"Mit all deinen Geheimnissen"

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Joker schnurrte animalisch, als er aus der Dunkelheit des Parks hervortrat und sich mir näherte. Aber er näherte sich mir nicht wirklich intensiv. 

Er betrachtete die Natur um sich herum und schlenderte einfach in meine Richtung.
Ich verschränkte die Arme, weil ich lediglich ein Top anhatte und mir auf einmal auffiel wie schrecklich kalt es war, der Regen, der meine Klamotten bereits getränkt hatte und der Wind der immer wieder um sich tobte ergaben eine eisige Kombination.
„Dafür ist es doch längst viel zu interessant geworden.", murmelte er, drehte sich dann zu mir und sah mich grinsend an.
Doch sobald er mich sah, veränderte sich seine Miene schlagartig von Zufriedenheit zu Wut.
Verwirrt zuckte ich zusammen, als er auf mich zu stampfte, seine Brust hob und senkte sich schwer „Bist du denn verrückt, willst du dich umbringen?!"
Er zog sich sein Gold schimmerndes Jackett aus und schleuderte es auf mich, sodass ich japste, als die Knöpfe auf meine Haut schlugen
„Zieh das an!", fauchte er, entriss ihn mir wieder und zog mich nach vorne um es mir beinahe gewaltsam überzuziehen.
Jetzt spielten meine Gefühle völlig verrückt.
Er war mein Feind. Er hatte mich wochenlang brutal gefoltert und Freunde umgebracht.
Er verfolgte mich wie ein Stalker, aber dann rettet er mich vor dem Tod. Mehrmals.
Nur um sich selbst mehr Spaß zu verschaffen vermutlich.
Oder ihm liegt etwas an dir.
Nein! Er tut nichts für niemanden außer sich selbst!
Aber er hat dir sein Jackett gegeben, weil er gesehen hat, dass du erfrierst.
Kassia, reiß dich zusammen, er könnte dir noch immer wehtun, er ist ein Monster...
Aber er tut dir nicht weh. Er ist ein gutaussehendes Monster.
„Was hast du gesagt, Liebes?"
Ich erstarrte und warf die Hände vor den Mund.
„Nein, nein, nein, unterdrück es nicht. Die Stimmen in dir drinnen drücken nur aus was du wirklich fühlst, lass sie raus, Täubchen."
Er nahm meine Hände und zog sie von meinem Gesicht.
Ich wehrte sie ab und schlug um mich, bis er seine Hände wieder weg nahm
„Fass mich nicht an! Du bist niemand für mich! Nur weil du denkst, dass du etwas über mich weißt, nur weil du mich stalkst und terrorisierst wie ein Irrer, heißt das nicht, dass du mehr bist als ein Fremder für mich.", murmelte ich und sah ihm in die Augen.
Die Worte schmecken wie Scheiße, wenn du sie aussprichst, Kass.
Die ganze Zeit über wurde sein Grinsen nur noch breiter.
Du hast ihn zum lachen gebracht...Fokus, Kassia!
„Ein Fremder, schon möglich.", stimmte er mir zu und stand auf, ich war überglücklich, dass er Abstand zwischen uns brachte.
Sicher?
Ja, sicher, verdammt nochmal!
„Aber ein Fremder mit all deinen Geheimnissen.", fuhr Joker fort.
Er hatte recht. Er wusste alles über mich, er hatte mich vollständig in der Hand, während ich keine Ahnung hatte, wer er war, oder warum er das tat, was er tat.
Ich sah ihn eine Weile nur an, Stille füllte den Raum zwischen uns aus
„Du wirst mich nicht in Ruhe lassen, hab ich Recht?", flüsterte ich.
Bitte Gott, lass ihn Nein sagen.
Bitte Gott, lass ihn ja sagen.
Er stöhnte als er sich zu mir runter beugte und mir seine Zähne entgegenbleckte
„Mhm. Schlau wie der Teufel", murmelte er, „und zweimal so schön."
Er sah noch oben in den Himmel, der sich noch immer über uns ergoss, dann auf die Pfützen.
„Bringt Erinnerungen zurück, was?", fragte er und begann sich im Regen zu drehen, mit geschlossenen Augen.
„Ich erinnere mich daran zu ertrinken, während du einen Meter daneben stehst und schreist, ich solle lernen wie man schwimmt." murmelte ich so ruhig wie möglich.

Wasser füllte meine Lunge, meine Luftröhre, alles in mir drinnen, als würde es mich ertränken von innen heraus.
Ich hustete und spuckte, als er meinen Kopf wieder hoch zog, raus aus dem widerlich dreckigen Bottich mit Wasser.
Beinahe hätte ich mich übergeben, als er mir auf den Rücken klopfte „Na, na, du sollst doch kein Wasser schlucken, meine Liebe.", tadelte er mich und ich konnte nicht einmal Luft holen, bevor er mich wieder tunkte.
Ich wehrte mich, aber sein Griff an meinem Haarschopf war zu stark und meine Gelenke zu schwach und verkrampft von der stundenlangen, gekrümmten Haltung auf dem Boden. Er redete immer noch, als er mich wieder hoch zog und ich nach Luft schnappte.
Die Ränder meines Blickfeldes waren bereits schwarz, von der mangelnden Luftzufuhr. Meine Arme hinter meinem Rücken taub.
„Verrate mir, Jester, kannst du schwimmen? Ich für meinen Fall, bin ein recht wasserscheuer Mensch, schau, ich habe mich als Kind nie wirklich getraut tiefer als bis zu meinen Knöcheln ins Wasser zu gehen. Deshalb war mir schwimmen immer unmöglich, ganz abgesehen von tauchen."
Er ließ mich los und sofort beugte ich mich nach vorne und spuckte mehr von dem Wasser in meinen Lungen aus, hustete, bis ich keine Luft mehr bekam.
„Aber dann eines Tages sagte meine Mutter: Sohn, du musst schwimmen. Und schuckte mich einfach ins tiefe Meer. Zuerst hatte ich unheimlich Angst, ich dachte ich würde ertrinken", er packte meinen Haaransatz und richtete mein Gesicht so auf, dass es seines beinahe berührte, „aber dann begann mein Körper ganz von alleine zu treiben, der natürliche Überlebenstrieb. Tauchen wiederum...Tauchen kann ich immer noch nicht. Ich weiß nicht warum, die Vorstellung davon, dass ich dem Wasser erlaube mich zu verschlucken geht einfach gegen meine Natur, deshalb habe ich es nie ausprobiert."
Er grinste.
„Sag mir hinterher, wie es sich anfühlt.", murmelte er und drückte meinen Kopf erneut herunter.
Durch das Wasser, dass sich in meine Ohren drängte hörte ich sein Lachen als käme es von ganz weit weg.

Er lachte, taumelte etwas und sah mich dann wieder an, dann zum Rollstuhl und anschließend wieder zu mir „Ist das der Grund dafür, dass du jetzt im Regen sitzt, Jester? Dass du hoffst schwimmen zu lernen?"
„Ich hoffe, dass mich der Regen ertränkt, bevor meine eigenen Gedanken es tun.", antwortete ich ehrlicher weise.
„Wie äußerst poetisch.", murmelte er, sogar relativ ernst.
Ich will aber, dass er lacht!
Nein, willst du nicht, Kassia.
Aus Reflex antwortete ich „Das Mondlicht macht das mit mir."
Haha haha hahaha. Oh, meine Liebe, du machst mich ganz fertig.", er tat so als würde er sich eine Träne wegwischen.
Du hast alles unter Kontrolle, Kassia. Solange du ihn zum Lachen bringen kannst.
Ein Blitz entlud sich irgendwo in der Ferne, tauchte sein Gesicht für einen kurzen Augenblick in eine grausame helle Fratze „Nenn mir einen guten Grund, warum ich dich noch nicht getötet habe.", murmelte ich.
Er kam ein paar Schritte näher „Weil du nicht zugeben willst, dass es dir genau so viel Spaß macht, wie mir."
Ich sah ihn wütend an.
„Du hast mich ruiniert. Du hast mich gebrochen und alles, woran ich je geglaubt habe. Ich bin zu nichts mehr fähig, ich bin nutzlos! Und das alles nur wegen dir!"
Einen Moment schien er sogar ernst und in diesem Moment dachte ich, dass jetzt die Welt unter ging. Seine Stimme klang zum ersten Mal beinahe vernünftig.
„Der Körper verkraftet Stück für Stück, nicht alles auf einmal.", er trat noch näher, sodass er nur wenige Meter von mir entfernt stand „Sei geduldig, du wirst heilen."
„Heilen. Wenn mein Leben so aussieht, will ich es nicht mehr." Murmelte ich und drehte meinen Kopf weg von ihm.
„Weißt du, das habe ich auch mal gedacht.", sagte er und saß sich wieder neben mich, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen, als würde er sich sonnen
„Und sieh mich jetzt an."
Na toll, dachte ich.
„Warum bin ich hier?", fragte ich mehr an mich selbst gerichtet und umschlang meine Knie mit meinen Armen.
„Erzähl du es mir, Jester.", antwortete Joker, „Du stehst nicht unter dem Einfluss von Schmerzen, also entscheide, was du erzählen willst und was nicht. Du hast freie Redegewalt." Er lachte wieder.
„Was haben die vor mir gemacht, nachdem du mit ihnen fertig warst?", fragte ich in der Hoffnung, dass ich den gleichen Versuch starten könnte mein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Gleichzeitig begriff ich nicht, wie ich mit ihm darüber reden konnte. Ich wollte eigentlich mit gar keinem reden und schon gar nicht mit ihm.
Weil du denkst, er ist der einzige, der dir helfen kann.
Nein ich benötigte keine Hilfe.
Was ich eigentlich tun sollte, war gehen. Ich sollte jetzt gehen.
Aber ich will bleiben.
„Keiner von ihnen ist noch am Leben um die Frage zu beantworten, fürchte ich."
„Warum bin ich es dann noch?", fragte ich weiter.
Er sah mich an, aber ich blickte nicht zurück.
Warum schockierte mich seine Antwort nicht? Vielleicht weil ich zu viel Tod erlebt hatte um zu sagen, dass es etwas bedeutete? Jeden Tag starben Menschen...
Nein, aber er war ein mordendes, sadistisches Monster.
„Ich habe größeres mit dir vor. Größere Pläne. Und ich plane ein Leben für dich, keinen Tod, Jester."
„Bullshit.", raunte ich, und sein Blick schnellte zu mir „Was ist der wahre Grund? Du weißt besser als ich, dass ich den Tod verdient hätte, wie wir alle. Ich bin in dem Zustand doch sowieso zu nichts mehr zu gebrauchen. Also warum bist du besessen von mir? Was ist es?"
Er lachte. Es war nicht gehässig, sondern ruhig.
Einen Moment lang sagte er nichts, als sich unsere Blicke trafen.
Seine Miene schien beinahe besorgt, oder verwirrt, dann sah er weg und grinste wieder
„Es macht mehr Spaß dir beim Scheitern zuzusehen, als dich zu Tode zu foltern.", sagte er dann und wirbelte mit den Händen, lauthals lachend
Was ich erwartet hatte.
Glaube ihm nicht.
Du bist stärker als er Kassia. Gönn ihm diesen Triumph nicht.
„Ich scheitere nicht.", widersprach ich so sicher wie möglich, und erwiderte seinen Blick, „Ich brauche nur etwas länger als erwartet."
Er lachte, stand auf und sah mich dann an. „Komm schon, Jester. Ab mit dir zurück ins Bett."

"You're going mad"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt