Amira
Ich rollte mich zu einer Kugel zusammen.
Kann ich auch einmal etwas richtig machen?Ich hatte mein Schweigen gebrochen und somit meinen Bruder und meinen Vater entehrt. Heisse Tränen rannen auf das Kissen.
Ich brachte die ganze Königsfamilie von Malem in Gefahr. Ich rollte mich noch enger zusammen.
Ich hatte beinahe Kian umgebracht. Einige unterdrückte Schluchzer drangen aus meinem Mund. Ich wollte schreien. Den ganzen Schmerz rausschreien. Die ganze Hilflosigkeit loswerden. Doch das würde die Wachen in mein Zimmer rufen und das war das Letzte, was ich wollte. Ich wollte meine Ruhe und sehnte mich nach den starken Armen meines Bruders. Seine Ruhe, die mich umschloss und beruhigte. Ich sehnte mich an die Zeit zurück, als wir uns zankten oder gemütlich unter dem grossen Magnolienbaum sassen. Er hatte immer einen Rat für mich bereit gehabt.Ich versuchte gar nicht mehr die Gedanken an ihn zurück zu drängen. Ich war zu schwach. Das Gespräch mit Kian und Sunil hatte eine Flut von Erinnerungen und Emotionen ausgelöst. Ich hatte sie alle verdrängt, aber jetzt waren sie wieder da und liessen mir den Atem stocken. Sie lagen mir schwer auf dem Herzen.
Zusätzlich hatte ich den wichtigsten Gegenstand meines Lebens verloren: Meine Dolche. Sie waren eine enge Verbindung zu meiner Familie, aber jetzt waren sie weg. Das kühle Metall, das mich immer beruhigte. Die Schriftzeichen, die mich daran erinnerten, woher ich kam und wofür es sich zu kämpfen lohnte. Die Bewegungen mit ihnen, die mich in ihren Bann zogen und meinen Geist auf eine ganz spezielle Art ruhen liessen.
Ich wusste, ich würde sie nie irgendwo ablegen, aber wo hätten sie denn sein können?
Verzweifelt drehte ich mich von Seite zu Seite. Ich fühlte die Einsamkeit immer stärker. Sie schnitt mir die Luft ab und liess mich nicht mehr klar denken. Ich stand schliesslich auf, in der Hoffnung mich irgendwie beschäftigen zu können, aber wie so oft wurden meine Pläne durchstrichen; Mein Zimmer war immer noch abgeschlossen. Wütend schlug ich einmal auf die Türe ein, die aber kein bisschen nachgab. Der Schmerz in meiner Hand erinnerte mich daran, dass ich meine spärliche Kraft und mein durcheinander geratenes Bewusstsein für andere Situationen brauchen würde. Also liess ich von der Tür ab.
Ich durchschritt den Raum mehrere Male auf der Suche nach einer Beschäftigung. Ich dachte erst an die Kleidertruhe unter meinem Bett, aber liess es dann bleiben. Die Kleider würde ich sowieso nie anziehen.
Ich stand ans mannshohe Fenster. Zögerlich öffnete ich es. Sofort strömte kühle Nachtluft in mein Zimmer und umstrich meine nackten Knöchel. Ich zog die schweren Vorhänge ganz weg und lehnte mich an das mit Schnörkeln verzierte Geländer und schaute hinaus. Der Ausblick reicht bis über die Stadt und ich konnte weit entfernt die Wüste ausmachen. Ich schaute nach unten und sah den dunklen Hofeingang, den ich bei meiner Ankunft durchschritten hatte. Es war keine Menschenseele zu sehen, nur vereinzelte Schatten von Nachtvögeln. Ich lauschte in die Nacht hinein. Es war still. Man konnte nur vereinzeltes blöken von Kamelen vernehmen. Doch die Stille wirkte nicht so beruhigend auf mich, wie sie es sollte. Im Gegenteil, sie hatte etwas bedrohliches. Es hatte etwas von der Stille, die vor dem Angriff meines Onkels herrschte. Ich schüttelte diesen Gedanken ab.
Ich liess meinen Blick wieder schweifen und blieb an den Aussenmauern meines Raumes hängen. Sie waren zwar genauso makellos und weiss wie bei meiner Ankunft, doch irgendetwas störte. Ich lehnte mich über das Gelände und schaute leicht seitlich zu den inneren Mauern. Angestrengt schaute ich ins Dunkel. Ein Turm zu meiner linken Seite warf einen überaus unvorteilhaften Schatten auf das, was ich sehen wollte.
Da! Als würde sich etwas im Schatten bewegen. Neben einem kleinen Wachposten. Das ist sicher kein Nachtvogel!
Mein Herz begann schneller zu schlagen und mein Atem stockte. Das ist keine Wache! Die würde sich anders bewegen!
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Ihre Augen
Historical FictionAls Prinz Kian von einem verhüllten, magischen Mädchen gerettet wird, will er sie genauer kennenlernen. Es stellt sich heraus, dass das nicht so einfach ist, wie es scheint: Das Mädchen schweigt beharrlich und nur ihre Augen scheinen zu reden. Bald...