PoV Evan
Trotz Jeremies versprechen, mir nicht weh zu tun, hatte ich dennoch Angst vor dem Biss. Und in dem Moment, wo seine spitzen Eckzähne meine Haut am Hals durchbohrten fühlte ich einen Augenblick lang nichts als Furcht. Aber das hielt nicht lange an.
Ich spürte, wie sich von der Bissstelle aus Wärme ausbreitete, die durch meinen ganzen Körper wanderte.
Es war ein angenehmes Gefühl und kurz vergaß ich, dass gerade ein Vampir mein Blut trank.
Und als Jeremie den ersten Schluck trank, war es um mich geschehen.
Das Gefühl wurde so intensiv, dass mir ein leises keuchen entfuhr und ich griff in Jeremies Haare, um ihn noch näher an mich zu ziehen.
Jeremie schien es ähnlich zu gehen, denn er presste seinen ganzen Körper gegen meinen.
Das Gefühl genießend, ließ ich den Kopf ein Stück in den Nacken fallen und schloss die Augen. Dabei ließ ich wieder ein leises keuchen hören und auch Jeremie stöhnte gedämpft an meiner Haut.
Ich spürte, wie Jeremie sich langsam wieder zurück zog und kurz mit der Zunge über die Wunde glitt, damit die sich schneller schloss.
Eine Weile verharrten wir in dieser Position. Jeremies Kopf war immer noch an meinem Hals vergraben und ich lehnte an der Wand, während Jeremie sehr dicht bei mir stand.
"Was war das?" brachte ich heiser hervor und obwohl mir mein Kopf die Antwort schon leise zuflüsterte, wollte ich das Jeremie etwas anderes sagte, als das an was ich gerade dachte. Kurz herrschte schweigen und ich bemerkte, dass Jeremie selbst mit sich haderte. Als er dann endlich zu einer Antwort ansetzte, seufzte er nur und trat einen Schritt von mir zurück.
"Wir sollten gucken, dass wir hier raus kommen. Und wir reden später darüber."PoV Jeremie
Mit zittriger Hand griff ich nach Evans Handgelenk und zog ihn durch den Spalt in der Wand zurück in den Vorraum der Höhle. Ich sollte mehr als genug Kraft haben, die Steine wegzuräumen. Evans Blut durchflutete meinen Körper, auch wenn es nur wenige Schlucke gewesen waren. In meinem Kopf hörte ich pausenlos das selbe Wort.
Gefährte, Gefährte, Gefährte.
Das war unmöglich. Wieso sollte mein Gefährte ein Mann sein? Ich war nie am selben Geschlecht interessiert gewesen.
Und wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, ihn zu finden? Warum ausgerechnet er? Wieso überhaupt ein Er?
War die Situation nicht schon schwer genug? Evan würde sich niemals darauf einlassen, noch weniger als ich.
Auf einen Vampir.
Einen männlichen Vampir.
Er würde dagegen ankämpfen. Oder es zumindest versuchen. Angeblich konnten Gefährten sich auf Dauer nicht widerstehen, sobald Blut gekostet wurde. Der Vampir wurde fast schon süchtig nach dem Blut des Menschen. Und der Mensch wurde süchtig nach dem Gefühl des Bisses.
Zumindest besagten das die Gerüchte.
"Bleibt hier stehen, ich räum die Steine weg." Evan legte eine Hand an die Wand und starrte in die Dunkelheit.
Ich suchte mir den günstigen Stein raus, damit wir möglichst schnell hier weg kamen und an dieser Stelle lagen am wenigsten. Erst schmiss ich die Kleinen weg, dann machte ich mich an die Größeren.
Aus den Augenwinkeln sah ich wie Evan die Stirn gerunzelt hatte und mit einer Hand über seinen Hals strich.
Evan war nicht dumm, er wusste was passiert war. Er wollte es nur nicht wahr haben, so wie ich.
Wenige Minuten später erhellte der erste Lichtstrahl von draußen die Höhle und erleichtert atmete ich aus.
Jetzt durften nur keine Vampire vor der Höhle stehen, um uns am ausbrechen zu hindern.
"Evan, kommst du?" Kaum hatte ich die Frage gestellt, huschte er schon an mir vorbei hinaus. Seuftztend schloss ich kurz die Augen und genoss die Sonnenstrahlen in meinem Gesicht.
Und kurz danach drehte Evan sich zu mir um und sah mir in die Augen.
Unwillkürlich ging ein Schauer durch einen Körper und ich spürte sein Blut pulsieren. Ich hatte mich noch nie so stark gefühlt, nachdem ich Blut getrunken hatte.
Allerdings strahlte Evans Blick, wie immer eigentlich, nichts als kälte aus.
"Vergiss alles, was da drinnen passiert ist. Ich tue es auch."
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Seher - Der Fluch
VampireHalt den Kopf gesenkt. Sieh sie nicht an. Nicht starren. Einfach weiter gehen. Lass sie es nicht bemerken. Zeig keine Emotionen. Für nichts. Für niemanden. Als junger Mann sollte man eigentlich das Leben genießen, Freunde treffen, die Liebe sein...