Kapitel 10

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"Wie gern würde ich das, was dir meinetwegen in den letzten Wochen widerfahren ist, rückgängig machen. Der Wunsch, dass ich dir nie begegnet wäre und du stattdessen auf eine Frau getroffen wärst, mit der du ein Leben wie jeder andere führen könntest, ist mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen. So oft habe ich darüber nachgedacht, wie dein Leben ohne mich, hätte aussehen können und auch, wenn die Vorstellung, dich mit einer anderen Frau zu sehen, mir das Gefühl gibt, dass mein Herz in tausend kleine Stücke zerbricht, weiß ich, wie viel besser es dir nun gehen würde. Du müsstest dir keine Sorgen um euren Sohn machen, weil du wüsstest, dass er bei seiner Mum, die nie etwas mit gefährlichen Killern, geschweige denn dem FBI zu tun hatte, bis sie dir begegnet war, in Sicherheit sein würde. Du hast keine Ahnung, wie sehr ich mir das Leben dieser Frau wünsche, um endlich mit dir und Aiden glücklich zu sein... Ich möchte dem Kleinen wieder eine richtige Mum sein, eine auf die er sich verlassen kann, weil sie immer für ihn da ist und nicht eine, die ihn wegen eines Serienmörders verlässt. Ich möchte wieder für dich da sein und verspreche, dass ich es werde, sobald all das endlich ein Ende hat. Bis dahin musst du mir den Gefallen, so schwer er dir auch fallen mag, tun und mich die Sache allein klären lassen. Ich liebe dich Spence." immer wieder waren meine Augen über die Zeilen des Briefes, den ich Spencer hinterlassen hatte, geflogen. So oft, dass ich die genauen Worte auswendig kannte. Diese schwirrten nun schon, seitdem ich im Taxi saß, welches mich zu Hotch's Apartment bringen sollte, in meinen Gedanken umher und dachten nicht im geringsten daran zu verschwinden. Mit einem verzweifelten Seufzer ließ ich meinen Kopf gegen die harte Lehne fallen. "Ob Spencer den Brief bereits gelesen hat?" meldeten sich abermals meine nicht enden wollenden Gedanken, während ich starr aus dem Fenster blickte, das es dringend nötig hatte, geputzt zu werden. Die Sonnenstrahlen, der untergehenden Sonne, machten den Schmutz, der sich auf den Glasscheiben befand, umso deutlicher und tauchte den Himmel in ein leuchtendes rot. "Als würde die Welt jeden Augenblick in Flammen aufgehen." bemerkte der Taxifahrer beeindruckt. "Das muss sie nicht mehr." murmelte ich ohne weiter auf die Aussage des älteren Mannes einzugehen. Denn für mich war die Welt nicht in Flammen aufgegangen. Viel eher wurde sie von einem riesigen Tornado, der einen Teil meiner Vergangenheit in sich getragen hat, durcheinander gewirbelt und anschließend von einer Welle, die voller Schmerz und Verbitterung steckte, überschwemmt. Nun stand ich vor den Trümmern meines Lebens, das mir für eine kurze Zeit alles, was ich mir immer gewünscht hatte, geboten hat. Wut breitete sich in mir aus und ließ mich meine Hände zu Fäusten ballen, wobei ich die Schmerzen, welche durch den Schlag gegen die Wand verursacht worden waren, ignorierte. Ich hatte es satt mich herum kommandieren zu lassen und nichts tun zu dürfen. "Es ist und bleibt mein Fall." flüsterte ich hinter zusammengebissenen Zähnen, während ich den hohen Wohnhäuser, welche in den abendlichen Himmel ragten, unbewusst meine Aufmerksamkeit schenkte. "Da wären wir." meldete sich der Taxifahrer, kurz bevor der Wagen zum Stehen kam, zu Wort, wodurch ich von den Gebäuden abließ. Ein falsches Lächeln zierte meine Lippen als ich mich bedankte und ihm, mit dem Wissen, dass es zu viel sein würde, einen 100 Dollar-Schein in die Hand drückte. Ich hatte nicht vor auch nur eine weitere Minute in dem stickigen Taxi, in dem bereits etliche Menschen vor mir gesessen haben müssen, zu verbringen, weshalb ich nicht darauf wartete, dass der Mann mit den grauen Haaren und der runden Brille mir den Schein wechselte. Ohne ihm zuzuhören verließ ich seinen Wagen, um mit schnellen Schritten zu meinem eigenen zu gelangen, welcher nach wie vor bloß wenige Meter von Hotch's Wohnhaus entfernt stand, nachdem mein Freund ihn dort gestern geparkt hatte. Erneut spielten sich verschiedene Szenarien in meinem Kopf ab, wie Spencer auf den Abschiedsbrief reagieren könnte. Dabei war es egal für welches ich mich entscheiden würde, denn jedes zeigte mir, wie sehr Spencer durch mich litt. Ich hatte ihm seinen Sohn weggenommen, ohne, dass er sich von dem Kleinen hatte verabschieden können. Als wäre dies nicht schon genug gewesen, war ich ohne ein Wort verschwunden. "Was habe ich getan?" immer wieder hallte dieser Satz durch meine Gedanken. Ich hatte ein schlechtes Gewissen und das Gefühl, dass Spencer durch mein Gehen an den Tod von Maeve oder das plötzliche Untertauchen von seiner damaligen Teamkollegin Emily erinnert wurde. "Selbst der stärkste Mensch gelangt irgendwann an einen Punkt, an dem er zerbricht, weil er zu lange stark sein musste. Spencer ist einer dieser Menschen. Und indem es immer nur um mich ging, habe ich ihm keineswegs geholfen." warf ich mir vor und umklammerte das Lenkrad mit beiden Händen. "Spencer hasst es über seine Probleme zu sprechen. Ebenso ist er nicht der Typ, der gut darin ist, offen zu seinen Gefühlen zu stehen. Insbesondere, wenn es um Gefühle wie Trauer, Schmerz oder Angst geht." fuhr ich in Gedanken fort und startete den Motor, welcher laut aufheulte als ich den Schlüssel herumdrehte. "Du bist ein egoistisches Miststück!" brüllte die Stimme meines Vaters mich an, wobei ich sein zorniges Gesicht vor mir sah. Es waren die Worte seines letzten Wutausbruches, die er mir während diesem an den Kopf geworfen hatte. Zumindest, wenn man den, den er hatte als Dave und ich bei ihm gewesen waren, weil wir gedacht haben, dass er unser Täter sein würde, außer Acht lässt. "Ich habe mich 18 Jahre um dich gekümmert!" hatte er geschrien und sich gegen die beiden Männer, welche ihn mit aller Kraft hatten festhalten müssen, gewehrt. "Es tut mir leid." hatte ich daraufhin gewimmert, doch es war eine Lüge gewesen. Mein Vater hatte nie etwas für mich übrig gehabt, auch nicht als meine Mutter noch bei uns gewesen war. Er hatte vielleicht weniger getrunken und seine Wutausbrüche besser unter Kontrolle gehabt, doch er war bereits derselbe Arsch, wie er es heute war. "Sie hätte dich mitnehmen sollen!" hatte mein Vater gebrüllt, während ihn die Männer aus dem Haus, welches schon seit einigen Tagen im Chaos versunken war, herausgezerrt hatten. "Ich wollte dir helfen." brachte ich leise hervor, wobei ich ohne darüber nachzudenken den Wagen beschleunigte, indem ich mit aller Kraft auf das Gaspedal trat. "Verdammt! Ich wollte dir helfen!" wiederholte ich frustriert. Tränen rollten über meine Wangen, die vor Wut glühten. "Du bist der einzige Egoist, den ich kenne!" schrie ich und bremste abrupt, wodurch mein Oberkörper nach vorn geschleudert und anschließend zurück in den Sitz befördert wurde. "Ich tue all das für meine Familie. Du hingegen hast nie etwas für uns getan." sagte ich mit zitternder Stimme, bevor diese von einem lauten Schluchzen unterdrückt wurde und ich bitterlich zu weinen begann. Es waren Tränen der Trauer und des Hasses auf mich selbst. Wieder einmal hatte ich alles verbockt, das war der einzige Gedanke, den ich fassen konnte. "Einfach abzuhauen liegt anscheinend in der Familie." hörte ich meinen Vater spotten, woraufhin ich energisch den Kopf schüttelte. "Mum ist weggelaufen, weil sie es nicht länger mit einem Monster, wie du es nun mal bist, ausgehalten hat!" entgegnete ich aufgebracht und schlug kräftig auf das Lenkrad ein, wodurch ein ohrenbetäubendes Geräusch entstand, bei welchem es sich um die Autohupe handelte. "Du tust genau dasselbe. Läufst vor deinen Problemen davon und überträgst anderen deine Verantwortung." sprach mein Dad zornig weiter. "Sei still." brachte ich wimmernd hervor. Obwohl ich wusste, dass er bloß in meinem Gedanken existierte und ich eigentlich diejenige war, die ihn ohne weiteres verschwinden lassen könnte, gelang es mir nicht. "Hast du keine Angst, dass dein Sohn dir irgendwann dieselben Vorwürfe machen könnte, wie du sie deiner Mutter machst?" "Mum hat mich verlassen!" rief ich aufgelöst. "Und du deinen Sohn." bemerkte mein Vater gehässig, ehe er plötzlich aus meinen Gedanken verschwand und mich mit einem schlechten Gewissen zurückließ. Ich konnte nicht leugnen, dass er recht hatte. "Ich habe Aiden verlassen, aber nicht auf dieselbe Art und Weise, wie meine Mutter es damals bei mir getan hatte. Sie war verschwunden und hatte mich bei einem Scheusal gelassen." dachte ich, während mein Blick starr auf die Straße gerichtet war. "Ich muss endlich weg, D.C hinter mir lassen, um meine Familie vor Keith zu schützen." mit diesen Worten setzte ich den Wagen erneut in Gang und startete meine Reise ins Ungewisse.

Crave you// criminal mindsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt