19 - einmal ist einmal zu viel

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Es gibt so vieles, womit man leben könnte. Aber nicht mit der Reue, die dir immer wieder sagt, dass du schuld hättest.

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Elliot

Schon seit Tagen ging es Phoebe schlecht, weshalb sie zum Arzt wollte und ich nun auf sie wartete. Doch mit der Nachricht, die sie mir jeden Moment überbringen würde, hätte ich niemals gerechnet ...
Als sie in ihr Zimmer kam, erhob ich mich von ihrem Bett. Sie war blass und in ihren Augen sammelten sich Tränen. Sofort zog sich mir der Magen zusammen. Es konnte einfach nichts Gutes bedeuten.
»Was ist? Was hat der Arzt gesagt?«, wollte ich wissen. Sie sagte nichts, lief stattdessen in meine Arme und begann plötzlich zu weinen, so heftig, dass sie überall bebte und ich meine Arme um sie schlang, als sie immer lauter schluchzte.
»Phoebe ... «
Sie sah mich nicht an und antwortete immer noch nicht.
»Scheiße, Phoebe, du machst mir Angst. Was ist passiert?«
»Ich habe Aids«, hauchte sie ganz leise.
Abrupt spannte ich mich an, versteifte mich voller Schock am ganzen Körper und war mir sicher, dass ich in dem Moment leichenblass wurde. Aids. Ich konnte es nicht glauben. Doch die Worte hallten immer wieder durch meinen Kopf, wie ein Echo, das immer lauter wurde und mir die Worte entgegenschrie.
»Du musst dich sofort untersuchen lassen. Elliot, du musst dich untersuchen lassen, wir ... wir haben nicht verhütet.« Nun sah Phoebe mich an, mit Tränen in den Augen und einer Angst, die ich noch nie bei ihr gesehen hatte. Sie hatte Angst – ich hatte sie auch.
»Elliot«, wimmerte sie, als ich nichts sagte.
Ich schluckte und riss mich zusammen. Es würde uns nichts bringen, wenn ich ebenfalls in Panik ausbrechen würde. »Ich weiß – ich bin hier«, antwortete ich mit krächzender Stimme und strich ihr beruhigend über das Haar, als sie immer noch zitterte und sich in mein Shirt krallte. Ich wischte ihr die Tränen fort, während in mir selbst welche aufstiegen, dann küsste ich sie und hörte, wie sie in den Kuss hineinschluchzte. Ich küsste sie sanfter, löste mich langsam von ihr und legte meine Stirn an ihre. Sie bräuchte mich jetzt – wir bräuchten uns gegenseitig. Denn eines war mir auf Anhieb klar: Ich hätte es auch. Die Frage war bloß; durch wen es kam?
»Dann werden wir auch das gemeinsam schaffen«, flüsterte ich, und sie sah zu mir auf. »Du meinst gemeinsam sterben?«
Ich lächelte gequält. »Lieber mit dir zusammen sterben, als ohne dich zu leben.« Niemals könnte ich mir ein Leben ohne Phoebe vorstellen. Gott, es wäre ja nicht mal ein Leben ohne sie. Schließlich war sie schon immer bei mir gewesen. Immer. Und jetzt liebten wir uns, waren zusammen und waren noch enger aneinander gebunden, als jemals zuvor. Wie sollte ich es dann nur eine Sekunde ohne sie schaffen?
Voller Hoffnung sah sie mich an und verlor all diese Hoffnung gleich wieder, als Dr. Houghton mir die Testergebnisse am nächsten Tag mitteilte.
»Ich muss Ihre Vermutung leider bestätigen, Mr. Dexter, sie haben ebenfalls wie Ihre Freundin Aids.«
Ich nickte, hatte es bereits gewusst. Doch im Gegensatz zu Phoebe konnte ich mich innerlich darauf vorbereiten, während sie damit völlig überrumpelt wurde.
Der Arzt erklärte mir noch alles über den Virus, die Therapiemaßnahmen, die Risiken und die auftretenden Symptome.
»Eine Frage habe ich noch«, sagte ich, und er nickte. »Wieso habe ich nichts gemerkt?«
»Jedes Immunsystem reagiert anders auf Angriffe des Körpers. Das eine kann schwach sein, das andere wiederum stark. Wahrscheinlich hätten Sie erst in Monaten was gespürt, weil Ihr Immunsystem stärker ist, als das von Ms. Reynolds. Bei Ihnen sind die Abwehrzellen mehr im Takt, was dazu führt, dass Ihr Körper den HIV Virus besser in Schach halten konnte. Wie lange das noch funktioniert hätte, kann ich nicht sagen. Aber irgendwann wären auch bei Ihnen die ersten Symptome vorkommen.«
»Danke, Dr. Houghton«, murmelte ich und verabschiedete mich mit Phoebe von ihm.
Als wir Zuhause waren und in meinem Bett lagen, weinte sie, wodurch sich mir die Brust zuschnürte und mein Herz mit jeder weiteren Träne brach.
»Phoebe«, hauchte ich und schloss sie noch fester in meine Arme, damit sie sich beruhigte und nicht mehr so zittern würde. Es brächte mich sonst noch um!
»Ich habe dich angesteckt«, flüsterte sie, und ich sah zu ihr, ertrug diesen Gedanken nicht, dass sie sich selbst die Schuld dafür gab, obwohl es doch klar war, dass ich der Auslöser von uns beiden war. Ich hatte mich durch so viele Betten geschlafen, hatte so viel Sex gehabt, während Phoebe das nicht tat. Ich schluckte und unterdrückte die Tränen, die Reue, die mich fast erstickte, als mir klar wurde, dass ich sie angesteckt hätte. Dass sie wegen mir krank wurde.
Ich legte ihr meine Hand auf die Wange und sah ihr in die traurigen Augen. »Oder ich habe dich angesteckt.«
Sie schmiegte sich in meiner Hand und legte ihre darüber, sodass ich sie sanft küsste und meine Nase an ihrer rieb. Die Tränen von Phoebe befeuchteten mein Gesicht, vermischten sich mit der einen Tränen, die mir entfloh. »Es ist egal, was passiert ist und was noch passieren wird – wir sind zusammen, wir bleiben zusammen und schaffen das gemeinsam.«
Sie nickte mit einem leisen Schniefen.
»Babe, ich liebe dich und würde dich auch niemals verlassen. Niemals. Du bist mein Leben und dabei ist es mir egal, was für ein Leben es ist – ob in Krankheit, in Freude oder im Kampf. Hauptsache es ist ein Leben mit dir.«
»Oh Gott, Elliot«, stieß sie mit bebender Stimme hervor. »Was würde ich nur ohne dich tun?«
Ich lächelte. »Das wirst du niemals erfahren.«
Nun lächelte auch Phoebe, selbst wenn es nur ganz schwach war. »Das will ich auch gar nicht.« Sie beugte sich vor und legte ihre Lippen auf meine, während ich sie noch enger an mich zog und die Wärme ihres Körpers genoss.

till the Death - gemeinsam krank, gemeinsam sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt