"Der Witz geht auf Sie, Detective"

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Ich hatte keinem von meinem Zusammentreffen mit Joker erzählt.
Ginge es nach mir, wusste ich, dass man ihn so oder so nicht finden würde.
Oder du hast einfach Angst, dass man ihn finden würde...
Man hatte mir mittlerweile sogar erlaubt mich im Krankenhaus zu bewegen, selbstverständlich nur mit Rollstuhl, obwohl ich längst laufen konnte. Jedoch hatte man mir nicht erlaubt, es zu verlassen ohne die Begleitung von Security-Männern und darauf achtete Aaron besonders.
Es vergingen drei Tage, in denen ich nichts anderes tat als schlafen, essen, spazieren fahren und dann wieder schlafen.
Ich war es satt, ich wollte wieder an die Arbeit, zu meinem Team.
Und ja sicherstellen, dass es Joker nicht erwischt.
„Nein! Halt den Mund!"
Ich ohrfeigte mich selbst mit meiner starken linken Hand und atmete tief durch.
Ich konnte diese Stimme nicht länger ertragen.
Alle in der Cafeteria unterbrachen ihre Aktivität und starrten mich an, Aaron der mir gegenüber saß blickte von seinem Essen hoch, ließ das Besteck fallen und packte meine Handgelenke, worauf ich reflexartig reagierte und sie abwehrte.
„Kassia, beruhig dich, die Leute starren uns schon an!"; raunte er und sah sich um.
„Lass mich los.", fauchte ich wütend und rollte einige Zentimeter zurück.
„Es ist alles in Ordnung mit ihr, Posttraumatische Belastungsstörung, nichts weiter.", versicherte Aaron, was mich noch wütender machte.
Die meisten wandten ihre Blicke wieder ab und der allgemeine Lärm des großen Saals nahm seinen Lauf.
Ich hatte gar nicht gemerkt, wie auf einmal alle still geworden waren
„Bist du verrückt, willst du, dass sie dich in eine Zwangsjacke stecken, Kass?!", flüsterte er, „Was sollen die Leute von uns denken?"
„Sollen sie doch denken was sie wollen. Ich würde gerne sehen wie die drauf sind, wenn sie wie eine Gefangene im Bett festgehalten werden.", antwortete ich zornig, legte mein Tablett mit Essen auf meinen Schoß und wandte mich ab.
Aaron folgte mir, aber er holte mich erst ein, nachdem ich mein Tablett weggebracht hatte und Richtung Ausgang fuhr.
Einige Krankenschwestern kamen zu uns geeilt und versperrten mir den Weg.
„Kassia, bleib stehen, rede mit mir!", brüllte Aaron mich an und fiel vor mir auf die Knie, seine Hände umfassten meine Schenkel „Ich will dir nur helfen, mein Schatz. Ich bitte dich. Lass uns dir helfen."
Seine Augen waren so flehend, ich hätte ihnen sofort nachgegeben. Ich konnte noch nie wirklich nein sagen, oder lange wütend sein, denn Aaron war für mich immer der Anker, der mich in dieser Welt verwurzelt hielt und mich davor bewahrte völlig durchzudrehen.
Wenn die Welt mir mal wieder zu Kopf stieg, wenn Joker mit seinen sadistischen Spielchen wieder einmal zu mir durchdringen konnte – es war immer Aaron gewesen, der mich dazu brachte nicht aufzugeben.

„Kassia! Dem Himmel sei Dank, dir ist nichts passiert."
Aarons Stimme übertönte selbst den Lärm und das Geschrei in der Lobby des FBI-Hauptgebäudes, als er sich einen Weg durch die unzähligen Verletzten am Boden und die Helfer die herumrannten bahnte. Meine Miene hellte sich auf, als ich ihn erblickte.
Er sah auf meinen Kopf, wo ich mir ein steriles Tuch gegen die Kopfhaut drückte „Fliegender Backstein, nur ne Platzwunde.", erklärte ich ihm knapp.
Er nickte und sah sich um.
Delia, unsere IT-Spezialistin kam auf uns zu, ihr linker Arm war mit einer Binde und einem Tuch notdürftig verbunden worden und hing nun nutzlos vor ihrem Körper „Wo sind die anderen?", fragte sie und blickte auf Aaron und mich.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte mein Team verloren, kurz nachdem die Explosionen eingesetzt hatten.
„Wir werden sie finden.", murmelte sie und legte mir die heile Hand auf die Schulter, als sie sah, dass ich mir Schuldgefühle machte.
Wir zumindest wussten es. Alle anderen hatten keine Ahnung, und nichts damit zu tun.
Und jetzt bezahlten sie den Preis für meinen Stolz.
„Detective Jester", einer meiner Kollegen kam zu uns, er trug einen Verband um die nackte Brust, aber sonst schien er unverletzt, „Das sollten sie sich ansehen."
Er brachte uns zum Eingang, dessen Tür bei dem Angriff mit einem ganzen Wandstück herausgerissen wurde.
Draußen war es kalt und windig, Kamerateams, Reporter, Journalisten tummelten sich um die Überreste dessen, was einmal der Eingangsbereich war.
„Was zur Hölle...?", begann Aaron, der auf etwas hinter mir sah, aber bevor ich mich ebenfalls umdrehen konnte überrumpelten mich bereits rund 10 Journalisten und Kameraleute. Genervt schirmte ich mein Gesicht ab.
„Detective Jester, könnten sie uns einige Fragen beantworten?"
„Wie konnte es so weit kommen, Detective?"
„Welche Folgen wird der Anschlag für das FBI haben?"
Ich stammelte „Könnten sie bitte..., mein Boss wird die Fragen später beantworten...und woher kennen sie meinen Namen?"
„Detective, sehen Sie sich nach der Nachricht als Verantwortliche für diese Tragödie?"
Ich sah den Reporter an, der die letzte Frage gestellt hatte, packte ihn am Kragen und zog ihn durch die anderen hinweg zu mir nach vorne „Was für eine Nachricht?"
Erschrocken ließ er seinen Notizblock fallen und deutete auf das Gebäude.
Als ich ihn losließ und mich verwirrt umdrehte blieb mir die Kinnlade offen stehen.
Vom flachen, ziegelfarbenen Dach des Hauptsitzes fiel ein riesiges, weißes Tuch herunter und verdeckte einen Großteil der Hauswand.
Das Tuch hing schräg und war etwas zerknittert, aber dennoch ließ sich glasklar erkennen was darauf zu sehen war.
Es war ein Bild von mir, welches ich weder selbst geschossen hatte, noch kannte und daneben war in Großbuchstaben mein Name gedruckt. Unter dem Foto, welches mich vom Profil zeigte stand ein Satz, der mir einen Schauer über den Rücken jagte.
Meine Augen weiteten sich „Der Witz geht auf Sie, Detective."
Ich schüttelte den Kopf und rannte los, denn ich wollte nicht, dass irgendwer die Tränen sah und die Schuld die sich durch meinen Körper fraß und eine brennende Spur von Wut, Frustration und Verzweiflung hinterließ.
„Kassia!"
Aaron war hinter mir und hielt mich am Arm, als wir am hinteren Teil des Gebäudes zum Stehen kamen.
Security Männer hatten dafür gesorgt, dass die Reporter uns nicht folgten und das Gelände wurde bereits abgesperrt.
„Es ist meine Schuld, Aaron! Er hat das wegen mir gemacht! Wegen mir sind diese Menschen verletzt oder tot, meine Kollegen, meine Freunde!"
Er wollte mich beruhigen, aber die Schuld überwältigte mich, die Bilder von der Lobby, die einer Leichenhalle glich.
Um meine Wut auszulassen schuckte ich ihn von mir weg und trat gegen eine Lampe, die in der Erde steckte, sodass sie einige Meter weit geschleudert wurde und an der niedrigen Mauer zerschepperte.
Ich fuhr mir durch die Haare „Das alles ist nur meine Schuld, hätte ich mich nicht auf ihn eingelassen..."
„Hätte er trotzdem etwas furchtbares gemacht um dich zu quälen.", beendete Aaron den Satz für mich und packte mich an den Schultern, „Sieh mich an, Kass, schau mich an."
Seine Stimme war so warm und weich, dass sie die Kopfschmerzen augenblicklich milderte.
„Atme tief durch. Hör mir zu: Es ist nicht deine Schuld. Keiner außer ihm hat das getan. Alle stehen hinter dir, alle wissen, wer er ist und was er tut."
Mein Atem verlangsamte sich nach und nach, die pochenden Gedanken, der Schmerz und die Schuld – sie wiegten auf einmal nicht mehr so schwer. Die Last war noch da, aber sie hob sich, wurde leichter.
Seine Augen beruhigten jede angespannte Muskel in meinem Körper. Ich kannte keine sanftere Berührung als die seiner Hände, die mich vorsichtig, aber dennoch kräftig und sicher in seine Arme zogen und über meine Haare strichen, während er immer wieder seine Worte wiederholte und mir sanft einen Kuss auf den Scheitel drückte.

„Ich brauche eure Hilfe nicht.", fauchte ich, schuckte ihn und die Pflegerinnen von mir weg und fuhr so schnell wie nur möglich in Richtung des Haupteingangs.
Ich musste meinen Kopf frei bekommen, von allem. Von Joker, dessen Stimme immer wieder durch meine Gedanken drang.
Allein der Gedanke daran, was er noch alles tun konnte, was noch alles vor mir lag, wenn ich erst einmal draußen war...wenn zuvor meine Zukunft geprägt war von einem großen Haus, einer Familie, Aaron als Vater meiner Kinder und unserer Hochzeit, konnte ich nun an nichts anderes mehr denken als an weitere Jahre voller sadistischer Spielchen und Folter.
Und immer wieder würde er meine Familie und meine Freunde, die einzigen Menschen die mir etwas bedeuteten mit hinein ziehen.
Aber er würde teil meines Lebens sein.
Obwohl es erst früher Abend war, dämmerte es draußen bereits, als ich durch den Ausgang bretterte, vorbei an der Rezeption, die keine Notiz von mir nahm, raus an die frische Luft.
Ich steuerte kein bestimmtes Ziel an, ich ließ den Rollstuhl unter mir einfach so schnell wie möglich weg kommen von diesem Gebäude, in dem ich seit Wochen fest hing, weil die Ärzte davon überzeugt waren, dass ich Hilfe brauchte und der Rest des FBI davon, dass die Ärzte recht hatten.
Meine Klamotten waren nass getränkt vom Regen, ich zitterte bis auf die Knochen, aber all das war mir egal.
Ich fuhr weiter die dunkle Straße hinunter, das Krankenhausgebäude war noch immer parallel von mir, ich hatte das Gefühl es nahm nie ein Ende.
Keine Ahnung, wie lange ich einfach fuhr, meine Hände waren eisig kalt, rutschten ständig an dem eisernen Gehäuse der Räder ab.
Irgendwann beschloss ich gegenüber des Krankenhauses in einen kleinen Park zu fahren und mich dort auf eine Bank zu verfrachten.
Da saß ich nun also, im Regen, tropfnass und allein.
Eigentlich genau das, was ich verdiente.
Ich starrte eine Weile in die Ferne, auf eine große Pfütze am Straßenrand, durch die ab und zu ein Auto hindurch fuhr und das Wasser spritzte über den Bordstein und an die Reifen und Seiten der Autos.
Ich spürte seine Anwesenheit.
Warum konnte ich nicht beschreiben. Ich schätze ich kannte ihn einfach und das bereitete mir Angst. 
Angst und Freude. „Wieso lässt du mich nicht einfach zufrieden?!", brüllte ich, es war mir egal,ob Menschen in der Ferne es hörten. Ich hätte eigentlich mein Handy zücken und die Polizei rufen sollen, sobald er aus der Dunkelheit trat und sich mir nähert, aber das tat ich nicht. 

Natürlich nicht.


"You're going mad"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt