Kian
Ich drehte mich um. "Bitte?!" Die Verwirrung musste mir ins Gesicht geschrieben sein, denn der Soldat begann nervös zu werden. "M-Mein Herr, i-ich will S-Sie wirklich nicht stören, a-aber der Folterknecht hat es mir aufgetragen. Aber wenn der Zeitpunkt gerade ungünstig ist, dann-", stammelte er.
"Tätowierungen...", murmelte Sunil neben mir eindringlich. Ja verdammt, Tätowierungen! Das habe ich schon mitbekommen! Aber von wem? Zu wem gehört der Eindringling? Ist er etwa auch von königlichem Blut? Hat es mit Amira zu tun? Oder den Kriegen?
"Weiss man schon, zu welchem Land er gehört?", lautete meine erste Frage an den Soldaten. Unwillig erhob ich mich. Ich musste der Tatsache ins Auge blicken, dass ich Amira nicht rund um die Uhr beobachten konnte. Nicht als Prinz. Nicht als Thronfolger.
"Nein, mein Herr", antwortete der Soldat.
"Na dann ist es höchste Zeit sich darum zu kümmern, nicht wahr?" Ich versuchte sicher zu klingen. Verdammt, ich bin der Thronfolger von Malem. Wenn ich mich nicht abgrenzen kann, wie soll das dann als König gehen?
"Richte meinem Vater aus, dass ich dieses Problem lösen werde und richte auch Fahim aus, dass er sich unverzüglich zur Zelle des Eindringlings begeben soll", befahl ich dem Soldaten und schritt auf die Türe zu. Im Türrahmen drehte ich mich nochmals um. Mein Blick ruhte auf Amira, die sich unruhig im Schlaf wälzte. "Und sorg dafür, dass sich jemand sachgemäss um sie kümmert", bat ich den Soldaten. Dann nickte ich Sunil zu und machte mich auf den Weg zu den Verliesen.Das Verlies lag am Rande des Palastbereiches, jedoch gut erreichbar durch alte, unterirdische Gänge. Diese Gänge galten als Abstieg in den Tod. Wer jemals wieder hier rauskam, war entweder kaum noch bei Sinnen oder schon tot. Sunil blieb mir dicht auf den Fersen. Wir stiegen modrig riechende Treppen hinunter. Unsere Schritte hallten von den feuchten Steinwänden wieder. Eine Fackel nahmen wir in der Eile nicht mit. Nur das spärliche Licht, welches noch von den Schlossgängen her rührte, half uns die Treppenanfänge zu finden. Langsam begann sich der Geruch zu einer ekelerregenden Mischung zu vermischen. Es roch nach Urin, Kot und Erbrochenem. Wir traten durch eine schwere, eisenverstärkte Holztüre und wurden sogleich von einer Klinge empfangen.
Erschrocken blieb ich stehen und folgte der Klinge zu seinem Besitzer. Sie gehörte einem schmuddelig aussehendem Soldaten. Seine Augen weiteten sich als er mich erkannte. Ich nutzte seine Starre aus und duckte mich unter seinem Schwert hindurch. Sunil zischte den Soldaten an, der sofort begann irgendwelche Entschuldigungen zu murmeln. Ich ignorierte ihn. Es stand mehr auf dem Spiel als Höflichkeitsfloskeln.
Dies war kein guter Ort. Die wenigen Fakeln spendeten nur ein sehr miserables Licht. Vor uns lag ein Gang, zu dessen Seiten Zellen mit geschunden Körpern lagen. Eines der wenigen Lebenszeichen war, dass sie Sunil und mich auf Schritt und Tritt mit den Augen verfolgten, wie wir der Gang durchschritten. Ich wandte meinen Blick ab und lief geradewegs auf die Türe zu, die sich am Ende des Ganges befand. Ich klopfte gar nicht erst an, sondern trat einfach ein.
Der Geruch war überwältigend. Neben den schon bekannten Gerüchen kam noch der Geruch von Feuer und Blut dazu. Mein Blick fiel auf die auf dem Boden kniende, gefesselte Person. Dahinter stand eine wuchtige Gestalt mit dem Rücken zu uns."Oh, Ihre Hoheit erbarmt sich persönlich mit seiner Anwesenheit. Was für eine Ehre", brummte der hochgewachsene Mann und drehte sich zu uns. Sein Gesicht konnte man schwer im spärlichen Licht ausmachen, das vom kleinen Ofen her rührte. Er wischte sich die Hände an seiner verdreckten Lederschürtze ab und deutete eine spöttische Verbeugung an.
"Ich freue mich auch ausserordentlich, Euch in diesem Loch besuchen zu dürfen", antwortete ich trocken. "Aber zu eurem 'Fund'. Ist das der Eindringling von kürzlich?"Der Folterknecht nickte und begann zu erzählen: "Hab ihn erst gekitzelt mit einigen Peitschenhieben. Er blieb stur, selbst als ich zur neunschwänzigen Griff. Er scheint ziemlich unempfindlich am Rücken, deshalb ging ich an die Füsse. Dort konnte ich wenig rauslocken: Er stammt nicht von hier und hasst uns. Naja, und da jeder einen gewissen Stolz auf sein Aussehen hat, brannte ich seine halb langen Haare ab." Das erklärt den Geruch.

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Ihre Augen
Ficción históricaAls Prinz Kian von einem verhüllten, magischen Mädchen gerettet wird, will er sie genauer kennenlernen. Es stellt sich heraus, dass das nicht so einfach ist, wie es scheint: Das Mädchen schweigt beharrlich und nur ihre Augen scheinen zu reden. Bald...