8. Heimweh

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"Wo zum Teufel gehst du hin, Ciel?" "Pscht, sei ruhig!" Der Brite versuchte den seltsamen Geräuschen zu folgen, die ihn und Darja in die Tiefen des Dschungels führten. Lautes Gesänge und schrille Schreie waren zu hören. Das Duo versteckte sich hinter einem Busch, als sie endlich die Quelle der Geräusche fanden. Was sie sahen, ließ sie in Angst und Schrecken erzittern. Eine Horde von Männern tanzte um ein Feuer herum und sang dabei euphorisch. Das Geschrei kam von einer Frau, die an einen Pfosten gefesselt war und langsam zum Feuer getragen wurde. Die Frau wurde samt Pfosten in dem großen Feuer verbrannt, während die Männer immer lauter und wilder wurden. Das klägliche Schreien der Frau brannte sich in die Köpfe der Gestrandeten ein und wiederholte sich ständig, als ob sie einen Tinnitus hätten. Nach einer Weile, als die arme Frau nicht mehr zu hören war und sich die Männer beruhigt hatten, löschten diese das Feuer und betrachteten die Asche. Plötzlich kam der dickere Mann von vorhin aus den Gebüschen und stand enttäuscht mit verschränkten Armen da. >>Das ist wohl nicht meine Herion.<< Nach einer kurzen Stille, in der sich die Männer um das erloschene Feuer auf den Boden knieten und beteten, rief der Dicke: >>Findet meine Herion!<< >>Sehr wohl!<<, rief die Menge und salutierte vor dem Dicken. Ciel und Darja waren wie versteinert. Das was sie gesehen hatten, würde ihnen für eine Ewigkeit in Erinnerung bleiben. Der Schock saß tief in ihren Gliedern, sodass sie nicht merkten, wie die Truppe auf sie zu marschierte. Glücklicherweise kam der Brite noch rechtzeitig zur Besinnung, bevor sie entdeckt wurden und rannte so schnell er konnte zurück zum Strand, während er den Körper seiner Freundin mit sich zog, welcher immer noch starr vor Schreck war.

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Einige Wochen waren nun vergangen, seitdem die Reisenden auf der Insel gestrandet waren. Ciel konnte inzwischen schwimmen und auf Bäume klettern, wobei er sich dabei immer noch viele Verletzungen holte. Das Duo hatte sich eine kleine Hütte am Strand gebaut, indem sie die Palmblätter zusammengeflochten hatten und sie auf stabile Äste legten. Sie hielten sich von dem Dschungel fern. Der Schrei der verbrannten Frau spielte sich immer noch gelegentlich in ihren Köpfen ab, was ihnen eine bittere Gänsehaut verschaffte.
Die Hoffnung, dass Sebastian doch noch kommen würde, um sie zu retten, hatten die Gestrandeten schon längst aufgegeben und fanden sich langsam damit ab, wohl auf Ewig auf dieser verdammten Insel festzusitzen. In diesem Moment, saßen sie an einem gemütlichen Lagerfeuer in der Nähe ihrer Hütte und betrachteten den Sonnenuntergang, so wie sie es inzwischen jeden Tag taten.

Darja jedoch, konnte diesen Moment nicht vollständig genießen, denn ihre Gedanken schweiften zu ihren Eltern und zu Layla. Sie vermisste sie. Sie vermisste sie so sehr. Jedes Mal, wenn sie and diese Personen dachte, bekam sie ein stechendes Gefühl in der Brust. Auch ihre Kehle blieb nicht verschont. Der Kloß drückte in einer unangenehmen Weise in ihrem Hals. Die Augen wurden glasig durch die Tränen, die drohten auszubrechen und brannten wie die Hölle. Die Russin konnte ihr sonst so starkes Auftreten wieder einmal nicht kontrollieren und brach in Tränen aus. Der Brite nahm es natürlich sofort wahr und setzte sich einfühlsam neben sie. "Dascha, was ist denn los?" Er streichelte ihr zärtlich über den Rücken, bis er von einer unerwarteten Umarmung überrascht wurde. "Ich möchte zu meinen Eltern! Und zu Layla!" Die Brünette weinte bitterlich. Ihre Tränen wurden in das Hemd von Ciel, welches schon ziemlich abgenutzt und dreckig aussah, aufgesogen. Ciel drückte sie näher an sich und legte seinen Kopf auf ihren. Der kirschige Geruch ihrer Haare war schon ewig verflogen und wurde durch Meereswasser und Sonne ersetzt. Langsam streichelte er über die Haare der Russin, bevor er sie von sich wegdrückte und ihr Kinn in die Hand nahm.

"Ich bin doch noch da. Ich werde immer bei dir bleiben, egal was kommt." Die Russin blickte in seine tiefblauen Augen und verlor sich erneut in ihnen. Plötzlich verspürte sie den immer stärker werdenden Drang, ihren Freund zu küssen. Sie legte ihre Hände auf die Seiten seines Gesichts und wollte ihm einen leichten Kuss auf die Wange geben, doch ihr Blick fiel auf seine vollen, leicht rosanen Lippen. Sie näherte sich ihnen und konnte sich nicht zurückhalten, auch dann nicht, als Ciel sich schweren Herzens wehren wollte. "Darja, was machst du d-" Doch dann lagen ihre Lippen schon aufeinander. Beide waren rot wie der späte Sonnenuntergang, der sich nun langsam dem Ende näherte. Ciels geschockt aufgerissenen Augen und sein starrer Körper entspannten sich langsam, während sein Herz in seiner Brust bebte und das Gefühl in seinem Bauch immer prickelnder wurde. Darja spürte dieses Gefühl in ihrem Bauch ebenfalls, doch sie konnte es nicht zuordnen, was sie beängstigte, aber sie wollte nicht aufhören. Stattdessen fing sie an, ihre Lippen langsam auf seinen zu bewegen und drückte sich näher an ihn. Der Brite ahmte ihr dies nach und schlang seine Arme um ihren sportlichen Körper. Der Kuss wurde intensiver, als die Russin ihre Zunge einsetzte und Ciel es ihr, wie vorhin auch schon, gleich tat. Darja war so sehr darin vertieft, dass sie nicht bemerkte, wie sie den Briten in den weichen Sand drückte, nun auf ihm lag und ihn mit voller Leidenschaft küsste. Erst als ihr die Luft ausging und sie sich zaghaft von seinen Lippen löste, fuhr ihr ein erschreckender Blitz durch die Glieder. Sofort setzte sie sich auf, hielt eine Hand vor ihren Mund und entschuldigte sich leise. Der Brite, der sich nun auch aufgesetzt hatte, konnte sich nicht mehr zurückhalten und vereinte ihre Lippen zum zweiten Mal. Die Brünette wollte sich dieses Mal wehren, doch sie gab auf, als Ciel auf ihr lag und ihre Handgelenke über ihren Kopf pinnte. Sie spürte wieder dieses Kribbeln, und langsam vermutete sie, dass das etwas mit Ciel zu tun haben könnte. War sie etwa verliebt und hatte dies nicht einmal bemerkt? Oder war es nur die Aufregung dieser neuen Erfahrung?

Der Brite löste sich langsam von ihr und flüsterte ihr ins Ohr: "Dir braucht das nicht leidzutun. Ich bin sogar sehr froh darüber, dass du das getan hast. Denn ich hätte mich das nie getraut." Er setzte sich wieder auf, während Darja immer noch unter ihm lag und eine Gänsehaut von der Nähe ihres Freundes hatte, und sprach weiter: "Ich liebe di-." Weiter kam er nicht, denn ihm war es peinlich, diese Worte zu nutzen. Stattdessen gab er seinem Schwarm einen kurzen aber leidenschaftlichen Kuss, wobei er Darjas Reaktion auf die vorherigen Worte komplett ignorierte. Das kribbeln in ihrem Bauch wurde noch stärker, so stark, dass sie beinahe kotzen musste ... aber sie genoss es. Wollte er gerade sagen, dass er mich liebt? Die Russin setzte sich wieder auf. "Ciel, waru-" "Wir sollte schlafen gehen, es ist schon dunkel", unterbrach der Brite sie, während seine Wangen vor Scham glühten. Darja seufzte und gab auf. Bevor sie sich in die kleine Hütte legten, hatten sie noch darauf gewartet dass das Feuer erlosch.

In der Hütte lagen sie nah beieinander. Ciel legte vorsichtig seinen Arm um ihre Taille und atmete den Duft ihrer Haare ein. Darja zuckte bei der Berührung, doch fühlte sich wenige Sekunden später wohl und geborgen.
"Ciel?" Darja drehte sich zu ihm und sah in seine großen Augen. "Hast du auch dieses komische Gefühl im Bauch gehabt, als ... du weißt schon ...", stotterte die Russin und wurde wieder rot, als sich die Szene noch einmal in ihrem Kopf abspielte. "D-Du hattest das auch?", fragte Ciel geschockt, während sein Herz anfing schneller zu schlagen und zu hüpfen. Darja nickte leicht. "Heißt das ... du magst mich auch?" "I-Ich weiß es nicht. Ich habe so etwas noch nie zuvor gespürt", wisperte sie und blickte beschämt auf ihre Füße. "Du willst mir gerade nicht ernsthaft sagen, dass du noch nie in deinem Leben verliebt warst?" Darjas trauriger Blick fiel erneut auf ihn, was seine Frage schon beantwortete. "Dascha ..." Der Brite legte seine Hand auf ihre Wange und seine Stirn auf ihre, während er langsam seine Augen schloss. "Wir sind beste Freunde seit unseren ersten Wochen ... und ich kenne eigentlich nur einen Bruchteil deiner Vergangenheit, doch der Kern fehlt komplett." Er löste sich von ihr und schaute in ihre atemberaubenden, blau-grünen Augen.

"Dascha ... erzähl mir deine Geschichte!"

We have to surviveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt