Vorsichtig lugte Darja aus dem anderen Ende der Höhle hinaus und schaute sich um. Die Büsche und Bäume waren nass vom vorherigen Gewitter. Ihre Augen waren rot und angeschwollen. Sie hatte die ganze Nacht geweint; und das nicht nur wegen des Gewitters. Die Russin hopste zu einem Busch, pflückte die Beeren und aß sie. Nachdem sie einigermaßen satt war, packte sie sich einige in eine gefaltete Tasche aus Palmblättern und ging los, um die Insel zu erkunden. Sie hatte zwar Angst vor den Eingeborenen, doch ihre Neugier war zu groß, um sie einfach zu ignorieren. Darja ging einen, von Menschen erschaffenen Weg entlang und umklammerte ihre Tasche, als sie den ersten Pfahl entdeckte. Darauf war der tote Körper einer Frau aufgespießt, der mit Blumen und anderen Dingen, die Darja nicht identifizieren konnte, geschmückt war. Um ihn herum flog ein Schwarm von Fliegen und machten es sich auf dem Körper bequem. Die Russin musste sich beinahe übergeben, als sie eine Fliege dabei beobachtete, wie sie auf dem Gesicht der Frau landete und über die weit aufgerissenen Augen krabbelte. Sie wollte sich das nicht länger antun und ging schnell an dem Pfahl vorbei. Sie lief den Weg entlang und fand weitere Pflöcke, an denen unter anderem menschliche Körper, Köpfe, Torsi, aber auch Körperteile von zahlreichen Tieren aufgespießt worden waren. Trotz dem eiskalten Schauer, welcher Darja über den Rücken lief, ging sie weiter. Sie ging so weit, bis sie schließlich ein kleines Dorf entdeckte.
Sofort versteckte sie sich in den Büschen, aber es war still. Sie blickte skeptisch auf das Dorf, doch es schien dort keine einzige Menschenseele zu geben. Darja ging geduckt und aufmerksam in das Dorf hinein. Ihre Hand war bereit, den Speer, den sie zur Verteidigung mitgenommen hatte, jeder Zeit zu ergreifen. Es war ruhig. Das Dorf war verlassen. Die Häuser, die aus trockenem Laub und Stöcken gebaut waren, standen leer. Darja schaute sich um, doch sie fand nichts nützliches. Eine Hütte war mit einem Vorhang aus Palmblättern verdeckt. Immer noch geduckt näherte sie sich der Hütte und schob den Vorhang zur Seite. Die Russin fing an zu husten und ihre Nase zuzuhalten, als der Geruch der Verwesung aus der Hütte ausbrach. In der Hütte lag ein Haufen voller Leichenteile. Große, grüne Fliegen, waren die einzigen Dinge, die die Körper bedeckten. Darja ließ den Vorhang wieder fallen und atmete tief durch. Alles gut, Darja. Die Einwohner sind grausam, aber du kannst dich verteidigen. Du darfst nur nicht durchdrehen. Bleib ruhig! Einatmen, ausatmen!
Die Brünette ergriff ihren Speer und fuhr um, als sie ein Rascheln hinter sich wahrnahm. >>Herion krä krä. Ich will meine Herion krä.<< Ein bunter Vogel mit strahlenden Federn kam aus dem Gebüsch und tappte auf die Russin zu. Diese packte ihren Speer wieder weg und sah den Papageien skeptisch an. >>Herion.<< Schon wieder diese Herion. Wer ist sie nur? Der Vogel hob vom Boden ab und landete auf ihre Schulter. Er ließ sich von Darja streicheln, die ihn sanft am Kopf tätschelte. >>Du bist so ein süßer Vogel<<, meinte sie mit heller Stimme und einem Lächeln, während sich der Papagei an ihre Hand schmiegte. >>Danke, Herion krä. <<
>>Oh, ich heiße nicht Herion. Mein Name ist Darja.<<
>>Darja?<<
>>Ja, Darja.<<
>> Danke, Darja.<<
Mit dem Vogel auf der Schulter verließ sie das Dorf und fand sich am Fluss wieder. Sie setzte sich an einen Felsen und betrachtete den Wasserfall und die Gegend um ihn herum. Sie erinnerte sich an den ersten Tag, als sie mit Ciel auf der Insel gestrandet war. Darja stieß einen tiefen, verzweifelten Seufzer aus. >>Krä, was ist los, Darja? Krä<<, krächzte der Vogel und landete neben ihr auf den Boden. Sie Russin war sich nicht sicher, ob der Vogel sie überhaupt verstehen würde, doch trotzdem versuchte sie das bisschen Französisch, was sie in der Schule gelernt hatte, aufzufrischen. >>Ich denke gerade nur an den Anfang meiner Reise. Bevor ich alleine war, hatte ich noch einen Freund, der mit mir zusammen gereist ist.<< >>Wo ist er jetzt?<< Darja schaute in den Himmel. Er war klar und strahlte in einem freundlichen, hellen Blau. Die Sonne brannte jedoch in ihren Augen.
Ciel. Was er gerade wohl zu diesem Zeitpunkt tut? Hatte sie ihn verletzt? Wahrscheinlich. Darja dachte an die schönen Momente nach. Daran, als sie sich kennen lernten und die Bindung zwischen ihnen immer größer wurde. Daran, wie Ciel sie immer in den Arm nahm und sie behutsam auf die Stirn küsste, wenn sie depremiert war. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie die Küsse, trotz der Berührungsangst, sehr angenehm fand.
Küsse. Die Küsse, die sie bei Sonnenuntergang ausgetauscht hatten. Auch daran dachte sie. Als sie das erste Mal dieses seltsame Gefühl im Magen hatte. Als der Brite ihr beinahe seine Liebe gestanden hatte. Plötzlich spürte Darja eine Leere in ihrer Brust. Sie fühlte sich unausgefüllt. Irgendetwas fehlte.
Ciel.
Wie konnte sie ihn nur wegen so einem Schwachsinn stehen lassen? Sie fühlte sich dumm und egoistisch. Der Engländer wollte ihr doch nur zeigen, wie viel er für sie empfand. Darjas Augen wurden glasig und eine salzige Träne rollte ihre Wange hinunter.
>>Ich weiß es nicht<<, schluchzte sie. >>Wir haben uns nach einem Streit getrennt.<< Der Vogel schaute sie an, doch Darja konnte anhand seines Gesichtsausdrucks nicht erkennen, was er gerade dachte, und ob er überhaupt dachte. >>Streit ist nicht gut, krä. Ihr müsst reden.<< Darja wiederholte diesen Satz einige Male in ihrem Kopf. Ihr müsst reden. >>Aber was denkt er nach meinem Abgang denn bloß von mir?<< Ihr müsst reden.
Darja stand auf und lief in den Dschungel. Sie wollte zurück zu Ciel, doch sie konnte ihm, nachdem, was sie getan hatte, nicht mit leeren Händen unter die Augen treten. Also zog sie los, um ein paar Beeren zu pflücken. Sie wollte aber etwas größeres. Die Palmen um sie herum trugen reife Kokosnüsse. Ohne lange zu zögern kletterte sie gekonnt hinauf und ließ ein paar zu Boden fallen. Als sie wieder heruntergeklettert war, hörte sie ein bedrohliches Zischen hinter sich.
Vorsichtig drehte sie sich um und sah eine Schlange, welche die Russin angriffslustig anblitzte. Darja wich zurück, doch kam wegen der Palme nicht weiter. Sie ließ sich wie ein Sandsack zu Boden fallen, während ihr Herz immer höher und schneller schlug. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ihr Gehirn funktionierte nicht mehr richtig. Sie hörte auf zu atmen. Ihr Fokus lag nur auf der Schlange und ihren spitzen Zähnen. Das Reptil kam immer näher auf sie zu, doch anstatt anzugreifen, wurde ihr ein Pfeil in die hintere Seite des Kopfes geschossen und sie wurde in den Boden gespießt. Der restliche Körper der Schlange zuckte für einige Sekunden, bevor er ganz still auf der Erde lag. Darja schaute in die Richtung, aus welcher der Pfeil kam und fand Ciel, der mit seinem Bogen auf einem Ast stand. "Was machst du denn hier?", schrie Darja erleichtert und wollte aufstehen, doch sie war von dem Schock immer noch etwas erstarrt. Der Brite kletterte den Baum hinunter, stellte sich dabei aber ungeschickt an und fiel bei den letzten Zentimetern auf seinen Hintern. Die Russin sprang nun auf, lief zu ihm hinüber und nahm ihn in den Arm. "Danke, Ciel." Der Blauhaarige erwiderte überrascht die Umarmung. "Ich bin so froh, dass du noch lebst, Darja. Ich hätte echt nicht gewusst, was ich ohne dich nur tun soll." Eine Träne lief der Russin die Wange hinunter. "Bitte lauf nie wieder weg. Ich möchte für immer an deiner Seite sein." Das Duo schaute sich gegenseitig tief in die Augen. Ciel legte seine Hände auf ihre Wangen und wischte mit dem Daumen die Tränen weg. Er kam ihren Lippen näher, doch hielt inne, als er daran dachte, wie sie wegen seinen Annäherungsversuchen abgehauen ist. Darja bemerkte die Unsicherheit in seinem Handeln und schloss die Lücke zwischen ihren Lippen schließlich.
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We have to survive
Hayran KurguDarja ist sich sicher. Ihr bester Freund Ciel arbeitet einfach zu viel. Er braucht Urlaub! Doch was ist, wenn auf der Reise etwas schief geht? Wenn sie auf einer scheinbar einsamen Insel stranden? Wie würden sie an Essen und Trinken kommen? Wo würde...