Seher - Der Fluch

Kapitel 8

PoV Evan

Mittlerweile saßen wir an einem kleinen Steg am See und Amanda fütterte ein paar der Enten.
Ich allerdings wollte ihr noch ein paar Fragen stellen.
"Was war so besonders an meiner Mutter? Also was hat sie so mächtig gemacht? Kann nicht jeder Seher das gleiche?" Amanda lachte kurz auf und drehte sich dann zu mir um.
"Nicht ganz. Das Sehen bezieht sich nicht nur auf die Erinnerungen einer Person, wie du sicher schon bemerkt hast." Ich nickte nur.
"Wie ausgeprägt die Gabe ist, ist bei jedem unterschiedlich. Man kann natürlich trainieren, so wie Jeremie, aber er wird nie das Limit überschreiten können, was die Gabe ihm setzt. Manche Seher können eben nur Erinnerungen sehen und Jeremie kann so viel trainieren wie er will, das wird sich nie ändern. Ganz anders bei deiner Mutter und dir. Du weißt zum Beispiel immer wenn jemand lügt, oder? Du siehst es an seiner Aura, ebenso wie seine Gefühlslage. Das ist auch ein Teil des Sehens." Wieder warf Amanda ein paar Brotkrümel ins Wasser und die Enten und Fische stürzten sich wild darauf.
"Aber selbst diese Art zu Sehen, beherrschen einige Seher. Die Gabe deiner Mutter war noch weitreichender. Sie konnte Erinnerungen löschen, manipulieren oder komplett verändern. Zudem musste sie die Personen nicht berühren, sondern musste nur in ihrer Nähe sein. Irgendwann konnte sie sogar Gedanken lesen. Das war wirklich anstrengend." Wieder lachte Amanda kurz auf und starrte auf die aufgehende Sonne am Horizont.
"Ich vermisse deine Mutter wirklich sehr. Sie war eine gute Person." Amanda fuhr sich mit der Hand durch die blonden Locken und tauchte ihre Füße ins Wasser.
"Und... mein Vater? Kannst du mir was über ihn sagen?" Ohne Amanda anzusehen, wusste ich das sie das Gesicht verzog und ihre Aura flackerte kurz auf. Ihr gefiel die Frage nicht.
"Ich wusste nicht, dass deine Mutter etwas mit deinem Vater hatte. Sonst hätte ich sie vor ihm gewarnt. Kai hieß er. Oder heißt. Es ist gut möglich, dass er noch lebt. Wie schon gesagt, er ist ein Hexer und arbeitet mit dem Rat der Vampire zusammen. Eigentlich bleiben die Rassen gerne unter sich, aber die Hilfe eines mächtigen Hexers würde nicht mal der Rat abschlagen. Das wäre dumm von ihnen. Dein Vater zog seine Kraft aus dem Feuer. Daher hatte er ein sehr aggressives und jähzorniges Naturell."
"Ich hoffe es stört niemanden, wenn ich mich zu euch geselle?" Gerade betrat Jeremie den Steg und Amanda schüttelte den Kopf.
"Natürlich nicht. An dich habe ich auch noch ein paar Fragen." Jeremie ließ sich zwischen Amanda und mich fallen und hielt mir dann ein Sandwich hin. Fragend hob ich eine Augenbraue.
"Wenn du es nicht willst verfüttere ich es an die Enten." Da ich noch nichts gefrühstückt hatte, nahm ich es an und biss rein. Es war wirklich lecker.
"Also, wo war ich? Ach ja, genau. Jede Hexe zieht ihre Kräfte aus einem Element. Ich zum Beispiel bin mit dem Element Erde verbunden, darum lebe ich auch im Wald. Viel mehr kann ich dir über deinen Vater kaum sagen. Dafür kenne ich ihn zu wenig. Tut mir leid." Ich winkte mit vollem Mund ab. Mein Vater interessierte mich nicht. Er hatte dafür gesorgt, dass meine Mutter von Rat gefangen und höchst wahrscheinlich getötet wurde. Sollte ich ihm irgendwann begegnen, würde ich versuchen ihn zu töten.
"Wie lange habt ihr geplant hier zu bleiben?" fragte Amanda und ich sah zu Jeremie. Es widerstrebte mir total auf ihn angewiesen zu sein, aber wahrscheinlich hatte er recht. Alleine war ich aufgeschmissen.
"Wir müssen herauszufinden, wo der Rat der Werwölfe sitz. Wir müssen sie warnen. Früher oder später werden die Vampire herausfinden wo sie sind, mit oder ohne Evan." Amanda nickte langsam und sah mich dann eine Weile an.
"Mich würde interessieren, wie viele Hexenkräft du hast." Ich runzelte verwirrt die Stirn. Amanda schien überhaupt nicht auf uns einzugehen.
"Das ist doch jetzt überhaupt nicht das Thema!" beschwerte sich auch Jeremie, aber Amanda achtete nicht drauf.
"Wenn du willst, kann ich dir ein paar Sachen beibringen."
Ich zögerte. Mein ganzes Leben lang hatte ich das Übernatürliche gejagt und getötet. Und jetzt sollte ich zum Teil Hexer sein?
Ich wollte es nicht, alleine der Gedanke daran, verursachte mir Kopfschmerzen.
Amanda schien dies zu spüren, denn sie lächlte mich sanft an.
"Es ist okay, wenn du noch Zeit brauchst." Mit diesen Worten stand sie auf und ging in ihre Hütte. Jeremie und ich blieben zurück.
"Ich hoffe du willst nicht zu lange hier bleiben." knurrte ich und Jeremie sah mich leicht erstaunt an, aufgrund der Stimmungsschwankung. Ich war ja selber überrascht, wo plötzlich diese ganze Wut herkam.
"Ich will so wenig mit dem Übernatürlichen zu tun haben wie möglich. Weder mit einem Werwolf-Vampir-Krieg, mit Hexen und auch nicht mit dir." Ohne ein weiteres Wort erhob ich mich und ging mit schlechter Laune zurück zur Hütte.