Am nächsten Morgen verließ ich früh das Haus.
Mit Block und Stift setzte ich mich in den ersten Bus richtung Museum.
Ich kritzelte Herzchen, Sternchen und Smileys in meinen Block und überlegte wie ich dem Jungen gegenüber treten sollte, denn irgendwie schien es jetzt schwerer für mich zu sein.
Dort angekommen bezahlte ich 15€ Eintritt ( ich dankte Frau Amtus im Stillen) und versuchte erneut die Skulptur zu finden, was natürlich nicht klappte.
Im nächsten Moment stand er auch schon vor mir. Sein weinrotes Polo hatte er heute in ein blaues eingetauscht. "Oh Hi", ich lächelte ihm zu und tat so als wäre ich überrascht ihn hier aufzufinden. Er im Gegenzug schien wirklich überrascht.
"Du? Hier?"
Mein Lächeln erstarb.
"Ist das ein Problem?",fragte ich kleinlaut und fuhr mir durch meine, heute, welligen Haare.
"Nein natürlich nicht! Ich hab nur gedacht, dass du 1. Nicht von hier bist und 2. Dich nicht für Kunst interessierst."
"Doch ich bin von hier, besser gesagt wohn ich eine halbe Stunde von hier, aber ich glaub das zählt noch. Und ja du hast Recht, ich hab echt kein Interesse an Kunst, aber musste mit meinem Kunstkurs hier her. Kunst hab ich aber auch nur gewählt weil es besser als Chemie war", ich holte Luft und lachte peinlich berührt, " Das interessiert dich bestimmt garnicht und ich rede zu viel. Tut mir leid."
Er winkte lachend ab und wechselte das Thema, wofür ich ihm sehr dankbar war. "Also, warum bist du hier?" Er zwinkerte. Ich ignorierte diese Geste und antwortete selbstsicher: "Nein nein, ich hab gestern meine eigentliche Arbeit nicht gemacht und musste deshalb nochmal wiederkommen. Sag mal... Kannst du mich vielleicht nochmal zur Skulptur führen? Ich hab echt keine Ahnung mehr wo das war."
Er nickte, wobei ihm eine Haarsträne ins Gesicht fiel, die er aber sofort mit seinen Händen zu bändigen versuchte.
Ich begann ihm hinterher zu laufen, doch plötzlich blieb er stehen und drehte sich zu mir um. "Zuerst... wie heißt du eigentlich?", fragte er lächelnd. Dabei zeigte sich ein kleines Grübchen an seiner rechten Wange.
"Malía."
"Dein ganzer Name, Malía."
"Malía Rosie Grace."
Sein Gesicht zeigte Erstaunen. "Wow. Klingt wunderschön."
"Danke. Und du? Wie heißt du?"
Er schüttelte den Kopf.
Was sollte das denn bedeuten? Er durfte meinen Namen wissen, aber ich micht seinen oder was?
Ich zog meine linke Augenbraue nach oben und war gerade angriffsbereit, da drehte er sich einfach wieder um und lief weiter."Kannst du das nicht für mich abzeichnen? Ich kann ja nicht mal beim Hinschauen etwas erkennen also wie zur Hölle soll ich das abzeichnen?!" Ich legte mich mit dem Rücken auf die, rote- aus Leder bestehende, kleine Couch vor der Skulptur und starrte die Hallendecke an. Das Gebäude war sicher 15Meter hoch. "Quengel nicht und lass dich drauf ein."
Der Junge, dessen Namen ich immernoch nicht kannte, putzte wieder das Glas, das die Skulptur umgab und machte keine Anstalt mir irgendwie zu helfen.
Also setzte ich mich wieder auf, schaltete meine volle Konzentration ein und versuchte es nun schon ein 4tes Mal. Ich bemerkte seine Blicke im Augenwinkel, aber versuchte es zu ignorieren. Immer Mal wieder richtete ich jedoch meine Haare, setzte mich anders hin oder veränderte meinen Gesichtsausdruck, um bloß nicht in irgendeiner Art komisch auszusehen.
"Sag Mal, warum machst du eigentlich diesen Job? Ich meine, dafür bekommt man doch fast garnichts oder?", fragte ich nachdem meine volle Konzentration aufgebraucht war.
Er schmiss sich zu mir auf die Couch und schloss die Augen. Oh Gott er war mir viel zu nah.
"Meine Eltern haben mich dazu verdonnert. Ich weiß es gibt bessere Jobs, aber ich steh auf Kunst und solange meine Eltern mir nicht mehr in den Ohren liegen, von wegen 'Übernimm endlich selbst Verantwortung und verdien dein eigenes Geld', ja solange mach ich alles was nur zur Verfügung steht."
Ich nickte etwas abwesend und für einen kurzen Moment wünschte ich meine Mum würde mich auch zu irgendetwas verdonnern. Hauptsache sie würde irgendetwas mit mir tun.
Plötzlich riss er mir meinen Block aus der Hand und setzte sich auf. Er stützte seine Ellenbogen auf seine Oberschenkel und umklammerte den Block fest mit seinen großen Händen. Dann begann er zu Zeichnen.
Und ich nutzte diese paar Minuten um ihn mir genauer anzusehen. Mir war bewusst, dass er dies bemerkte, aber ich machte mir nichts draus.
Er hatte hellbraune Augen, die von dichten Wimpern umschlossen waren. Seine Wimpern waren nicht die längsten, lange nicht so lang wie die meine, aber so dicht, dass viele Mädchen hätten vor Eifersucht platzen können. Er hatte die Ansätze eines Drei-Tage-Barts, was mich sein Alter anzweifeln ließ, aber es sah verdammt gut aus. Seine Lippen waren voll und rosarot.
Während er zeichnete, spannte er immer mal wieder seinen Kiefer an und runzelte die Stirn.
"So!" Ich schreckte auf. Er begann zu Lachen. Sein Lachen war tief, aber nicht zu tief um wie ein ausgewachsener Mann zu klingen. Ich hatte noch nie so ein süßes Lachen gehört.
"Die Zeichenstunde für mich und Starrstunde für dich ist hiermit beendet."
Sofort schaute ich auf meine Hände, weil es mir plötzlich unangenehm war ihn noch weiter anzusehen, doch er schob zwei Finger unter mein Kinn und drückte meinen Kopf sachte nach oben. "Muss dir nicht unangenehm sein", er grinste.
Sein Grinsen war kein 100 Dollar-Smile, sondern einfach ein Grinsen. Eben sein Grinsen.Er hielt mir den Block hin und ich betrachtete sein Werk.
Mein Schmunzeln war nicht aufzuhalten. "Soll ich dir mal was verraten?"
"Was denn?", fragte er neugierig.
"Ich hab echt gedacht du könntest total gut zeichnen, aber das da...", ich zeigte belustigt auf sein Gekrakel," das hätte sogar ich schöner hinbekommen!"
Er lachte auf und tat dann so als wäre er sauer: "Wieso denn? Niemand hat gesagt, das ich Zeichnen kann, aber du bestandest ja so sehr darauf, dass ich das für dich erledige."
"Naja, du stehst auf Kunst und siehst auch irgendwie so aus als hättest du es drauf", antwortete ich ihm.
Er stand auf. "Vertrau nicht immer in das, was du auf den ersten Blick siehst. Wasser ist auch genauso glasklar wie Vodka."
Mit diesen verwirrenden Worten lief er davon.
"Warte!", ich sprang auf, "wie heißt du denn jetzt?"
Er breitete seine Arme aus, zuckte mit seinen Schultern und rief: "Find's raus!"
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Our Souls
RomanceZwei Sichtweisen. Zwei Leben. Zwei Menschen. Zwei Seelen. "Ist dir bewusst warum Stürme nach Menschen benannt wurden, Malía?" Ich vergrub meine Füße weiter in den kalten Sand hinein und schüttelte den Kopf. Sein Blick war starr auf das toben...