte ihn nicht ansehen, sie konnte jetzt nicht mal in seiner Nähe sein und so flüchtete sie ins Schlafzimmer, schaltete ihr MacBook an, griff nach ihren Kopfhörern und lauschte einer alten Playlist mit traurigen Songs, die sie schon lange nicht mehr durchgehört hatte und sie irgendwann, in einen wirren, tiefen Schlaf versetzte.
Michael kam in dieser Nacht nicht mehr ins Bett.

Als sie am Morgen erwachte, tastete sie einen Moment die rechte, kalte Seite der Matratze ab und atmete tief ein und aus. Sie fühlte sich absolut fix und fertig, trotz 7 Stunden Schlaf hatte sich ihr Körper scheinbar nicht erholen können. Die Wut war zwar deutlich abgeschwächt, sie fühlte sich stattdessen aber beunruhigend leer und ausgelaugt. Mit einem dumpfen Schmerz im Kopf und Unterleib rollte sie sich nach einer Weile gedankenverloren aus dem Bett.
Die Suit war ebenfalls leer, stellte sie fest, als sie mit schlurfenden Schritten zur Terrasse ging, um wie jeden Morgen zu lüften und nach Michael Ausschau hielt. Da er nicht im Bett geschlafen zu haben schien, konnte Ana nicht einschätzen wann er gegangen war, sie wusste allerdings auch nicht wo er sein könnte, es war erst kurz nach 9, an einem Sonntag und das war absolut nicht seine Zeit.
Sie unterdrückte die aufkommenden Sorgen und kochte sich stattdessen einen Kaffee und griff direkt wieder nach ihren Kippen. Kaffee und Nikotin auf nüchternen Magen, trugen nicht grade zu ihrem Wohlbefinden bei und so spürte sie irgendwann wie der dumpfe Schmerz im Bauch, zu einem einem heftigen ziehen wurde. Sie wusste nicht wirklich ob es körperlich oder seelisch bedingt war und ignorierte die Schmerzen vorerst.

Nach einer kurzen Dusche rief sie Kimba zurück, die schon am frühen Morgen vorsichtig angefragt hatte, wie das Gespräch gelaufen war.
Ana erzählte ihr, während sie sich vorsichtig auf das Sofa legte und ihren immer noch schmerzenden Bauch hielt, von dem absoluten Fiasko des gestrigen Abends und hielt das Handy etwas weiter von ihrem Ohr weg, als Kimba daraufhin in laute Schimpftiraden ausbrach.
"NICHT SEIN ERNST ODER?"
Ana seufzte und tastete mit verzogener Miene um ihren Bauchnabel herum.
Bitte nicht auch noch Magendarm lieber Gott, stieß sie ein stummes Gebet hervor als jetzt auch eine unterschwellige Übelkeit in ihr hochzog.
"So ein behinderter... FUCK, was hast du ihm gesagt?" Kimba war wieder auf menschliche Lautstärke runtergedreht und lauschte jetzt Anas Seufzern,
"Alles ok Ana?" Fügte sie hinzu,
"Mjah, Bauchweh, bestimmt der Stress... Und ich habe nichts gesagt, was soll ich auch sagen. Er hat es vergessen, es gibt nichts zu sagen..."
"Natürlich! Deine verdammte Meinung, bist du nicht wütend?"
"Natürlich bin ich wütend!" Sagte Ana, jetzt selbst etwas lauter,
"Es wäre mir lieber er hätte gesagt, du darfst nicht mit am Buch arbeiten weil ich das nicht möchte, weil du das nicht kannst, als einfach zu... Vergessen... Ouf..." Ana musste würgen und legte kurz das Handy zur Seite.
"Kimba ich glaube ich bin krank, ich hole mir jetzt ein Taxi nachhause und rufe dich nochmal an..."
Nachdem Kimba ihr mehrmals besorgt ihre Hilfe angeboten hatte, die Ana jedoch dankend ablehnte, packte sie hastig ihre Sachen und ließ sich derweil von der Rezeption ein Taxi vorbestellen.

Berliner Nächte (Shindy FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt